Die FROST-Chroniken 1: Krieg und Kröten. Susanne Pavlovic. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Susanne Pavlovic
Издательство: Bookwire
Серия: FROST-Chroniken
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783958691346
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      »Leise!«, rief jemand zwischen den Regalen. »Dies ist ein Ort der Gelehrsamkeit, kein Fischmarkt!«

      Galina sprang auf, griff sich Yuriko und zerrte ihn in die Höhe.

      »Haare«, ächzte der. »Au! Haare!«

      »Du kannst froh sein, dass ich dich nicht packe, wo’s noch mehr wehtut«, knurrte Galina, ließ aber immerhin seinen Zopf los und stieß ihn vor sich her zur Tür. Yuriko streckte hilfesuchend eine Hand nach Arkadis aus, aber die sah ihm nur erstaunt hinterher.

      Mit forschem Schritt und eisernem Griff um sein Handgelenk brachte Galina Yuriko in die zentrale Eingangshalle und vor ein Anschlagsbrett, das dicht an dicht mit Zetteln bestückt war.

      »Geh arbeiten«, sagte sie.

      »Huh«, sagte Yuriko, noch immer damit beschäftigt, seine empfindlichen Haarwurzeln zu massieren. »Was …?«

      »Such dir was aus, nimm den Zettel mit, erledige, was draufsteht und lass dich in der Poststelle auszahlen. Oder, nein. Ich sage der Poststelle Bescheid, dass sie mir direkt das Geld geben.«

      Weniger aus Interesse, sondern eher, weil er nicht nicht lesen konnte, überflog Yuriko die Angebote.

      Eine entlaufene Katze finden und nach Hause bringen.

      Ein Dutzend sehr seltene, sehr giftige Heideröhrlinge pflücken.

      Eine Rattenplage beheben – Ratten, so groß wie Woll­schweine

      Eine Hochzeitsgesellschaft mit verblüffenden Zaubereien unterhalten.

      Die Entlohnung, die man für diese entbehrungsreiche Arbeit zu erwarten hatte, war lächerlich gering.

      »Das ist ja Sklaverei«, sagte Yuriko. »Zu meiner Zeit gab’s das aber nicht.«

      »O doch«, sagte Galina. »Das Brett gab es schon immer. Es ist dir nur nie aufgefallen, weil es ja mit Arbeit zu tun hat.«

      »Galina, ich werde sicher nicht wie ein Jungstudent irgendwelche entlaufenen Katzen suchen. Es muss einen anderen Weg geben.«

      »Bitte sehr«, sagte sie und stemmte kämpferisch die Fäuste in die Seiten. »Nur zu.«

      »Was ist denn mit Arkadis´ Siegel? Hast du schon etwas herausgefunden?«

      »Ist das der Versuch eines Themawechsels, oder willst du sie zu Geld machen?«

      »Es ist der Versuch, in alle Richtungen zu denken.«

      »Ich hab’s abgezeichnet, aber es sagt mir nichts. Du musst es dir selbst ansehen.«

      Yuriko nickte. Im Gehen nahm er noch den Zettel von der Hochzeit mit und den von der entlaufenen Katze. Der Tee in der Bank war das Einzige, was er heute in den Magen bekommen hatte, und er fühlte sich schon ganz schwach.

      Galinas Zeichnung war beinahe fertig. Sorgfältig mit Tinte auf hellem Papier aufgetragen, sah das Siegel sehr viel arkaner aus als in der irritierenden Umgebung von Arkadis´ Gesicht. Yuriko fügte letzte Kleinigkeiten hinzu und vertiefte sich dann in den Anblick. Die doppelte Acht war das Hauptelement. Sie kanalisierte das Arkanum, da war er ziemlich sicher. Aber diese seltsamen, unsymmetrischen, wirren Schnörkel?

      Konnte das Schrift sein?

      Er nahm ein neues Stück Papier und malte das Siegel ab, ließ aber die Doppelacht weg. Die Zeichen sahen immer noch aus, als wäre ein betrunkenes Huhn übers Papier geeiert.

      Er hob den Blick. Arkadis und Galina sahen ihn erwartungsvoll an.

      »Hetzt mich nicht«, sagte er. »Arkadis – du musst mir alles aufschreiben, was du darüber weißt. Wer es angebracht hat, und wo, und warum. Was sich bei dir verändert hat, seit du es trägst.«

      Er schob ihr Papier und Stift hinüber. Sie setzte an, doch ehe sie das erste Wort niedergeschrieben hatte, wurde sie von einer unsichtbaren Kraft nach vorne gedrückt. Sie krümmte sich über dem Tisch, atmete gepresst, ballte die Hände zu Fäusten. Der Stift zerbrach zwischen ihren Fingern. Yuriko und Galina sprangen erschrocken auf. Galina war schneller bei Arkadis, fasste sie um die Schultern und sprach erschrocken auf sie ein. Arkadis kippte steif wie eine Puppe vom Stuhl. Blut lief ihr aus dem Mundwinkel. Yuriko stand hilflos und schaute auf die krampfende Arkadis hinunter. Rund um ihn wurden Studenten aufmerksam und näherten sich neugierig.

      »Fallsucht«, murmelte einer schaudernd.

      »Götterfluch«, vermutete ein anderer.

      »Verzieht euch«, knurrte Yuriko. »Hier gibt’s nichts zu sehen. Einer von euch kann rennen und einen Arzt holen. Na los!«

      Einer der Studenten trabte davon. Yuriko steckte die Zeichnungen ein, bückte sich dann zu Arkadis und hob sie hoch. Sie zitterte und krampfte in seinen Armen weiter, während er sie nach draußen in die Sonne trug und sie ins Gras legte. Galina folgte.

      Es dauerte, bis Arkadis langsam ruhiger wurde. Ihr Atem ging mühsam, aber immerhin atmete sie. Inzwischen war sie ohnmächtig.

      »Was war das denn«, flüsterte Galina erschüttert. »Fallsucht? Wirklich?«

      »Nein«, sagte Yuriko düster. »Ich fürchte, ich bin schuld. Ich habe den Siegelfluch ausgelöst, indem ich sie bat, mir aufzuschreiben, was sie weiß. Der gleiche Zauber, der sie am Sprechen hindert, hindert sie auch am Schreiben.«

      »Aber hat er dir nicht seinen Namen aufgeschrieben?«

      »Vielleicht war der Name harmlos genug.«

      Galina ließ sich neben Arkadis ins Gras plumpsen und tupfte ihr – ihm – mit dem Ärmel die Stirn ab.

      »Wir werden alles selbst herausfinden müssen«, sagte Yuriko. »Fangen wir doch damit an, zu klären, ob wir Mann oder Weib vor uns haben.« Er streckte die Hand nach Arkadis´ Hosenbund aus und bekam von Galina empfindlich auf die Finger.

      »Eine ohnmächtige Person befingern, so weit kommt’s noch!«, schimpfte sie. »Du schreckst doch vor nichts zurück!«

      »Wär’s ein Kerl, wäre ich schnell fertig mit Befingern«, sagte Yuriko ungnädig. »Und wär’s ein Weib, würde sie sich vielleicht nicht mal beschweren.«

      »Du bist widerlich.«

      »So harte Worte aus so einem hübschen Mund. Pass auf. Du versuchst, etwas über das Blumensymbol in der Mitte herauszufinden. Ich kümmere mich um die seltsamen Zeichen. Ich halte sie für Schrift, aber ich weiß nicht, welche. Immerhin habe ich jemanden, den ich fragen kann. Wenn er mich nicht in die sieben verfluchten Abgründe jagt. Sei so gut und mach eine zweite Reinzeichnung, ja?«

      »Warum?«

      »Na, damit jeder von uns eine bei sich tragen kann.«

      »Ich meinte, warum hilfst du ihm? Er wird dich kaum bezahlen können.«

      Yuriko sah auf Arkadis hinunter.

      »Sie war unter meiner Treppe. Sie hat dort wer weiß wie lange auf mich gewartet. Ich meine, sie hätte zu Kraka gehen können, oder? Hat sie aber nicht getan. Sie hat ein Problem, und sie kann nicht mal drüber sprechen, und ich bin der Mensch, den sie sich als ihren Retter ausgesucht hat. Reicht das nicht?«

      »Bei jedem anderen schon, aber bei dir habe ich Zweifel.«

      Yuriko holte die Zeichnung aus der Tasche und hielt sie Galina hin. »Mach dich an die Arbeit.«

      Galina zog widerstrebend ab. Bis der Arzt eintraf, war Arkadis wieder wach, wenn auch sehr benommen, und Yuriko hatte sich eine Geschichte rund um eine arkane Entladung zurechtgelegt. Glücklicherweise sah der Arzt keine Notwendigkeit, sich die Zunge zeigen zu lassen, sondern beschränkte sich darauf, Puls und Herzschlag zu kontrollieren und mit einem kleinen arkanen Licht in Arkadis´ Augen zu leuchten. Was auch immer er dort zu sehen bekam, stellte ihn wohl zufrieden, denn er empfahl nicht mehr als einige Tage Bettruhe für die Patientin und mehr Achtsamkeit beim Zaubern. Dann hielt er Yuriko die offene Hand hin, doch der schickte ihn nachdrücklich zur Poststelle weiter.

      Arkadis