Allzu leicht verliere ich mich in dem Gefühl seiner Lippen. Er bewegt sich langsam, entzündet mit seinen Küssen ein Feuer in meinem Bauch. Irgendwie hat Reed es geschafft, das Unmögliche zu erreichen. Tyler und der Shitstorm, den er vor weniger als zwanzig Minuten losgetreten hat, sind vergessen.
Reeds Arme spannen sich um mich und ziehen mich näher an sich heran, bis ich eng an seinen Körper gepresst bin. Alle seine harten Linien an meinen weichen Kurven.
Er bewegt sich, neigt den Kopf, teilt seine Lippen, ich tue das Gleiche. Seine Zunge gleitet in meinen Mund und streicht über meine. Ich stöhne leise, als eine Welle der Empfindungen über mich schwappt und mein Körper vor Verlangen kribbelt.
Hat Reed eine Ahnung, wie wehrlos mich dieser Kuss macht?
Gerade als ich denke, dass er ihn vertiefen will, zieht er sich zurück. Mein Verstand schlägt Purzelbäume, als die Neuronen in meinem Gehirn wieder anfangen zu arbeiten.
Ist das wirklich passiert?
Oder war es ein Hirngespinst meiner Fantasie?
Ich ziehe einen zittrigen Atemzug ein. Dann noch einen. Ich öffne die Augen, mein Blick trifft auf Reed, der mich aufmerksam beobachtet. Die Hitze, die in seinen Augen brodelt, lässt etwas in mir explodieren.
Er drückt seine Stirn gegen meine, sein warmer Atem streicht über meine Lippen.
Ich zerbreche mir den Kopf, was ich sagen kann, aber mein Kopf bleibt leer, mir fällt nichts ein.
"Wir sollten gehen", murmelt er und bricht das Schweigen, als ob er meine Welt nicht mit einem einzigen Kuss erschüttert hätte.
Eine Million Fragen rasen an die Oberfläche, aber ich gebe keiner von ihnen eine Stimme. Stattdessen nicke ich und ziehe mich zurück. Die Nachtluft strömt über all die Stellen, an denen Reed mich eben noch mit seinem Körper gewärmt hat. Das Gefühl des Verlustes ist verheerend. Ich hebe meine Finger und streiche über meine Lippen. Ich kann mir nicht erklären, was gerade passiert ist.
Ich bücke mich und nehme die High Heels. Mein Wohnhaus ist nur ein paar Blocks entfernt. Ich möchte fragen, warum er mich geküsst hat, aber ich schweige. Es war wahrscheinlich nichts. Eine Art Trostpflaster. Reed hat schon immer körperliche Nähe als normal betrachtet. So ist er nun einmal. Das Letzte, was ich tun will, ist, daraus jetzt eine große Sache zu machen. Ich will nicht wie eine dumme Jungfrau aussehen, es war schließlich nur ein Kuss zwischen Freunden, eine symbolische Geste der Freundlichkeit.
"Kann ich eine blöde Frage stellen", sagt er und unterbricht das chaotische Gewirbel meiner Gedanken.
"Es gibt keine blöden Fragen", antworte ich und plappere Frau Jones, eine meiner Lieblingslehrerinnen aus der Grundschule, nach. Ich bin mir ziemlich sicher, dass sie das Motto am Ende des Schuljahres bereut hat. Es gab zu viele idiotische Jungs in dieser dritten Klasse. Und sie stellten eine Menge Fragen.
"Wieso bist du noch Jungfrau?"
"Ich korrigiere mich", sage ich. "Es gibt dumme Fragen."
"Was?" Er schaut mich schief an. "Es ist ja nicht so, dass du keine Freunde gehabt hättest. Daher ist das eine legitime Frage."
Er hat recht, ich war schon mit einigen Jungs aus. Aber ich ließ keinen von ihnen nah genug an mich heran, um eine intime Beziehung aufzubauen.
In der Highschool konzentrierte ich mich auf meine Noten und auf die Vorbereitungskurse für das College, die auf meinem Zeugnis gut aussehen würden. Ich wusste, dass ich nicht wie Reed ein Stipendium bekommen würde. Also habe ich als Babysitter gearbeitet, um Geld zu verdienen, und erhielt schließlich ein Teilstipendium sowie eine dringend benötigte finanzielle Unterstützung.
Bedauere ich es, mein soziales Leben auf Eis zu legen, damit ich meine akademischen Ziele verfolgen kann?
Nicht wirklich. Ich wäre nicht an der Southern, wenn ich mir nicht in der Highschool den Arsch aufgerissen hätte.
Das haben Reed und ich gemeinsam. Während ich mich auf meine Noten konzentrierte, war er damit beschäftigt, sich voll und ganz dem Eishockey zu widmen. Nicht, dass er ein Faulpelz wäre, wenn es um die Schule geht. Er hat diese schwer zu fassende Kombination aus Hirn und Muskeln. Während ich mir Stipendien sichern musste, um den Weg für meine Zukunft zu ebnen, wurde Reed zu einem Eishockey-Phänomen, um seine Träume zu verwirklichen.
In dieser Hinsicht haben wir beide unsere Ziele erreicht.
"Em?"
Ich merke erst, dass ich mich in meinen Gedanken verloren habe, als er meinen Namen sagt.
Ich zucke mit den Schultern. "Ich denke, es gab schon immer wichtigere Dinge, auf die man sich konzentrieren kann."
Hätte ich jemals gedacht, dass es so weit kommen würde und ich in meinem letzten Collegejahr noch Jungfrau sein würde?
Natürlich nicht. Ich ging davon aus, dass ich irgendwann einen Mann treffen würde, der mir etwas bedeutet, und dass es auf natürliche Weise geschehen würde. Aber das ist nicht der Fall gewesen.
Von all den Jungs, mit denen ich mich verabredet habe, habe ich mit keinem auch nur annähernd die Art von Beziehung geführt, die ich mit Reed habe. Er ist mein bester Freund. Derjenige, an den ich mich wende, wenn ich ein Problem habe oder Neuigkeiten, die ich jemandem mitteilen möchte. Ich kann ihm alles sagen. Fast alles. Solange ich nicht jemanden finde, der ihm ähnlich ist, bin ich nicht sicher, ob ich jemals meine Unschuld verliere. Ohne es zu merken, habe ich Reed als Maßstab für alle Jungs, mit denen ich zusammen war, benutzt. Und sie haben ihm nicht das Wasser reichen können.
Tyler eingeschlossen. Was er heute Abend getan hat, war schmerzhaft, aber ich bin nicht untröstlich über den Verlust.
"Es ist nur …" Er hält kurz inne, "überraschend." Sein Blick fällt auf meinen.
"Ja, ich verstehe. Dein Verstand ist völlig überfordert."
Wenn wir über ein anderes Thema diskutieren würden, wäre seine schockierte Reaktion urkomisch. Aber ich kann nicht darüber lachen oder es beiseiteschieben. Es fühlt sich zu persönlich an.
"Ich hätte nie gedacht …", murmelt er, mehr zu sich selbst als zu mir.
Die Vorstellung, in meinem Alter noch Jungfrau zu sein, ist für ihn sicher unfassbar. Reed hatte seit dem zweiten Jahr an der Highschool Sex. Und er war nicht mal derjenige, der mir diese monumentale Neuigkeit mitgeteilt hat. Es war Cari Smith, das Mädchen, mit dem er geschlafen hat.
Unfähig, sich zu beherrschen, suchte Cari mich am nächsten Morgen vor der ersten Stunde auf, damit sie mir alle schmutzigen Details mitteilen konnte. Bevor Reed ins Spiel kam, waren Cari und ich cool miteinander. Wir waren nicht besten Freundinnen oder so etwas, aber wir waren auch keine Feinde. Das änderte sich, sobald Reed begann, sie zu beachten. Plötzlich war ich eine Konkurrentin, die ausgeschaltet werden musste.
Ich bin sicher, dass sie dachte, ihre neu gewonnene Intimität mit Reed würde ihre Beziehung zu ihm festigen.
Aber das war nicht der Fall. Er hat sie einen Monat später abserviert, weil sie zu viel seiner Zeit beanspruchte. Wie ich war auch Reed zu sehr auf seine Zukunft konzentriert, um zuzulassen, dass ihm etwas in die Quere kam.
Ich war nicht traurig, als sie ging.
Tschüss, Schlampe.
Seitdem gab es viele Frauen in seinem Leben und seinem Schlafzimmer. Aber keine blieb lange. Ein paar Tage. Ein paar Wochen. Vielleicht einen Monat. Sobald sie besitzergreifend wurden und anfingen, sich eine gemeinsame Zukunft vorzustellen, hat Reed sie an die Luft gesetzt.
Wenn es um Sex geht, sind Reed und ich meilenweit voneinander entfernt. Die Erkenntnis bewirkt, dass ich mich dumm und naiv fühle. Ich möchte nicht, dass diese neu gewonnenen Informationen Reeds Meinung von