Ein Thron aus Knochen und Schatten. Laura Labas. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Laura Labas
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783959912945
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hatte eine vor vielen Jahren hautnah miterlebt, doch die Erinnerungen daran waren verschwommen. So oder so, er hatte nicht wirklich Lust, eine Antwort auf seine Frage zu erhalten, während er sich noch mitten in der Gefahrenzone befand.

      Von der Decke rieselte Putz und Staub, ein paar Gläser zerschellten, ansonsten schien das Haus nicht betroffen zu sein. Die Detonation musste weiter entfernt stattgefunden haben. Plowth war eine der größten menschlichen Niederlassungen, die heute noch existierten. Was in früheren Zeiten einem Dorf geglichen hätte, war heute eine Großstadt. Colin schätzte die Einwohnerzahl auf eintausendfünfhundert.

      Er stürzte nach draußen und fand sich beinahe sofort in den Armen eines Milizsoldaten wieder. Billings’ Miliz. Zumindest ließen ihn die blauen Schulterklappen an der Uniform zu dem Schluss kommen, obwohl das übliche Abzeichen auf der Brust fehlte. Seiner schnellen Musterung entging allerdings nicht, dass ein Schatten an dieser Stelle zu sehen war, als hätte man das Abzeichen in aller Eile entfernt.

      Seine Instinkte nahmen Überhand. Hände griffen nach ihm und er duckte sich unter ihnen weg, wich zur Seite aus und zog seine beiden Kurzschwerter, die er in einer ledernen Halterung an seinem Rücken trug, hervor. Sobald er die Schwerter in den Händen hielt, stand er bereits wieder sicher mit beiden Beinen auf dem Asphalt, atmete tief durch und griff dann den Soldaten an.

      Es dauerte nicht lange, da hatte Colin ihn zwar mit einem gut gezielten Schlag gegen den Kopf mit einem Schwertknauf abgelenkt – das Beste, was er bei einem Königsdämon zu tun imstande war -, als ihm klar wurde, dass er einen längst verlorenen Kampf bestritt. Es wimmelte von Soldaten. Sie arbeiteten sich wie Ameisen in jede noch so kleinste Ecke vor, doch anstatt Menschen abzuschlachten, wie Colin es im ersten Moment erwartet hatte, schlugen sie diese bei Gegenwehr nieder oder fesselten sie, wenn sie aufgaben.

      Es widerstrebte ihm zutiefst, seinen Rückzug anzutreten, aber seine Befehle waren eindeutig: Kehre unter allen Umständen zur Basis zurück.

      Die Zähne zusammenbeißend wirbelte er herum und nahm den kürzesten Weg aus der Stadt hinaus in die Richtung, in der er am ehesten Deckung finden würde. Ein gutes Stück dahinter schloss sich ein Waldstück an, in dem er in der Dunkelheit würde verschwinden können, sollte er dieses rechtzeitig erreichen. Das einzig Gute daran, dass Billings in seiner Miliz lediglich auf Königsdämonen setzte, war, dass diese weniger gut in der Nacht sahen als Schattendämonen. Außerdem konnten sie Schatten nicht für sich nutzen. Mit ihnen hätte Colin es kämpferisch zwar eher aufnehmen können, aber wenn es darum ging zu fliehen, würde er diesen Vorteil brauchen.

      Schon bald ließ er die größte Menschenmenge hinter sich, obwohl ihn weiterhin laute Schreie und flehende Rufe verfolgten. Dann hielt ihn mitten auf einer engen Asphaltstraße eine einzelne Königsdämonin auf.

      Die Frau grinste ihn an, während sich ihre Fänge über ihre vollen Lippen schoben und ihre Krallen gefährliche Ausmaße annahmen. Die Pupillen in ihren Augen verschwanden. Es konnte aber auch sein, dass Colin dieses Detail lediglich in seinem Kopf ergänzte, da das Licht eigentlich zu schlecht war, um es wirklich sehen zu können.

      »Du willst schon nach Hause?«, fragte sie mit diesem für Dämonen eigentümlichen Akzent, die in ihrer Welt geboren und aufgezogen worden waren, bevor sie die Erde betreten hatten.

      »Die Party hat mir nicht gefallen«, lächelte Colin kühl zurück, darauf bedacht, sich nicht anmerken zu lassen, wie der Angstschweiß seine Kleidung durchtränkte. Er war nicht dumm. Vorhin hatte er Glück gehabt. Normalerweise gelang es ihm nur gerade so, einem Königsdämon zu entkommen. Aber zwei in einer Nacht? Colin wollte sein Glück ungern überstrapazieren, doch so wie es aussah, blieb ihm gar keine andere Wahl.

      »Wie schade.« Sie zog eine Schnute, was durch die verlängerten Raubtierfänge seltsam verzerrt aussah. Nach einem kurzen Blick auf seine beiden Kurzschwerter fügte sie dem einen Dolch, den sie in der linken Hand hielt, noch einen zusätzlichen hinzu. »Wir wollen doch die Chancen ausgleichen.«

      Colin schnaubte, musterte dabei jedoch genau die Umgebung. Sie befanden sich in einer kleinen Straße, die rundum von verwilderten Gärten eingerahmt wurde. Er würde keine Chance haben, rechtzeitig auf ein Dach zu klettern, um von dort aus zu flüchten. Der Boden war uneben, bestand aus einem Gemisch aus aufgebrochenem Asphalt und Kieselsteinen. Nachdenklich fuhr er mit seiner Sohle darüber und erzeugte ein knirschendes Geräusch. Er erblickte ein kleines Gartenhaus zu seiner Linken und wusste, was zu tun war. Die Dämonin schien keine Eile zu verspüren, wirkte neugierig und selbstsicher. Sie zweifelte keine Sekunde an das Ende dieses Gefechts. Sie würde siegen. Und wenn es schlechter für sie aussah, dann würde sie einfach auf ihre Fähigkeit, Menschen zu manipulieren, zurückgreifen.

      Er selbst hatte bisher keine Erfahrungen damit gemacht, weshalb er nur aus zweiter Hand wusste, dass die weniger Begabten unter ihnen direkten Hautkontakt brauchten, um ihre Opfer zu steuern. Er würde ihrer Berührung also genauso entkommen müssen wie ihren Waffen.

      Leider fühlte sich Colins Verstand wie leer gefegt an. Er roch Qualm, Feuer und Blut, während die Schreie hinter ihm noch immer andauerten. Schweiß rann ihm ins Auge. Er blinzelte und dann sah er es. Seine Rettung.

      Es galt lediglich, sie in eine bestimmte Richtung zu treiben. Das war alles. Also stürmte er auf sie zu, schweigend, ohne Kampfgebrüll, das hatte er sich schon vor Jahren selbst ausgetrieben. Es half nicht ihm, sondern seinem Gegner, der dann erkannte, wann genau er angriff.

      Die Dämonin wich nicht aus, duckte sich nicht und wirkte auch sonst in keiner Weise so, als würde sie klein beigeben, ganz so, womit Colin gerechnet hatte.

      Als sie nur noch einen Meter voneinander entfernt waren, hob Colin seinen linken Arm, täuschte eine Bewegung nach rechts an und versuchte, so verängstigt wie möglich auszusehen. Sie kaufte ihm die Finte natürlich ab. Alle Dämonen waren der Überzeugung, dass sich Menschen bei einer Begegnung mit ihnen in die Hosen machten und so falsch lagen sie damit nicht.

      Da sie ihren Körper nach rechts schob, um ihn aufzuhalten, konnte er fast schon lächerlich einfach mit seiner Klinge in ihren ungeschützten Oberkörper eindringen. Blut spritzte hervor, als er das Schwert quer über ihre Seite zog, bevor er selbst einen stechenden Schmerz verspürte.

      Er war so auf seinen eigenen Täuschungsversuch bedacht gewesen, dass er die Schnelligkeit der Dämonin außer Acht gelassen hatte.

      Ja, sie war auf seine Finte hereingefallen. Ja, er hatte sie verletzt. Leider hatte sie auch schneller reagiert, als er ihr zugetraut hatte. Das dunkelrote Haar wehte vor seinem Gesicht.

      Sie beide stoben auseinander. Nur vage nahm Colin wahr, wie schwer seine Verletzung war, da er sein Opfer nun genau dort hatte, wo er es haben wollte. Bevor er reagieren konnte, spürte er ein Zupfen an seinem Bewusstsein und er wusste, dass sie versuchte, sich seiner zu bemächtigen. Der Wunsch, die Klinge in seinen eigenen Bauch zu stoßen, wurde beinahe überwältigend stark. Er beobachtete, wie seine Hände das Kurzschwert weiter anhoben und drehten, während sich noch immer ein kleiner Teil von ihm dagegen wehrte, aber er kam nicht dagegen an. Die Klinge kam seinem Brustkorb immer näher. Das Verlangen, sich selbst zu verletzen, übernahm jeden Gedanken, bis die Königsdämonin vor ihm stöhnte, als würde sie sich erst jetzt des Schmerzes in ihrem Bauch bewusst. Ihre Konzentration musste ihr kurzzeitig verloren gegangen sein, denn der Wunsch, sich selbst aufzuspießen, wurde wieder kleiner und Colin nutzte die einzige Chance, die sich ihm hier bot.

      Allein von Wut und Adrenalin getrieben überbrückte er die geringe Distanz zwischen ihnen. Mit einem gezielten, wenn auch leicht wackligen Tritt beförderte er sie rücklings durch die offene Tür eines Gartenhauses.

      Ohne weitere Zeit zu verlieren, kam er zum Stehen, griff nach der Tür und knallte sie zu. Anscheinend besaß er doch mehr Glück, als ihm bewusst gewesen war, denn es befand sich noch ein einfaches Schloss an dem Türeisen, das er mit einem endgültigen Klicken einrasten ließ.

      Danach hob er sein zweites Kurzschwert auf, das er im Lauf hatte fallen lassen, und rannte davon. Der Schuppen würde nicht ewig der übernatürlichen Stärke einer Königsdämonin standhalten. Ihr Zorn würde sie dazu antreiben, ihn zu suchen und zu erledigen. Es lag an ihm, ihr nicht die Möglichkeit dazu zu geben.