»Alison! Hör auf damit, dumm in die Gegend zu starren, und setz dich endlich in Bewegung!«, schnauzte mich Clarke an und baute sich wie ein brummiger Bär vor mir auf.
»Ja, Sir.« Ich grinste und schob die verwirrenden Gedanken von mir weg.
Nachdem wir ein paar trockene Schlagabfolgen geübt hatten, nahm ich Ophelia erneut als Partnerin und kämpfte gegen sie, ohne sie zu verletzen. Es war schwierig, da ich noch mehr Kraft aufwenden musste, die Schläge vorher ins Nichts laufen zu lassen. Glücklicherweise konnte sie die meisten abblocken.
Nach dem Rollentausch lief es etwas anders, da sie mir kräftemäßig unterlegen war, doch sie machte vieles durch ihren Eifer wieder wett. Schon bald standen wir schweißüberströmt und außer Atem einander grinsend gegenüber.
»Das hat tatsächlich Spaß gemacht«, gab ich etwas widerwillig zu. Ich konnte Phi noch immer nicht sonderlich leiden, aber ich sah inzwischen mehr in ihr außer ihrer Vernarrtheit in Gareth.
»Irgendwie schon«, stimmte sie langsam zu.
»Wenn ihr fertig seid, euch gegenseitig in den Hintern zu kriechen … Ihr seid immer nur so stark wie das schwächste Glied in eurer Mannschaft. Teilt euch auf«, wies uns Ty zurecht.
Schnaubend ging ich auf Ian zu, der eigentlich kein Gegner für mich war, doch der Dämon hatte recht. Wir mussten alle mehr oder weniger auf demselben Stand sein, sonst würden wir uns gegenseitig nur behindern.
Ian mangelte es vor allem an Schnelligkeit. Er wirkte in seinen Abschlüssen träge und behäbig, als würde er einen Sack Kartoffeln auf seinem Rücken tragen. Kopfschüttelnd brach ich unseren Kampf ab. Verwundert sah er mich an.
»Du musst lernen, flinker zu werden. Dein Oberkörper bewegt sich langsamer als deine Beine, dadurch offenbarst du eine viel zu große Schwäche«, erklärte ich leise, aber bestimmt. Er hörte mir interessiert und wissbegierig zu. Ja, er wollte sich eindeutig verbessern. Unser Trainer trat näher. Er hatte uns die ganze Zeit beobachtet, aber vehement geschwiegen.
»Es wird helfen, wenn du an deiner Kondition arbeitest, zusätzlich solltest du an deinen Koordinationsfähigkeiten feilen. Ty, kennst du ein paar Übungen, die ihm dabei helfen?«
Er schien überaus zufrieden damit zu sein, dass ich ihn um Rat gefragt hatte, anstatt blind etwas vorzuschlagen. Sein Lächeln war breit und freundlich. »In der Tat.«
Den Rest des Trainings verbrachten Ophelia und ich damit, Ian und Hadley zu unterstützen. Ich hatte überhaupt nicht bemerkt, wie weit sie tatsächlich hinter uns zurücklagen.
Um Mitternacht stahlen wir uns wieder nach draußen. Auf dem Tisch lagen Handtücher, Wasser und diverse Snacks bereit. Ich wischte mir über die schweißnasse Stirn, ehe ich meinen Durst stillte. Noah wartete bereits auf uns.
»Warum gefällt mir nicht, wie du guckst?«, lachte ich, als er sich zu mir gesellt hatte. Er hatte sein dunkelbraunes Haar zurückgekämmt und trug trotz des kühlen Winds nur ein T-Shirt und eine Sporthose.
»Das kann ich dir nicht beantworten. Ich finde, ich sehe heute wieder ziemlich unwiderstehlich aus.«
»Ja, total.« Ich verdrehte die Augen, legte das Handtuch zurück und folgte ihm mit den anderen tiefer in den Garten. Wieder wurden Erinnerungen an meine Beinaheflucht wach. Fast wäre ich entkommen, wenn ich nicht Zeuge eines Treffens zwischen Dorian, Arias und Evan geworden wäre. Ein Treffen, das nach wie vor Fragen aufwarf, welche ich bisher gekonnt umgangen hatte. Wann hatte ich das letzte Mal an Evan gedacht? Ich erinnerte mich nicht. Das Leben als Jägerin der Gilde erschien mir weit entfernt und damit auch meine Beziehung zu ihm. Hatte ich Evan wirklich geliebt? Zugegeben, mich hatte es beinahe zerstört, von ihm auf diese brutale Art verlassen zu werden, aber nur beinahe. War es da nicht viel eher um meinen verletzten Stolz gegangen? Mitten in der Nacht von seinem Freund verlassen zu werden, war nicht gerade etwas, mit dem es sich gut leben ließ.
Wir erreichten einen von hohen Hecken umgebenen Bereich, in dem Noah vier Zielscheiben aufgestellt hatte, die jeweils anderthalb Meter voneinander entfernt standen. Auf einem Tisch lag ein großer Haufen Wurfsterne. Ich wusste, ich hätte Noahs zufriedenem Grinsen nicht trauen sollen. Einmal während des Trainings hatte ich ihm verraten, dass ich Wurfsterne nicht ausstehen konnte. Ich arbeitete lieber mit Wurfmessern. Sie waren um einiges berechenbarer.
»Hervorragend«, grummelte ich und stellte mich vor den Tisch, um die metallenen Sterne in die Hand zu nehmen. Es gab sowohl fünf- als auch vier- und dreizackige Sterne, die allesamt im Licht gefährlich aufblitzten.
Wir sollten uns alle mit ein paar Sternen eindecken und dann zeigen, was wir konnten. Die Zeiten, in denen ich Waffen nur in Noahs unmittelbarer Nähe benutzen durfte, waren vorbei.
Aber anstatt sofort zu beginnen, beobachtete ich zu Beginn Hadley, der neben mir stand. Ohne zu zögern, versenkte er sechs Sterne hintereinander in dem roten Bereich der Zielscheibe. Sprachlos starrte ich ihn an.
Er bemerkte meinen staunenden Blick und lächelte gutmütig. »George hat Wurfsterne geliebt«, war seine Erklärung, ehe er die seinen zurückholte.
George war der Anführer ihrer kleinen Waisenkindergang gewesen, wenn ich mich recht erinnerte. Er war auch derjenige, der in den Tempel des Aeshma eingebrochen war, um mehr über die Dämonen zu erfahren. Hadley hatte außerdem erzählt, dass er bei einer Explosion sein Leben verloren hatte.
Um nicht weiter blöd dazustehen, versuchte ich mich schließlich an ein paar Würfen, erkannte jedoch sehr schnell, dass ich Welten davon entfernt war, so gut wie Hadley zu sein. Es war einer der wenigen Momente, in dem ich mich den anderen Novizen unterlegen fühlte. Die Stärke und die Schnelligkeit, die mir der Schlüssel gab, halfen mir in dieser Situation nur wenig.
»Was sage ich dir andauernd?« Noah blieb neben mir stehen. »Pass auf deine Hüfte auf. Sie besteht weder aus Gummi noch aus Stein.« Ich warf erneut und verfehlte die Mitte. »Der Stern ist kein Messer, Alison. Lockere dein Handgelenk.« Seine Zurechtweisungen gingen noch Minuten weiter, bis mein Geduldsfaden riss und ich die Sterne fallen ließ.
»Kannst du mal bitte aufhören, mich andauernd zu kritisieren?«, knurrte ich wütend.
Noah verschränkte die Arme vor seiner Brust. Im Schein der Gaslampen erkannte ich seine selbstgefällige Miene und ahnte, dass er nichts sagen würde, was mich erfreute. »Hast du dich jetzt schon so sehr von Gareths Hochmut anstecken lassen?«
»Ich bin nicht hochmütig«, antwortete ich indigniert.
»Du hältst dich für was Besseres«, formulierte er seinen Vorwurf um, als würde er dadurch wahrer werden.
Ich schnaubte. »Und du denkst, nur weil Gareth und ich uns nicht mehr anbrüllen, dass ich gleich auf seiner Seite bin.«
»Bist du denn auf meiner?«
»Wieso seid ihr überhaupt auf zwei verschiedenen Seiten?«
»Das geht dich nichts an«, sagte er und stampfte davon. Ich war kurz davor, ihn gehen zu lassen, entschied mich aber dagegen. Man ließ Freunde nicht einfach wütend das Gespräch beenden. Zumindest nahm ich das an, da ich nicht sonderlich viel Erfahrung in dem Bereich gesammelt hatte.
»Noah!«, rief ich und schloss zu ihm auf, als er bereits die Hälfte des Weges zurück zum Haus hinter sich gelassen hatte. Ich hoffte, die anderen würden uns nicht folgen und einfach weitertrainieren.
Der