Vorhang auf.
„Sag nicht, du bist selbst der Bräutigam!“
„Lass mich endlich in Frieden!“
„Ha, ich hab recht! Na, das nenn ich Liebe, mit solchen Fetzen vor den Traualtar treten wollen, oder heiratest du schon zum dritten Mal, du Weiberheld?“
„Ich wiederhol mich gern: Trottel!“
„Jetzt sag schon: Wann ist dein großer Tag? Bei diesem Dreck, den du dir da Hals über Kopf kaufen willst, könnt man ja annehmen, du heiratest schon morgen?“
Und abermals verrät sich der Metzger durch sein Schweigen. Elende Kommunikation. Wie man’s macht, ist es falsch.
„Verdammt, Fleischerl, ich hab schon wieder recht.“
„Na und! Was ist dabei? Ich hab den alten Anzug erst heut probiert!“
Wahre Männer eben. Da wird kein Gschisti-Gschasti betrieben, sich nicht mit Nebensächlichkeiten wie Kleidergrößen oder Styling beschäftigt, geschweige denn ein Gedanke daran verschwendet, so etwas wie die Zeit könnte ab einem gewissen Alter nicht nur an Türstöcken, Kalenderblättern und Grabinschriften, sondern auch Hüften Spuren hinterlassen.
„Der größte Fehler, der einem Mann in einer Ehe passieren kann, ist ja bekanntlich die Eheschließung, trotzdem geht unsereins schon mit ein bisserl Stil zum Schafott, mein Lieber. Du kannst doch deine Zukünftige in keinem alten Fetzen heiraten!“
„Der Anzug war noch gut genug, und es spart Geld!“
„Dich von mir einkleiden zu lassen spart Geld und vor allem Sorgen. Ich bring dir einen passenden, da können sich dann die Wanzen wieder gut verstecken, hehehe!“
„Idiot.“
„Am besten ein guter Stoff mit hohem Stretchanteil. Sketchanteil in deinem Fall. Ach Fleischhauer. Mit dir hat man was zu lachen. Deine Zukünftige darf sich freuen. Und? Wer ist die Unglückliche?“
Drei Affen
Wenn Petar Wollnar eines ganz und gar nicht mag, dann Geheimniskrämerei. Als Unbeteiligter unter Zwang gestellt den Unschuldsknaben spielen zu müssen. So wie jetzt.
Denn Danjela bekommt Besuch.
Regelmäßig.
Und steigt die Personenzahl weiter so an, kann sie bald den FC Djurkovic gründen.
Hausmeister Petar Wollnar weiß nicht recht, wie er all seine Beobachtungen einordnen, sich verhalten soll. Sein Guckloch abkleben, um gar nicht erst in Versuchung zu kommen? Oder das Stiegenhaus für die restlichen paar Tage meiden, um sich weitere unerwünschte Begegnungen zu ersparen? Gäbe es so wie in diversen amerikanischen Bumm-Tschak-Filmen auch in Hausmeister Wollnars Revier eine großdimensionierte rückseitige Feuerleiter, über die sich die Guten und Bösen mit metallisch scheppernden Schritten hinterherhetzen oder ein Romeo heimlich zu seiner Julia ins Zimmer steigt, es würde zu diesen Begegnungen womöglich gar nicht kommen. Denn sowohl Danjela als auch ihre Besucher erwecken den Anschein, bevorzugt unsichtbar bleiben zu wollen. Nur warum?
„Wird Hochzeits-Überraschung!“, so Danjela Djurkovic vor wenigen Tagen.
Und es klang bedrohlich. Vor allem für den Metzger selbst. Armer Willibald.
Unvergesslich Danjelas Sammelgeschenk zu seinem Fünfziger. Zusammengelegt wurde, von all seinen Freuden, was nichts anderes bedeutete als: Der Metzger wurde von all seinen Freunden zusammengelegt, hintergangen, nur damit sich seine Holde endlich ihren Herzenswunsch erfüllen und mit ihm an der Adria urlauben konnte. Mit verbundenen Augen wurde er zum Bahnhof gebracht, in den Zug gesetzt, um dort völlig wehrlos vor vollendete Tatsachen gestellt zu werden. Tamtam, Zug fährt ab. Rückblickend ein Horror, das Ganze. Wie ein Betrüger ist sich Petar Wollnar damals vorgekommen.
Und nun scheint neuerlich irgendeine Ungeheuerlichkeit geplant?
Das Stiegenhaus hatte er gerade gewischt, als ihm die Djurkovic aus dem Oberstock entgegenkam. Sichtlich in Eile und doch mit einem gewaltigen Handikap ausgestattet.
„Das ist aber ein schwerer Koffer? Gehst du auf Reisen?“
„Reise! Gibt wohl nix schlechtere Zeitpunkt für Reise, kurz vor Hochzeit, oder?“
Gereizt ihr Ton.
Nein, mit Danjela ist aktuell keineswegs gut Kirschen essen, nicht einmal beim Konditor als Schwarzwälder.
Bei Petar Wollnar beißt sie aber auf Granit, denn das kann er, dem Unmut anderer mit Bedächtigkeit begegnen.
„Was immer du da so hektisch herumschleppst, aber soll ich dir nicht lieber tragen helfen, Danjela, bevor noch ein Unglück passiert!“
Ein wenig schien sie sich an der Nase zu nehmen, langsamer wurde sie aber deshalb nicht. Nur weiter, möglichst ungestört, so offenbar ihr Wunsch. Aus gutem Grund.
„Danke, Petar. Aber hab ich schon Unterstützung.“
Ein mächtiges Mannsbild kam ihr hinterdrein, ebenfalls einen Koffer in der Hand. Kahlköpfig, mit Narben quer über den Hals und Drachentätowierung diagonal über das Gesicht. Jetzt ist Petar Wollnar nicht unbedingt einer jener Herren, die man im Kino vor sich sitzen haben möchte, hinter diesem Monstrum aber würde sogar er verschwinden. Kein Wort mehr brachte er heraus, schon gar nicht zu dieser seltsamen Bemerkung Danjelas: „Wehe, verrätst du Willibald auch nur eine Wort, dann schwör ich bei alles, was ist mir heilig, gibt Probleme!“ Und wie gesagt, es klang bedrohlich. Auch alles Weitere: „Also machst du wie drei Affen: Siehst du nix, hörst du nix, sagst du nix! Hast du verstanden!“
Petar Wollnar war dieser eine Affe schon genug, der sich nun hinter Danjela an ihm vorbeischob. Die Djurkovic und ihr Gorilla.
Seltsame Zeiten sind das.
Auch weil der Metzger aktuell ja gar nicht in seiner Wohnung weilt, aus Liebe vor die Tür gesetzt und mit den Worten „Mein ich nur gut für uns!“ in die Werkstatt verbannt wurde. Und Petar Wollnar hat es schweigend registriert. Sollen Willibald und Danjela ihre Beziehungsprobleme handhaben, wie sie nur wollen, da mischt er sich schon aus reinstem Selbstschutz nicht ein. Aber jetzt? Ein fremder Mann?
„Ob du verstanden hast, Petar? Ist wichtig!“
Mit einem Kopfnicken der Bestätigung sah er den beiden verdutzt hinterher und war doch nicht überrascht. Denn im Grunde passt der Kerl haargenau in die Riege jener Gestalten, die hier in jüngster Zeit vermehrt durch die Gasse streunen. Und wirklich koscher ist ihm das alles nicht. Nur, was weiß man schon? Vielleicht stellt ihm ja seine Gewohnheit ein Bein, leidet er mittlerweile schon unter Verfolgungswahn, sollte er einfach weniger vor der Glotze sitzen und seine Action-Reißer konsumieren, FSK 16, weil wenn schon Volksverblödung, dann ordentlich. Das Hirn pausiert und irgendwelche Helden üben stellvertretend Rache für jenes Unrecht, das in dem eigenen Unterbewusstsein bereits auf Grund gelaufen ist und dort liegt wie ein verschollenes Atom-U-Boot. Es gibt Filme, die sprechen einfach aus der Seele, öffnen Ventile, hinterlassen in Petar Wollnar den Eindruck, obwohl er ja nur zuschaut, die Welt gerettet, das Böse dingfest und auf jeden Fall absolut das Richtige getan zu haben. Wie ein unfreiwillig auf Entwöhnung gesetzter Nikotinsüchtler beim Passivrauchen. Herrlichen Verbal-Tobak hat er da schon inhaliert, wahre Aufputschmittel. Sätze wie Heiligtümer.
Aus dem Film Ronin zum Beispiel.
„Wieso hast du Larry getötet?“
„Ach, der hieß Larry!“
Oder Rambo.
„Für wen hält sich dieser Kerl? Für Gott?“
„Gott kennt Gnade, er nicht.“
Dazu Bruce Willis in Stirb