Die Djurkovic und ihr Metzger. Thomas Raab. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Thomas Raab
Издательство: Bookwire
Серия: Der Metzger
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783709939277
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sicha glei sogn, Herr Major.“

      „Fünf bis sechs. Und wenn wir uns nun den großen Schädel hier ansehen, was zeigt uns das?“

      „Dass des ka verhungerter Langstreckenläufer mit Hendlhois, sondern eher a Gewichtheber woar. Und wenn der Bluza da mit dem fehlenden Rest insgesommt hundert Kilo hot, Herr Major, waraten des net fünf bis sechs, sondern acht Liter Blut!“

      „Stimmt zwar, Friedmann, aber das mein ich nicht!“, wandert der Lichtkegel einer Taschenlampe langsam von einem lose zwischen den Gleisen liegenden Kopf die Außenseite eines Güterzuges empor. „Denn selbst wenn der Kerl 200 Kilo hätte, sieht das hier mengentechnisch nicht nach Babyelefant, sondern nach Elefantenkuh aus, oder nach Giraffenhengst. Definitiv zu viel Blut für nur eine Person. Was schließen Sie daraus?“

      „21!“

      „Wie bitte kommen Sie grad auf 21, Friedmann? 21 Liter? 21 Personen?“

      Tage, verdammt nochmal. 21 Tage.

      An etwas anderes will Michael Friedmann neben diesem Lackaffen eigentlich gar nicht mehr denken müssen. Ein Widerling seit Minute eins. Stanislaus Pichlmayr. Riesig. Zwei Meter. Alles groß an ihm. Die Schuhe, die Uniform, die Nase, die Ohren, das Selbstbewusstsein, und mehr will Friedmann gar nicht wissen.

      „Sie sind also der mittlerweile landesweit bekannte Friedmann, dieser Spaßvogel. Ich bin Major Pichlmayr und darf Sie ablösen, also räumen Sie mein Büro!“, wurde er aus disziplinären Gründen seines Führungspostens enthoben.

      Ja, Führungsposten, er hatte die Zügel in der Hand. Und genau das wurde sein Pferdefuß. Nur eines lächerlichen Bubenstreiches wegen: Auf dem Heimweg war ihm zwischen den Mülltonnen so ein altes, ausgefranstes, braunes, bernhardinergroßes Spiel-Pferd ins Auge gestochen, eines, wie es bevorzugt Väter schnell noch vor Weihnachten bei irgendeinem Interspar von den Paletten fischen, mit durchaus beschämter Röte zwischen die tiefgekühlte Weihnachtsgans und den Perlwein auf das Förderband stellen. Auf dass es von den Kindern kurz beritten, dann in eine Ecke gestellt, im besten Fall noch vom Hund besprungen, angeknabbert oder markiert wird, bevor es endgültig in der Tonne landet.

      Und Michael Friedmann konnte nicht anders. Keineswegs aus Mitleid für das arme Pferdchen. Es hatte sich, welch Ehre, hoher Dienststellenbesuch angekündigt: Der damalige von ihm so verhasste Innenminister wollte seine Truppennähe zeigen und sich mit einem lachhaften Pseudo-Uniform-Jäckchen neben echten Polizisten ablichten lassen. Ergo hat Michael Friedmann an diesem geschichtsträchtigen Tag das ausgefranste, verdreckte Spiel-Pferd prominent als Besucherstuhl in seinem Büro platziert und sich zugegeben vielleicht doch eine Spur zu viel Mut angetrunken.

      „Bidde nehmen S’ Platz, Herr Sinnenminisda!“

      Entsprechend groß die Verwunderung: „Sind Sie betrunken? Und was soll das sein?“

      „Wenn’s groß is, so hats mir geflüstert, wills eins von Ihre Polizeipferderln werden, Herr Vonsinnenminisda!“ Das Sprechen fiel schwer.

      Keine Woche später stand Major Pichlmayr in der Tür, und nun sitzt Michael Friedmann, wie mittlerweile auch der Ex-Innenminister, auf verlorenem Posten. Nur mehr drei Wochen, 21 Tage. Dann feiert Major Pichlmayr Geburtstag und wird er ihm und seiner Frau ein unvergessliches Geschenk bereiten. Denn was er über Pichlmayr mittlerweile alles herausgefunden hat, wird den Kerl ruckzuck ziemlich abstürzen und wieder verschwinden lassen.

      Bis dahin aber heißt es schön brav bleiben, sich keinen weiteren Fehler erlauben, die letzten Tage an der Seite dieses Lackaffen überstehen und sich bitte möglichst keine Kugel einfangen.

      So leicht wie erhofft dürfte das allerdings nicht werden.

      Zeitig am Morgen wurde er aus dem Schlaf gerissen. Allein das ist schon eine Zumutung. Ganz zu schweigen von der Tatsache des gerade angebrochenen Urlaubstages. „Ich brauch Sie, Friedmann. Also hopp, Lulu gehen, Gesicht waschen, Zähne putzen und dann zu mir!“

      „Aber ich …!“

      „Ich wart schon draußen im Wagen. Glauben Sie mir, es zahlt sich aus!“

      Und in der Tat. Derartiges ist Friedmann noch nie untergekommen. Auch wenn es ein Weilchen gebraucht hat, durch die Menge aus Bahnarbeitern und Pressefotografen bis zu den Absperrbändern vorzustoßen. Ein paar jugendliche Sprayer waren in der Düsternis einer Güterbahnhofshalle gerade dabei, öffentliches Gut zu besudeln, und bekamen es dort derart mit der Angst zu tun, sogar die Polizei haben sie während ihrer überstürzten Flucht verständigt.

      Einer der abgestellten Züge musste als Leinwand herhalten. Darauf ein Gemälde. Nicht gesprüht, wie auf den Waggons daneben, sondern geschüttet.

      „Wobei, wenn Sie mit 21 die Anzahl der Personen meinen, wären das grob geschätzt 126 Liter Blut. Das könnte hinhauen, Friedmann, trotzdem ...!“

      „I hab schon g’merkt, wie leiwand Sie rechnen können, Herr Major, aber –“

      „Sag, wollen Sie mich verarschen?“

      „Wie kommen S’ auf so was, nichts läge mir näher!“ Und der selbstverliebte Herr Major bemerkt ihn nicht, den sprachlichen Kniff. Herrlich. Das sind dann eben die kleinen Freuden des Michael Friedmann. So auch gleich die nächste Improvisation.

      „Mit anazwanzg man i …!“

      „Bemühen Sie sich wenigstens, Friedmann!“

      „Womit!“

      „Schönsprechen!“

      „Sie manan a bisserl auf May Fair Lady. Gern. Mit einundzwanzig meine ich das Spiel, Herr Major. Siebzehn und vier. Black Jack. Wir müssen jeden Teil hier wie eine extra ausgespielte Karte betrachten. Der Kopf, der Güterwaggon, das Blut, ich vermute Schweineblut!“

      „Sie vermuten? Aha!“

      „Na ja, selbst wenn ich mir ein Kostproberl genehmig und den Waggon jetzt abschleck, könnt ich Ihnen nicht mit Sicherheit sagen, welches Lebewesen da zur Ader gelassen wurde. Aber allein die Menge spricht für Schweineblut!“

      Ein netter Spaß. Jeder weiß vom anderen haargenau, wie sehr das Gegenüber mit verdeckten Karten spielt und bestens informiert ist, und doch gönnt man sich den Luxus, einander für blöd zu verkaufen. Wie im wahren Leben. Politiker könnten die beiden werden.

      „Na dann, Friedmann. Blut vom Schwein also!“

      Diese Steilvorlage kann Michael Friedmann natürlich nicht ungenutzt lassen: „Schweine gibt’s bei uns ja wirklich mehr als genug.“

      Und logisch setzt Pichlmayr, in dessen Kindheit wohl so einiges gewaltig schiefgelaufen sein muss, nun nach. Entweder war der Herr Major ein unbeliebter Muster- oder ein dauergepiesackter Sonderschüler, anders gibt’s das nicht. Obendrein beschenkt mit offenbar recht originellen Eltern, die ihrem Sohn als Strafverschärfung für den Rest seines Lebens den Vornamen Stanislaus verpassen.

      Das kann nur in die Hose gehen.

      Und Michael Friedmann muss jetzt dafür büßen.

      „Da haben S’ recht, Friedmann. Mehr als genug: Bei uns hier werden Daumen mal Pi täglich 14.000 Schweine geschlachtet, in Deutschland rund 150.000, also 5,5 Millionen jährlich. Weltweit sind das 1,4 Milliarden. Also wie viel pro Sekunde?“ Major Pichlmayr leuchtet zurück auf den Schädel. „Ich helf Ihnen, Friedmann, 44,4 pro Sekunde!“ Er greift in seine Jackentaschen, zückt einen Kugelschreiber, geht in die Knie und deutet auf das kurze an dem Schädel verbliebene Stück Hals.

      „Hier, sehen Sie den durchgehenden, sauberen Schnitt? Kein Absetzen. Wie einst die Guillotine, weil wie Sie richtig bemerkt haben, nach einem abgemagerten Langstreckenläufer mit Hendlhals sieht der Kerl jetzt nicht aus! Eher Gewichtheber! Muss also eine verdammt scharfe, lange Klinge gewesen sein. Was meinen Sie?“

      Und auch wenn die beiden nun haargenau wissen, welche Tatwaffe hier am Werken war, nimmt keiner auch nur ein Wort mit Schwert oder gar Säbel in den Mund.

      „Nudelwalker