Ein Thron aus Knochen und Schatten. Laura Labas. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Laura Labas
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783959912945
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konnte. Er würde kein zweites Mal entkommen können.

      Also brachte er selbst in seinem miserablen Zustand möglichst schnell möglichst viel Abstand zwischen sich und ihr, achtete dabei jedoch weiterhin auf seine Umgebung, um sich nicht erneut in einer derartigen Situation wiederzufinden. Schließlich aber musste er in einer wie ausgestorben wirkenden Straße kurzzeitig innehalten, um seine Wunde zu versorgen. Das Blut tropfte bereits auf den Boden und würde die Dämonin direkt zu ihm führen.

      Stöhnend schnitt er sein blutiges Unterhemd auseinander. Einen Teil knüllte er zusammen und presste ihn direkt auf die tiefe Stichwunde, die hoffentlich nicht seine Organe beschädigt hatte. Den anderen nutzte er, um diese zu verbinden. Es war provisorisch, aber es würde halten, bis er die Stadt hinter sich gelassen hatte. Hoffentlich. Eilig zog er sich wieder an, bevor er für lange Zeit nicht mehr zurücksah. Ignorierte die Schreie. Atmete den Rauch ein und dachte nicht über die Ursache nach. Schließlich trat er in den Wald, hielt sich sehr nahe am Rand und ging gen Osten, um die Stadt weiterhin im Auge zu behalten.

      Als er sich sicher war, genug Distanz zwischen sich und den Ort seines Eintretens in den Wald gebracht zu haben, suchte er sich einen Baum mit dichter Baumkrone heraus. Es war schwieriger, als es sich anhörte. Auch hier im Süden hatte der Herbst eingesetzt, raubte den Bäumen aber erst allmählich ihre Blätter. Noch färbten sich die meisten lediglich bunt.

      Colin fand schließlich den perfekten Baum und streckte seine Arme aus, ehe er vor Schmerz zusammenzuckte. Es würde die reinste Folter werden, mit seiner Verletzung den Baum zu erklimmen. Aber was blieb ihm anderes übrig? Er war entkommen, ja, doch er wusste nicht, wem oder was er entkommen war und nur solche Informationen waren wichtig für Teagan.

      Tief durchatmend nahm er die Schmerzen in Kauf und kletterte an den robusten Ästen nach oben bis in die dichte Baumkrone.

      Eine Weile lang geschah nichts. Keine Geräusche drangen zu ihm vor und auch der Rauch über der Stadt schien sich zu lichten. Niemand war ihm gefolgt, was er als ein gutes Zeichen wertete.

      Er saß auf einem dicken Ast, war mit dem Rücken an den Stamm gelehnt und hielt eine Hand auf seine Wunde gepresst. Es tat verflucht weh. Insbesondere, da allmählich das Adrenalin verebbte und der Müdigkeit Platz machte.

      Schließlich, kurz bevor er einnickte, nahm er eine Bewegung am östlichen Rand der Stadt wahr. Eine Prozession machte sich auf den Weg in nördlicher Richtung. Die Karawane wanderte um die Stadt herum, als wüsste sie, dass die Straßen durch die Explosion unpassierbar geworden waren.

      Am liebsten wäre er ihnen gefolgt, aber mit seiner Verletzung würde er es, wenn überhaupt, nur noch ins Basislager schaffen.

      Er schätzte, dass man jeden Bewohner, den man hatte finden können, in Fesseln mitschleppte. Die Frage war nur, wieso? Was wollte Billings mit diesen Menschen? Jeder wusste, dass er sie als Abschaum, als Ungeziefer betrachtete und sie am liebsten tot sehen wollte, oder? Zumindest hatte Colin diese Art von Gerüchten bisher als wahr empfunden.

      Vor sich hin grübelnd beobachtete er die Kolonne, bis sie hinter der Stadt aus seinem Sichtfeld verschwand. Daraufhin stieg er von seinem Baum und humpelte zurück nach Plowth. Er hoffte, wenn nicht seines, dann immerhin irgendein Pferd zu finden. In der Kolonne waren höchstens zwei Dutzend dabei gewesen und es war sicher anzunehmen, dass die Königsdämonen zumindest mit ein paar ihrer eigenen Tiere angereist waren.

      Er strich sich sein längeres rostbraunes Haar zurück, das kaum noch von seinem Haargummi zusammengehalten wurde, bevor er merkte, dass er sich überall Blut hinschmierte.

      »Hervorragend«, grummelte er wenig begeistert, verzog das Gesicht, als der Schmerz kurzzeitig an Intensität gewann, und schleppte sich dann weiter in Richtung Stall, den er zuvor benutzt hatte.

      Plowth wirkte wie ausgestorben, was es vermutlich auch war. Colin konnte nicht mal Katzen oder Hunde sehen, die noch vor wenigen Stunden umhergestreunt waren. Dann nahm er den scharfen Geruch von verbranntem Fleisch wahr und er wusste, was ihn erwartete, noch bevor er die Hauptstraße erreichte.

      Wenige Meter von dem Lokal entfernt, in dem er vorhin mehr oder weniger gemütlich getrunken hatte, war ein Scheiterhaufen errichtet worden. Er brannte noch an einigen Stellen, aber das Feuer schien an Kraft verloren zu haben. Verkohlte Leichen waren übereinandergestapelt worden. Colin drehte sich von Übelkeit übermannt weg. Anscheinend waren nicht alle bereit gewesen, widerstandslos abgeführt zu werden.

      Eilig entfernte er sich von diesem grausamen Ort und vernahm schon bald das laute, unruhige Wiehern der Pferde. Vor Erleichterung wäre Colin beinahe hier und jetzt zusammengebrochen. Das konnte er sich allerdings nicht leisten, wenn er überleben wollte.

      Er konnte kaum glauben, dass die Dämonen keine Verwendung für die Pferde gehabt hatten. Waren sie so auf ihre Aufgabe fokussiert gewesen, die Menschen fortzubringen? So wie es aussah, war ihnen daran gelegen, keine Zeugen zurückzulassen und so viele Menschen wie möglich zum Mitgehen zu bewegen. Wieso nur?

      Darüber musste er sich später Gedanken machen. Es galt fürs Erste, von hier zu verschwinden, wenn er nicht riskieren wollte, erwischt zu werden. Vielleicht würden sie ein paar Königsdämonen zurückschicken, um zu überprüfen, ob hier auch wirklich niemand überlebt hatte.

      Im Stall selbst öffnete er die Boxen der schnaubenden, unruhig tänzelnden Pferde, die kaum zögerten, diesen Ort zu verlassen. Auch sie hatten Tod und Verderben gerochen. Bei seinem Pferd machte er halt. Es würde ein Kraftakt werden, den großen Braunen zu satteln, aber mit dem Sattel würde Colin auch den Proviant zurücklassen müssen, der sich in den Taschen befand.

      »Kurz und schmerzlos«, murmelte er immer wieder, ignorierte den schneidenden Schmerz und lobte Tessla, der sich trotz des Gestanks von verbranntem Fleisch benahm. Zur Belohnung hielt Colin dem Hengst ein paar Karottenstücke hin, die er immer in der Satteltasche dabeihatte.

      Schließlich konnte er aufsteigen und dem Morgen entgegenreiten. Die Welt verschwamm immer wieder vor seinen Augen, während der Schmerz abnahm und durch Taubheit ersetzt wurde. Colin war in der Medizin ausreichend bewandert, um zu sagen, dass dies kein gutes Zeichen war. Das Blut, welches seine Jacke von innen tränkte, und seine fahrigen Bewegungen verstärkten seine Ahnung.

      »Schneller, Tessla«, spornte er den Braunen an und beugte sich tiefer, bis er mit seinem Gesicht fast die wehende Mähne berührte. Die Sonne hatte ihren Zenit bereits überschritten und näherte sich immer mehr dem Horizont zu seiner linken Seite, nun da er sich Richtung Norden bewegte. Er hielt sich stets nahe oder auf einer Straße, auf der das Pferd hin und wieder einem stehen gebliebenen Auto ausweichen musste.

      Erst bei Einbruch der Nacht gönnte er sich und seinem Pferd in einer fremden Stadt eine Pause. An diesem Ort, der so verlassen war wie die meisten anderen, die er passiert hatte, führte er Tessla durch ein offen stehendes Tor in einen der grasbewachsenen Gärten. Er selbst taumelte benommen ins Haus und suchte verzweifelt nach etwas, mit dem er die Wunde neu verbinden konnte.

      Er hatte Glück. Das Haus war recht unbeschadet. Schien vielleicht nur einmal von Räubern und Umherwandernden durchsucht worden zu sein, die ein oberflächliches Chaos zurückgelassen hatten, bevor man es sich selbst überlassen hatte. Im Badezimmer stellte er erleichtert fest, dass die Wasserleitungen intakt waren und kaltes, klares Wasser ausspuckten. Er fand außerdem ein paar Leinenbetttücher, die er in gleichmäßige Stücke zerschnitt und so als Verband nutzen konnte. Die Verletzung würde, sobald er das Camp erreichte, gesäubert und genäht werden. Er hoffte einfach, dass es bis dahin nicht schon zu spät sein würde.

      Obwohl er unruhig war, fand er ein paar Stunden Schlaf, um sich dann nach Mitternacht wieder in den Sattel zu setzen. Tessla schien vollkommen ausgeruht und genoss den Trab über die Felder neben einem Highway, auf dem sich kilometerlang Autos aneinanderreihten.

      Zwei Tage später erreichte er fiebrig und halluzinierend das Camp der Rebellen, das sich südlich von Ascia befand. Sie zogen alle paar Wochen in ein neues Quartier, um einer Entdeckung zuvorzukommen, doch es würde dauern, bis es das nächste Mal so weit war.

      Das Lager war in einem ehemaligen Erziehungscamp inmitten von Wald errichtet worden.