Ein Thron aus Knochen und Schatten. Laura Labas. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Laura Labas
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783959912945
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Bis ich zwölf war, hatten meine Eltern für mich entschieden. Lucy hatte die Verantwortung nahtlos übernommen, bis ich fast mein siebzehntes Lebensjahr erreicht hatte, und danach … ja, die Zeitspanne, in der ich Teil der Gilde gewesen war, hatte sie mir gehört? War ich es gewesen, die die Jahre auf der Jagd verbracht und unzählige Schattendämonen getötet hatte, nur weil ich nicht an die wahren Personen herankam, die meine Wut verdient hatten? Ich war mir nicht mehr sicher, wie viel davon mir gehörte, und es war frustrierend.

      Gareth riss mich endlich aus diesen trübsinnigen und überwältigenden Gedanken, als er Dorians Zimmer verließ, um den König mit Noah allein zu lassen. Er schien nicht sonderlich überrascht, mich hier anzutreffen, oder er war lediglich wieder einmal gut darin, seine wahren Gefühle vor mir zu verstecken. Ich hatte die Veränderung nach der Bestattung durchaus bemerkt. Er wollte mich nicht mehr an sich heranlassen. Ich konnte nicht mal sagen, ob ich ihn gefühlsmäßig jemals berührt hatte, da er Menschen noch immer verabscheute. Er würde nicht mal mit der Wimper zucken, würde die Menschheit über Nacht ausgelöscht werden.

      »Was ist?«

      In dem Sonnenlicht, das durch das Fenster am Ende des Flurs trat, waren seine Augen heller, als ich sie je gesehen hatte. Meistens begegneten wir uns in der Nacht, außer wir absolvierten unser Spezialtraining, doch da gingen mir in der Regel andere Dinge durch den Kopf als seine Augen. Wie zum Beispiel, dass ich mich würde übergeben müssen, sollte er mich noch weitere zehn Meter antreiben.

      »Ich brauche dein Blut«, sagte ich so gelassen wie möglich, obwohl ich innerlich vor Nervosität Purzelbäume schlug.

      Er starrte mich an.

      »Ich brau-«, setzte ich erneut an, doch er hob eine seiner vom Kämpfen gezeichneten Hände, um mich zum Schweigen zu bringen.

      »Ich habe dich schon verstanden.« Sein Stirnrunzeln verriet allerdings, dass ich ihn mit meiner Forderung verblüfft hatte. »Normalerweise muss ich dich dazu zwingen.«

      Ich nickte. »Das ist wahr. Aber meine Rippen sind mindestens geprellt und ich muss dafür sorgen, dass die anderen vernünftig trainieren. Das kann ich nur, wenn ich zu hundert Prozent dabei bin. Glaub mir, ich würde lieber etwas anderes trinken, aber da das Schlimmste jetzt ohnehin schon eingetreten ist …« Ich ließ den Satz ins Leere laufen und zuckte mit den Schultern.

      »Das Schlimmste? Deine Bindung an mich.« Ich versuchte in seinem Gesicht zu lesen, doch seine Stirn hatte sich geglättet und gab nichts mehr preis. »Okay.«

      Nachdem ich meine Tasche aufgehoben hatte, setzten wir uns stillschweigend in Bewegung.

      Das Gewicht schmerzte, aber es hätte noch mehr wehgetan, wenn Gareth die Tasche für mich getragen hätte. Das hätte mein Stolz nicht verkraftet.

      Wir erreichten das Zimmer, das ich auch das letzte Mal belegt hatte, nur dass es dieses Mal nicht leer war. Elle wartete auf mich und stürzte nun auf mich zu, um ihre langen, dünnen Arme um mich zu schlingen.

      Verblüfft ließ ich die Tasche fallen und erwiderte die Umarmung. Ich hatte ganz vergessen, wie gerne ich die junge Königsdämonin hatte. Ich versuchte mir meine schmerzenden Rippen nicht anmerken zu lassen.

      »Hey«, lächelte ich sie an, als sie mich endlich wieder losließ.

      »Du bist zurück!«, rief sie unnötigerweise aus. Ihr hübsches Gesicht, das von samtigen braunen Locken umrahmt wurde, strahlte. Sie sah ihrer Tante Liliana unglaublich ähnlich. Dann entdeckte sie Gareth und das Lächeln erstarb. Ich wusste, dass sie großen Respekt vor dem düster dreinblickenden Königsdämon hatte, weshalb ich sie von ihrem Leid erlöste.

      »Ich habe noch was zu erledigen. Vielleicht möchtest du bei Bird auf mich warten? Sie ist auch eine Jägerin, aber verletzt«, schlug ich vor. »Ich komme sofort nach.«

      Sie nickte eifrig.

      »Wirst du sie finden?«

      »Ich frage jemanden«, antwortete sie zuversichtlich, drückte mich noch einmal kurz und verschwand dann in ihrem wehenden Kleidchen aus dem Zimmer. Ich fürchtete mich vor dem Tag, an dem sie erwachsen wurde und erkannte, dass eine Freundschaft zwischen Mensch und Dämon unmöglich war.

      Ich stutzte. Aber war es das wirklich? Sah ich Noah nicht als meinen Freund an?

      Gab es für mich nur einen Unterschied zwischen Königsdämonen und Schattendämonen, weil Erstere direkt für den Tod meiner Familie verantwortlich waren? Ich hatte mir selbst stets gesagt, dass ich lediglich Jagd auf Schattendämonen machte, um zu trainieren und stärker zu werden, damit ich eines Tages einen Kampf gegen Königsdämonen gewinnen konnte. Bedeutete dies also, dass ich mich niemals mit Königsdämonen anfreunden könnte? Nicht einmal mit Elle?

      »Soll ich dich mit deinen wichtigen Gedanken allein lassen oder können wir die Sache jetzt hinter uns bringen? Ich habe nicht den ganzen Tag Zeit«, meldete sich Gareth recht verärgert zu Wort.

      Ich rollte mit den Augen, schloss die Tür hinter mir und entledigte mich meiner schwarzen Lederjacke. Mein Blick blieb währenddessen auf Gareth gerichtet, der seine Jacke ebenfalls auszog, sie aufs Bett legte und dann einen kleinen Dolch hervorzog, den er immer in einem Gurt direkt auf seiner Brust trug.

      Es faszinierte mich auf eine makabre Art und Weise, wie er die Klinge an seinem Unterarm ansetzte und sich selbst eine Verletzung zufügte, um die meine zu lindern.

      »Ich werde nicht so viel brauchen«, erklärte ich leise.

      »Lass mich das entscheiden«, erwiderte er in schroffer Manier.

      Das Blut quoll rot und dickflüssig hervor, während ich mich Gareth näherte. Er hielt mir den Arm hin, den ich mit meinen Händen rechts und links neben der Wunde umfasste und dann an meinen Mund führte. Als der Lebenssaft meine Lippen benetzte, vergaß ich, dass es sich um Blut handelte, schloss meine Augen und genoss den Geschmack von Honig und Sommer auf meiner Zunge. Es war ein berauschendes Gefühl.

      Gareth stand hinter mir. Trotz des Highs konnte ich die Wärme seines Oberkörpers, der nur wenige Zentimeter von meinem Rücken entfernt war, spüren. Vielleicht war es auch nur Einbildung, doch seine Nähe ließ mich erzittern.

      »Das reicht.«

      Gareth zog seinen Arm zurück. Anstatt beschämt die Augen zu schließen, wie ich es sonst immer tat, suchte ich aktiv seinen Blick und wurde nicht enttäuscht. Die seinen verrieten, dass in ihm ein ebenso emotionaler Sturm herrschte wie in mir. Er war nicht schnell genug, die Maske der Gleichgültigkeit wieder aufzusetzen. Als es ihm jedoch gelang, ging ich nervös ins Badezimmer, um zwei Handtücher zu holen. Ich reichte ihm eines für seine Wunde und nutzte das andere, um das Blut von meinem Mund zu wischen.

      »Würdest du mir einen Gefallen tun?« Bei meinen Worten hielt er inne, sah mich aber nicht an. »Würdest du Clarke und Ty Bescheid geben, dass ich mit ihnen den Trainingsplan durchgehen möchte? Am besten nach dem Abendessen. Oder dem Frühstück. Ich habe vergessen, welchem Zeitplan wir hier folgen. Das gibt uns allen noch Zeit, uns vorher auszuruhen.«

      »Was ist mit Noah?« Er gab mir das Handtuch zurück. Die Blutung war bereits gestillt.

      »Ihm sage ich selbst Bescheid.« Ich lächelte unwillkürlich. »Kann ja nicht von dir verlangen, dass du dich meinetwegen in seine Nähe begibst.«

      Kurz dachte ich, ihm ein Lächeln entlockt zu haben, doch da war der Moment bereits verstrichen und ich war mir sicher, Opfer einer weiteren Einbildung geworden zu sein.

      Er nickte.

      »Wir treffen uns auf der Terrasse. Halte dich an den kürzesten Weg«, wies er mich an, bevor er davonschritt.

      Kapitel Vier

      Ich stellte mich unter die Dusche, um mich zu beruhigen. Im Gegensatz zum Camp war das Wasser hier zwar eher lauwarm als wirklich heiß, aber es war allemal besser als in meinem Apartment. Dort hatte ich nicht ein einziges