Taube: Den mit der Drachentätowierung quer über dem Gesicht. Kommen.
Adler: Josip! Gar nicht gut. Ein harter Hund.
Taube: Somit ist Füchsin morgen ziemlich auf sich gestellt.
Falke: Ich hab es g’sagt, wir sind zu wenig.
Wingman
Es ist allein dieses Klingeln des Glöckchens über der Werkstatt-Türe, das bereits viel über den eintretenden Menschen verrät. Ob er leidenschaftlich, verwegen, zielstrebig vorgeht, in Hast dabei, rücksichtslos vielleicht, ungeschickt, ob er die Tür aufschnellen, an die Wand schlagen lässt. Ob er zaghaft eintritt. Vorsichtig oder gelassen.
An diesem bedeutsamen Morgen jedenfalls muss sich ein äußerst bedachtsamer Charakter in den Gewölbekeller verirrt haben, so umsichtig sogar, der Metzger bemerkt ihn erst mit großem Schrecken, da wartet dieser Fremde bereits inmitten des kleinen Schauraumes neben der Werkbank und sieht sich eben um. Genau dort hat er Platz genommen, wo es sich auch am schönsten Platz nehmen lässt. In einem prächtigen antikroten Chesterfield Wing Chair. Weit empor und wie Scheuklappen nach vor ragend die ohrenähnlichen Auspolsterungen im Kopfbereich. Ein Ort der Geborgenheit. Und dennoch: Als wäre ihm der Stuhl ein paar Nummern zu groß, sitzt ein sehr einfach, vielleicht sogar eine Spur verarmt wirkender alter Mann darin. Ausgetretene Schuhe, eine simple graue Hose, ein verknittertes weißes Leinenhemd, eine braune Schieberkappe, ein Gehstock in der rechten Hand. Stockschwarz seine Augen, braun gegerbt seine Haut, die buschigen Augenbrauen und das kräftige Haar schlohweiß.
„Ein Paradies haben Sie hier, ist Ihnen das bewusst!“ Die Stimme voll Tiefe.
Und sofort muss der Metzger an Anthony Quinn denken. Nicht an den kraftstrotzenden Sirtakitänzer in Alexis Sorbas, sondern an eine ergraute, geschwächte Ausgabe.
Punkt acht zeigt die alte Pendeluhr hinter der Werkbank, und Willibald Adrian Metzger war um diese Zeit gewiss schon deutlich munterer unterwegs, von seinen starken Kopfschmerzen ganz abgesehen. Entsprechend fehlt es ihm an Gastfreundlichkeit: „Was machen Sie hier!“
Eindringlich betrachtet der Fremde den Restaurator. Ein leichtes Schmunzeln auf den Lippen.
„Wie ich sehe, komm ich ungelegen!“
„Ein wenig!“
„Ich will ja nicht indiskret sein, aber: Wohnen Sie hier?“
„Vorübergehend!“
Im hinteren Bereich seiner Werkstatt hat sich der Metzger, wie einst die Tramper mit ihren Wild-West-Wagenburgen, mit dunkel-honigfarbenen Nussholz-Rokoko-Schänken eingekreist und darin sehr gefällig eingerichtet. Ein alter Diwan, ein Nachtkästchen, eine Stehlampe mit breitem Schirm, ein kleiner Tisch mit Hocker.
„Gar nicht so ungemütlich, muss ich zugeben. Delogiert oder Beziehungsproblem?“
„Beides. Und jetzt entschuldigen Sie mich kurz!“
In Badeschlapfen, offenem Morgenmantel und seiner in die Welt lachenden klassischen Feinripp-Unterwäsche setzt der unfrisierte Metzger seinen eingeschlagenen Weg Richtung Toilette fort. Ein Vorhaben, das nun dringend zu Ende geführt werden muss.
In Gegenwart einer Kundschaft.
Bravo. Beginnt dieser ohnedies schon ungeliebte Tag also mit einem ersten kleinen Schrecken! Passt ja, bevor gleich der große folgt. Ein Tag nämlich, der alles ändern soll, auf dass es dann bis ans Lebensende möglichst beim Alten bleibe. Der schönste Tag eines Lebens, wie so gerne behauptet und hoffentlich nie in Erfüllung gehen wird, denn was bitte wäre dieses Dasein für ein jämmerliches, gäbe es nur einen einzigen schönsten, und dann justament diesen.
„Eigentlich habe ich heute geschlossen!“
„Oh, dann verzeihen Sie bitte und gestatten mir zugleich einen kleinen Ratschlag: In solchen Fällen wäre es vielleicht klug, die Türe zu versperren.“ Liebenswürdig der Ton des Alten, ein wenig schelmisch gemeint vielleicht.
Hat er also vergessen, der Willibald Adrian! Kein Wunder, denn würde der Metzger an den Mondkalender glauben, stünde da gestern vermutlich etwas wie „Viel trinken!“ oder „Ordentlich gießen!“ in der Spalte. So eine durstige Nacht hat er jedenfalls schon lang nicht mehr erlebt. Ein Polterabend zwar ohne Poltern, aber mit gläserweise guten Kameraden, alle abgefüllt in Rotweinflaschen. Das telefonische Angebot seines einzig wahren Freundes und Trauzeugen Hausmeister Petar Wollnar nämlich – „Gehen wir aus an deinem letzten Abend, Willibald. Einmal noch feiern! Ich hol dich ab“ – musste er aus nachvollziehbaren Gründen ablehnen.
„Wir zwei waren doch noch nie aus, Petar, und das garantier ich dir: Wenn dieses Theater morgen überstanden ist, fang ich erst zu feiern an!“
Und dieses Morgen ist heute.
Entsprechend groß sein Seufzer.
Ebenso auf der Gegenseite, allerdings aus Staunen. Mit einem tiefen Atemzug streicht der Fremde nun über das Leder: „Im Vorbeigehen diesen Ohren-Sessel zu sehen und nicht einzutreten, war einfach unmöglich – und ich bin zu alt, um mir derartige Gelegenheiten entgehen zu lassen! Ein wunderschönes Stück.“
„Da haben Sie recht. Mit etwas mehr Platz in meinem Wohnzimmer stünde er auch nicht in der Werkstatt!“
„Und hier steht er nun, wie ich hoffe, zum Verkauf?“ Auffordernd der Blick. „Ja oder Ja?“ Eine überraschende Frage natürlich. Nicht, dass der Metzger jetzt generell auf Grund der Äußerlichkeit einer Person auf deren Besitzverhältnisse schließen würde, so etwas kann gewaltig ins Auge gehen. Trotzdem beschleicht den Restaurator der Verdacht, der gute Herr könnte dem Wert dieses Prunkstückes vielleicht nicht mit ausreichendem Realismus begegnen. Da ist dann eine kleine Erklärung vielleicht angebracht. Weit kommt er damit allerdings nicht.
„An sich schon, Herr, Herr …“
„Andrejew! Wunderbar. Dann lass ich ihn gleich holen.“
„Vielleicht sollte ich Ihnen vorher ein wenig was zu diesem Stuhl erzählen, und was er kostet?“
„Das ist sehr aufmerksam von Ihnen!“, hebt Herr Andrejew nun den Kopf und schiebt seine Mütze zurecht. „Aber die vielen Knöpfe, die tiefe Sitzfläche, das ins Leder gelegte Rautenmuster, ich vermute, es ist ein echter Chesterfield mit einigen Jahren auf dem Buckel. So wie ich. Die Herkunft des Namens weiß man nicht so genau. Vermutlich gab im 18. Jahrhundert ein wahrer Gentleman, der Schriftsteller und Politiker Stanhope, seines Zeichens der Earl von Chesterfield, den Auftrag. Mit der Vorgabe, ein aufrechtes und bequemes Sitzen zu ermöglichen, ohne dabei in der Kleidung Falten zu hinterlassen. Und wie Sie sehen, hab ich es bitter nötig!“
Jetzt staunt er natürlich, der Metzger, einmal mehr um die Einsicht reicher: Unterschätze nie dein Gegenüber!
„Und was es kostet, Herr Metzger, das kostet es. Ich vertrau Ihnen. Erstens sehen Sie nicht aus wie ein Betrüger. Und zweitens spielt bei Liebe der Preis keine Rolle!“
Wohlklingende Worte natürlich, nicht nur in den Ohren eines Einmannbetriebes, eines selbständigen Handwerkers und Geschäftsmannes, der jeden Cent dringend braucht, sondern auch im emotionalen Sinn. Richtig durchs Gemüt fährt dem Metzger dieser Satz, lässt ihn neben dem Herrn auf einem alten, aktuell noch knarrenden Thonetsessel Platz nehmen und nachdenklich ins Leere starren. Ein Verhalten, das nicht unbemerkt bleibt.
„Na, Ihnen ging es offenbar auch schon einmal besser!“ Einladend die Stimme des Herrn Andrejew, vertrauenserweckend, dazu die tiefgründigen, besorgten Augen. „Oder habe ich etwas Falsches gesagt? Soll ich wieder gehen?“
Gehen! Jemand, der knapp 3000 Euro hierlassen will. Niemals. Der Metzger muss sich also zusammenreißen.
„Nein bitte, bleiben Sie! Es ist alles in Ordnung. Nur die Aufregung!“
„Vor mir müssen Sie sich nicht fürchten!“ Ruhig der Ton, besonnen. Väterlich fast.