Die Djurkovic und ihr Metzger. Thomas Raab. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Thomas Raab
Издательство: Bookwire
Серия: Der Metzger
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783709939277
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nur in derselben Gasse, sondern nur durch diese Gasse getrennt einander direkt gegenüber. Sogar auf gleicher Stockwerk-Höhe. Folglich konnten die einen vom Wohn- oder Elternschlafzimmerfenster aus in das Wohn- und Elternschlafzimmer der anderen blicken.

      Dort Vater, Mutter, Heribert.

      Hier Vater, Mutter, Willibald.

      Ob die Mutter Metzger den Vater Metzger jemals im Schlafzimmer der Mutter Senekowitsch erwischt hat, blieb zwar ein Geheimnis, dem plötzlichen Kontaktabbruch nach zu urteilen lag es aber durchaus im Bereich des Möglichen. Der kleine Heribert mit seinem Feldstecher war durch den Feldstecher des kleinen Willibald jedenfalls stets einwandfrei zu sehen. Ebenso die Senekowitsch-Mama in ihrem Nachthemd, ihrer Unterwäsche, ja, und mit viel Glück sogar ... pfuh, das waren Zeiten. Aufklärungsunterricht im Homeoffice sozusagen.

      Wunderschöne Zeiten.

      Nächte gab es, kaum schloss der Metzger seine Augen, da sah er in seinen Träumen die so herrlich üppige Senekowitsch-Mama an ihr Fenster treten, langsam auch noch die letzten Hüllen fallen lassen, ihren Zeigefinger an die Lippen legen – „Psst“ – und ihn mit der anderen Hand zu sich winken: „Komm rüber, Willi! Aber leise.“ Träume, die dann eines Tages …

      Heiß der Sommer. Die Kinder wie so oft mit dem Auftrag versehen: „Geht’s auf die Straße spielen, zum Abendessen seid ihr wieder da!“ All das ohne Handy-Ortung und Drohnenüberwachung. Der Begriff Straße eine weit über die Gasse hinausragende Ortsbeschreibung. Im Grunde war damit das ganze Grätzl bis hinaus zu den Glashäusern und Feldern des Vorstadtgärtners Prikopa gemeint.

      Alles dazwischen die Prärie:

      Die geparkten Autos mussten als Wagenkolonne der Siedler herhalten.

      Die Laternenmasten als Marterpfähle.

      Die Tauben als Geier.

      Und logisch war die Rolle des Winnetou fix vergeben, Heribert Senekowitsch somit der einzig mögliche Häuptling der Apachen, die übrigen Stammesbrüder leider alle tot.

      „Und was is mit Old Shatterhand, Heri?“

      „Den gibt’s net! Und jetzt rennts, ihr Wappler!“

      Er somit der einzige edle Wilde, ergo alle anderen irgendwelche unsympathischen Cheyenne, Komantschen, Kiowa oder gleich Bleichgesichter.

      Bewaffnet mit zwischen Daumen und Zeigefinger doppelt gespannten Gummiringerln zog man in den Kampf, geschossen wurde in der Regel mit kleinen Stanniolkugeln oder zu saftigen Patzen rundgelutschten Papiertaschentuchfetzen. Ja, und wo eben die Regel, da auch die Ausnahme.

      „Aber Heri, das ist verboten und gefährlich!“

      „Rennen sollt’s!“

      Nein, da kannte Winnetou kein Erbarmen, wenn er seine Munition aus der Hosentasche zog.

      U-Hakerl. In der Mitte gebogene Nägel mit zwei Spitzen, die sich höchst effektiv durch die Gegend schnalzen ließen. Wer da mit einem Stück nackter Haut die Flugbahn kreuzte, dem gnade Gott. Ja, und weil Sommer, eben auch viel solche nackte Haut.

      Heribert Senekowitsch zu entkommen war unmöglich.

      An diesem Nachmittag aber bohrte sich so ein U-Hakerl unmittelbar vor den Augen der in ihrem Strickwarengeschäft stehenden Senekowitsch-Mama in des Metzgers Hinterteil, und von da an wusste er, wie seine große Liebe eines Tages auszusehen hatte.

      „Schau dir den armen Willi an. Du Teufel, du ...!“ Hausarrest, Taschengeldentzug, Fernsehverbot, Spielsachen weg, und und und, das ganze Programm. „Komm, Willi, ich hol dir das U-Hakerl raus!“

      Im Schlafzimmer der Senekowitsch-Mama musste er sich auf die Tagesdecke aus Merinowolle platzieren.

      „Hier ist es weich. Und das wird jetzt wehtun, mein Liebling.“

      Wie Balsam auf seiner Seele, diese Worte. „Mein Liebling“. Von der zarten Hand auf seinem Allerwertesten ganz zu schweigen. Wie gut für den kleinen Willi, in dieser Situation auf – und somit irgendwie auch unter – dem Bauch gelegen zu sein. Ja ja. Haufenweise U-Hakerl hätte er sich damals hineinjagen lassen, der Metzger, nur um diesen wunderbaren Moment wieder erleben zu dürfen, diese erstmalige Ahnung von Erotik, den Geruch der Senekowitsch-Mama in seiner Nase. Die Augen schließen musste er vor lauter Glückseligkeit, jeder seiner Atemzüge der reinste Genuss.

      Kopfnote: Lychee, Pflaume, Orangenblüte.

      Herznote: Maiglöckchen, Rose, Jasmin.

      Basisnote: Amber, Sandelholz, Vanille.

      Kurzum: Joop! Le Bain.

      Erst Jahrzehnte später begegnete er diesem Duft erneut, um davon endgültig nie wieder loskommen zu wollen. An Danjela Djurkovic.

      Und wie er nun so ertappt in der Umkleidekabine steht, wird dem Metzger schlagartig klar: Wer weiß, hätte es die Senekowitsch-Mama nicht gegeben, vielleicht wäre ihm seine Danjela nicht gar so intensiv auch über die Nase in sein Herz gekrochen und müsste er heute gar keinen Anzug kaufen.

      „Geh mir nicht auf die Nerven und am besten dorthin, wo du hergekommen bist, Senekowitsch!“

      „Das geht nicht, du Pechvogel, hehehe!“

      Vorhang auf.

      „Verdammt, Senekowitsch!“

      „Ich arbeite hier!“

      „Als Spechtler, oder wie! Darf ich mir vielleicht vorher noch meine Hose anziehen, bevor du komplett in der Garderobe herinnen stehst?“

      „Meine Mutter würd sich über den Anblick jetzt sicher freuen, Fleischerl. Vorausgesetzt, sie könnt sich an dich erinnern!“

      Das trifft den Metzger natürlich, denn die Senekowitsch-Mama war ein guter Mensch.

      „Oh, das tut mir leid. Demenz?“

      Jetzt lacht er, der Heribert.

      „Wie kommst du auf Demenz, du Kasperl! Tot ist sie. So wie deine! Mit Demenz könnt sie sich wahrscheinlich nur an mich nicht erinnern, weil du warst ja immer der Vorzeigebub! Wenn’st wenigstens ein bisserl so wie der Willi wärst!“, hebt er kurz die Stimmhöhe.

      Kurz wird es still zwischen den beiden, weiß der Metzger nicht, was er darauf antworten soll, und auch Heribert Senekowitsch wirkt ein bisschen nachdenklich.

      „Aber ganz ehrlich, Fleischerl, ich freu mich wirklich, dich zu sehen. Bist schon verheiratet?“

      „Das geht dich aber wirklich nichts an?“

      „Wird schon werden. Auch ein blindes Hendl findet mal einen Hahn im Korb!“, streckt sich Heribert Senekowitsch empor, gertenschlank, wie er ist, und blickt über den Metzger hinweg in den Spiegel der Umkleidekabine. „Ich toller Hecht bin auch noch zu haben, möge das passende Katzerl also endlich den Stier bei den Hörnern packen, aufs richtige Pferd setzen und sich zum Schnurren bringen lassen!“

      „Dann würd ich an deiner Stelle nach einer Zoologin annoncieren!“

      Schallend jetzt das Lachen des Heribert Senekowitsch.

      „Nicht schlecht, Fleischerl. Das passt. Meine Traumfrau ist Tierärztin!“ Dabei mustert er den Metzger eindringlich und erklärt: „Was nicht passt, sind die Größen, die du dir ausgesucht hast, weil schlanker bist du ja nicht grad geworden. Außerdem würd ich an deiner Stelle in die Behindertengarderobe ausweichen ...“

      Vorhang zu.

      „Trottel!“

      „Du hast mich nicht ausreden lassen“, tritt Heribert Senekowitsch nach vor, grad, dass sich sein Gesicht nicht als Relief durch den Stoff schiebt. „Weil in der Behindertengarderobe ist mehr Platz zum Probieren, hehehe. Alles Anzüge, wie ich sehe! Lauter schwarze. Und einer preiswerter als der andere. Es soll also etwas Billiges, Geschmackloses sein? Für ein Begräbnis?“

      „Verschwind!“