Die FROST-Chroniken 1: Krieg und Kröten. Susanne Pavlovic. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Susanne Pavlovic
Издательство: Bookwire
Серия: FROST-Chroniken
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783958691346
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und starben schier vor Angst.

      Er fuhr die Hand aus, zog sie wieder ein. Lauschte der Nachtigall. Versuchte, sich zu entscheiden – klopfen oder nicht, aber jedenfalls musste er runter von diesem Dach, seine Knie gaben gerade den Geist auf.

      Er versuchte, sein hämmerndes Herz zu beruhigen. Atmete in seine Mitte, stellte sich Sonnenstrahlen auf glitzerndem Wasser vor, raschelndes Schilf, glatte, sattgrüne Seerosenblätter. Wurde langsam ruhiger.

      Fiel fast vom Dach vor Schreck, als plötzlich neben ihm das Fenster aufging.

      »Jetzt komm schon rein, ehe die Nachbarn dich sehen.«

      Ihre Stimme. Er räusperte an seiner herum, fand keine Worte, gehorchte stumm. Kletterte durch das Fenster in ihre Stube, kam ungeschickt auf die Füße. Merkte selbst, dass er sie anstarrte wie der alte Trottel, der er war, aber sie war so schön, seine Erinnerung war ihr nicht gerecht geworden, er hatte den zarten Schwung ihrer Lippen vergessen und den warmen Schimmer in ihren Augen. Sie trug das Haar unbedeckt und zu einem lockeren Zopf geflochten, und seine Fingerspitzen kribbelten, weil er so dringend die welligen Strähnen berühren wollte, die sich um ihre Ohren ringelten.

      Sie stand, die Arme vor der Brust verschränkt, und musterte ihn wie er sie.

      »Du weißt also immer noch nicht, wie man eine Tür benutzt«, sagte sie.

      Er nickte. Sie machte einen Schritt an ihm vorbei und schloss das Fenster. Er fing einen Hauch ihres Duftes auf und ertrank in einer Flut von Erinnerungen.

      »Fünf Jahre«, sagte sie. »Du hättest dich wenigstens verabschieden können. Oder von unterwegs mal schreiben.«

      »Hab ich«, krächzte er. »Nur nie abgeschickt.«

      »So. Und wo warst du?«

      »Überall dort, wohin die wilden Schicksalswinde mich geblasen haben.«

      Er war froh, dass seine Stimme ihm wieder gehorchte, auch wenn seine Worte ihr nicht mehr als ein spöttisches Lächeln entlockten. Er hielt ihr das Buch hin. Sie nahm es entgegen, blätterte hinein, ihr Lächeln verlor den Spott.

      »Was ist das?«, fragte sie erstaunt.

      »Poesie aus dem Land hinter den Mandelbäumen.«

      »Du warst wirklich weit weg.«

      »Und in Gedanken immer bei dir.«

      »Das glaube ich dir nicht.«

      »Meistens. Sehr, sehr oft. Häufiger, als meinem Seelenheil zuträglich war.«

      Ihre Fingerspitzen strichen über das feine weiße Papier, die spinnenhaften fremden Schriftzeichen auf der linken Buchseite, seine eigene regelmäßige Schrift auf der rechten.

      »Ich dachte schon, ich hätte dich verloren.«

      »Wäre es das denn gewesen? Ein Verlust?«

      »Ach, Yuri.«

      Er klemmte die Daumen in den Gürtel. Er war so kurz davor, ihr Gesicht zu umfassen, sich zu ihr hinunter zu beugen, sie einzuhüllen und zu umschlingen und zu küssen, diese weichen Wangen, die zarten Lippen, die winzigen Fältchen rund um ihre strahlenden Augen. Seine Hände in ihrem Haar zu vergraben. Er tat nichts davon. Er hielt Abstand, mehr als eine Armlänge.

      »Wie waren deine Jahre, Florine? Wie geht es Danilo und den Kindern?«

      Sie drückte das Büchlein an sich, sah an ihm vorbei.

      »Elspe hat sich letztes Jahr bekannt. Zu einem sehr netten jungen Mann. Ein Kräutermischer mit eigenem Laden in der Altstadt.«

      »Tatsächlich«, sagte Yuriko erstaunt. »Wie schnell die erwachsen werden. Und? Bist du schon Großmutter?«

      »Noch nicht. Aber bald, nehme ich an. Tiril ist Küchenmeister in der Blauen Traube, seit drei Jahren. Er hat sich schnell hochgearbeitet. Wo er doch immer so träge war.«

      »Essen müssen die Leute immer«, sagte Yuriko. Etwas stimmte nicht mit Florine. Sie wirkte traurig.

      »Und du?«, fragte er behutsam. »Was ist mit dir?«

      »Was soll sein?« Ihre Stimme zitterte kaum merklich. »Ich lebe das Leben, das mir bestimmt ist. So gut ich kann.« Sie stockte. »Danilo hat mich verlassen«, sagte sie dann. »Letztes Jahr. Er hat eine Jüngere, drüben in Castra.«

      Die Kunde sank in ihn, gemächlich, entfaltete Wirkung, riss ihm Bilder vor das innere Auge.

      »Ich bringe ihn um«, sagte Yuriko. »Ich verkohle ihn, wo er steht, und aus seiner Asche presse ich einen Diamanten und schenke ihn dir.«

      »Das ist lieb«, sagte Florine und lächelte schwach. »Und sehr merkwürdig. Aber nein. Es würde nichts ändern – ich wäre danach immer noch die Frau, die von ihrem Mann verlassen wurde.«

      Er schwieg. In seinem Inneren erhob sich ein Jubelgesang, und er liebte sie genug, um sich dafür zu schämen.

      »Er war sehr rücksichtsvoll«, sagte Florine mit schmaler Stimme. »Ich durfte das Haus behalten. Ich habe überlegt, wegzugehen, aber wohin, ohne Mann? Und die Kinder brauchen mich hier. Und Galina. Verliert ihre Eltern, verliert ihren Lehrmeister, das arme Mädchen, sie sollte nicht auch noch ihre Tante verlieren.«

      Yuriko beschloss, den Vorwurf zu überhören, er konnte sich nicht um alles gleichzeitig kümmern.

      »Aber warum? Der kleine, blasse Wurm! Warum hat er dir das angetan?«

      »In den Papieren steht, ich sei meinen ehelichen Pflichten nicht nachgekommen. Ich sei widerborstig gewesen und ihm nicht zu Willen. Aber ich glaube, ich habe ihm einfach nur nicht den Gefallen getan, für immer jung zu bleiben.«

      »Was für ein dummer, hohler, ahnungsloser, grausamer, gemeiner Mensch. Und ich dachte immer, dass er so ein Langweiler war, sei das Schlimmste an ihm.«

      »Sprich nicht so über ihn. Ich habe ihm fast dreißig Jahre meines Lebens gewidmet. Das soll nicht völlig umsonst gewesen sein.«

      »Ich habe dir damals schon gesagt …«

      Sie sah ihn scharf an.

      Sein Mund schnappte zu.

      »Du warst gerade fünf Jahre wie vom Erdboden verschluckt, Yuri. Du bist mir nicht gerade ein leuchtendes Vorbild männlicher Zuverlässigkeit.«

      Er starrte auf seine staubigen Stiefelspitzen. Erschauerte, als er ihre leichte Hand auf der Schulter spürte.

      »Es war meine Entscheidung, ihn zu wählen«, sagte sie. »Ich hätte mit dir durchbrennen können. Du hast es mir oft genug angeboten. Und wir wissen nicht, was passiert wäre, wenn wir’s getan hätten. Aber ich habe entschieden und muss nun mit den Konsequenzen leben.«

      »Ich bin noch immer frei, falls du diesen Punkt überdenken möchtest.«

      Sie stemmte die Fäuste in die Hüften. »Das ist nicht dein Ernst.«

      »Na ja. Doch. Mutmaßlich. Also, es gibt diese junge Schönheit im Land hinter den Mandelbäumen, zu der ich mich vielleicht versehentlich bekannt habe, aber das ist so weit weg und …«

      »Yuriko Mandorak Frost!«

      »Ich verstand die Landessprache nicht! Sie hielten ein feierliches Ritual, und dann war ich plötzlich allein mit ihr und dann hat sie sich ausgezogen und, na, egal, jedenfalls bin ich sicher, dass, was auch immer es war, nach zentallinischem Recht nicht als Ehe gilt!«

      »Ist das deine Vorstellung davon, wie man sich einer Frau zu nähern hat? Du steigst zum Fenster ein und überfällst sie mit unsittlichen Anträgen?«

      »Zum unsittlichen Teil wäre ich erst noch gekommen.«

      Sie warf die Hände in die Luft. »Du hast dich wirklich überhaupt nicht verändert.«

      »Ich kann«, sagte er und hörte selbst die verzweifelte Hoffnung in seiner Stimme. »Flori, ich kann genau der Mann sein, den du dir wünschst.«

      »Yuri.