Letzter Sommerabend am Meer. Wolf S. Dietrich. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Wolf S. Dietrich
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783954752171
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meinst du das?« Katharina hatte sich aufgerichtet und warf mit einer Handbewegung ihr langes dunkles Haar über die Schultern.

      »Nur so. Ganz allgemein.« Erik zuckte mit den Achseln. »Wer welche Koje kriegt, entscheiden wir, wenn es so weit ist. Natürlich haben die Damen den Vortritt. Ich dachte allerdings, dass jedes Pärchen …«

      »Das hat doch Zeit«, unterbrach Benny ihn. »Ich finde Kathis Vorschlag gut. Erst mal auf ’ne kürzere Fahrt und danach den Trip nach Helgoland. – Braucht man dafür nicht einen Hochseeschifferschein? Hast du den überhaupt?«

      »Klar«, gab Erik zurück. »Jedenfalls so gut wie. Donnerstag mach ich die Prüfung.«

      »Und einen Tag später willst du mit uns nach Helgoland schippern?« Julia konnte ihre Bedenken nicht verbergen.

      Erik winkte ab. »Die Prüfung ist nur theoretisch. Mehr oder weniger Formsache. Mit meinem Sportküstenschifferschein kann ich jetzt schon überall hinfahren. Ist ja eine private Fahrt auf ’ner privaten Yacht. Genug Praxis habe ich. Mach dir keine Sorgen!« Sein Lächeln war strahlend und entwaffnend zugleich. »Wir machen einen Ausflug zur Insel Neuwerk, und wenn es dir nicht zusagt, findet der Helgoland-Törn ohne dich statt. Einverstanden?«

      »Okay.« Julia nickte erleichtert. »Tagesausflug ohne Übernachtung – da bin ich dabei.«

      Dennoch blieb bei ihr eine Spur Skepsis zurück. Sie nahm sich vor, Katharina zu fragen, was sie von Eriks Plänen hielt. Die Freundin verhielt sich in seiner Gegenwart anders als sonst. Ruhiger und zurückhaltender. Darum musste sie unter vier Augen mit ihr sprechen. Von Benjamin konnte sie kein unvoreingenommenes Urteil erwarten. Er bewunderte seinen Freund und stand ein wenig in dessen Schatten. Das hätte er zwar nie zugegeben, aber ihm fehlte es an Selbstbewusstsein, um sich Eriks Führungsanspruch entziehen zu können. Er kam aus kleinen Verhältnissen; seine Mutter war Verkäuferin in einer Filiale des Bäckers und Konditors Itjen, der Vater arbeitete als Monteur bei der CuxStahl in der Turbinenproduktion. Erik dagegen war mit dem sprichwörtlichen silbernen Löffel zur Welt gekommen. Seine Eltern führten ein großes Hotel, das zu einer bekannten Kette gehörte. Ihnen gehörte eine Villa in Duhnen und ein Geschäftshaus in der Fußgängerzone. Die Mutter, hieß es, hätte hochwertige Immobilien in Hamburg geerbt. Sie hatten viel Geld, aber wenig Zeit für ihren Sohn. In Benny hatte er einen Freund gefunden, der sich seiner schon in der Grundschule angenommen, ihm den Weg durchs Amandus-Abendroth-Gymnasium geebnet und mehr als einmal vor dem Scheitern bewahrt hatte. Dafür musste Erik ihm dankbar sein. Vielleicht war er das auch, andererseits hatte Julia gelegentlich das Gefühl, dass Erik seinem Freund die besseren Noten und das Glück einer intakten Familie neidete.

      Katharina unterbrach ihre Gedanken. »Mir ist heiß. Ich geh’ ins Wasser. Wer kommt mit?«

      Eine gute halbe Stunde verbrachten die Freunde im klaren Meerwasser des Freibades. Während sie schwammen und tauchten, sich gegenseitig jagten und unter die Wasseroberfläche drückten, fing Julia hin und wieder Eriks Blick auf. Er war schwer zu deuten, eine Mischung aus Bewunderung und neugieriger Erwartung. Obwohl sie sich nun schon länger kannten, hatte sie diesen Ausdruck so noch nie bei ihm gesehen.

      Unter der Dusche deutete Julia mit einer Kopfbewegung in Richtung Toiletten und sah ihre Freundin fragend an. Katharina nickte. »Ich komme mit.«

      »Wie findest du das?«, fragte sie auf dem Weg. »Ich meine die Idee mit Helgoland.«

      »Nicht schlecht«, antwortete Kathi. »War schon lange nicht mehr da. Und so ein Trip zu viert ist bestimmt krass. Wir, also Erik und ich, waren schon ein paar Mal mit der Yacht unterwegs. Zu zweit ist es nicht sooo spannend, weil er ständig mit den Segeln und dem ganzen Zeug und mit Navigation beschäftigt ist. Aber er kann das, hat alles im Griff. Du brauchst dir keine Sorgen zu machen. Auf dem Deck in der Sonne zu liegen und aufs Meer hinausschauen – das ist schon megacool. Wenn wir zu viert fahren, haben wir bestimmt jede Menge Fun. Außerdem …« Sie brach ab und sah sich um.

      »Außerdem?«

      »Ich möchte Erik den Spaß nicht verderben. Er will die neue Yacht seines Vaters vorführen und zeigen, was er kann. Wenn ich dagegen bin, ist er wahrscheinlich sauer. In letzter Zeit lief’s nicht so gut bei uns, wir hatten ein paar Mal Streit. Nach dem Helgoland-Trip ist er bestimmt wieder besser drauf. Ich habe nächste Woche Urlaub, dann wollen wir uns ein paar schöne Tage machen.«

      »Dann soll das so eine Art Paartherapie werden?« Julia schüttelte unbewusst den Kopf. »Ich glaube nicht, dass es funktioniert.«

      »Vielleicht doch.« Kathi sah ihre Freundin bittend an. »Es ist jedenfalls eine Chance. Für Erik ist diese Tour total wichtig. Auch dass ihr dabei seid. Zusammen werden wir unseren Spaß haben. Komm mit, Jule! Es ist nicht gefährlich. Und es kostet nichts.«

      Julia spürte, wie sehr Katharina am Gelingen des Vorhabens lag. »Also gut«, sagte sie schließlich, »ich überleg’s mir. Wenn es mir bei unserer Probefahrt auf dem Boot gefällt, komme ich mit.«

      Am Abend vor dem geplanten Ausflug nach Neuwerk rief Katharina an. »Wegen unseres Segeltörns«, erklärte sie. »Wir fahren doch schon morgen nach Helgoland. Es gibt nur noch drei schöne Tage. Danach wird es kühl und regnerisch und bleibt voraussichtlich längere Zeit unbeständig. Wann wir dann noch fahren können, ist ziemlich ungewiss. Deshalb möchte Erik nicht warten. Mit Benny hat er schon gesprochen, er ist dabei. Du kommst doch auch mit, oder?«

      Julia zögerte mit einer Antwort. Einerseits reizte sie das Abenteuer. Die Wettervorhersage fürs Wochenende war gut. Eigentlich sprach nichts gegen den Törn. Andererseits war ihr die Vorstellung, zwei Nächte in der Koje einer Segelyacht zuzubringen, nicht ganz geheuer. »Ich weiß nicht, Kathi. Das kommt jetzt ein bisschen überraschend.«

      »Du hast es mir versprochen«, drängte Katharina. »Bitte, Jule. Lass mich jetzt nicht hängen!«

      Julia atmete tief durch und schob ihre Bedenken beiseite. Was sollte schon schiefgehen? Sie waren zu viert. Erik besaß einen Segelschein und konnte mit der Yacht umgehen. Zur Not konnten sie ja immer noch umkehren. »Also gut. Ich bin dabei. Wann und wo treffen wir uns?«

      Katharina stieß einen kleinen Freudenschrei aus. »Um halb zwei am Yachthafen. Wir wollen pünktlich los. Wegen der Tide. Man muss kurz vor Hochwasser starten, damit einen das fallende Wasser mitnimmt. Sonst dauert die Überfahrt zu lange. Erik und ich sind schon früher da und bereiten alles vor. Du brauchst nichts weiter mitzubringen. Nur ein bisschen Kosmetik und was zum Anziehen.« Sie kicherte. »Abends landen wir garantiert bei Krebs.«

      Die Erinnerung an ihren ersten Besuch in einer Diskothek ließ Julia lächeln. Während eines Schulausflugs hatten sie, Kathi und eine dritte Freundin sich heimlich in die Helgoländer Disco abgesetzt, bei Falcos Out oft the dark laut mitgesungen und sich bei My heart will go on mit Celine Dion romantischen Gefühlen hingegeben. Sogar auf eine heftige Knutscherei hatte Julia sich eingelassen. Mit einem Typen, an dessen Namen sie sich nicht mehr erinnerte. Nur daran, dass er nach Leberwurst geschmeckt hatte.

      »Okay. Alles klar. Ich bin pünktlich am Yachthafen.« Julia verabschiedete sich von Katharina und wandte sich ihrem Kleiderschrank zu. So wenig wie möglich mitzunehmen und trotzdem gut auszusehen, war nicht so leicht. Auch auf die Frage, was sie ihrer Mutter erzählen sollte, hatte sie noch keine Antwort. Die Wahrheit würde sie ihr nicht zumuten. Am besten wäre wohl die bewährte Ausrede, ihre Freundin Steffi in Bad Bederkesa besuchen und dort übernachten zu wollen.

      Kapitel 2

      2019

      Der Sommerabend am Meer in der Grimmershörnbucht war längst nicht zu Ende, als Julia ihre Tochter zu sich rief und begann, ihre Sachen zusammenzupacken. Auf den krönenden Abschluss des Festes, das Höhenfeuerwerk, würde sie nicht warten können. Es fand zu später Stunde statt, Leonie würde nicht rechtzeitig ins Bett kommen.

      »Ich will aber noch hierbleiben«, erklärte das Kind. »Wir spielen gerade so schön. Es ist doch noch hell.« Sie deutete zum Wasser. »Schau mal, die Schiffe!«

      Julia sah auf. Obwohl sie solche Abende schon mehrfach erlebt hatte, empfand sie den Anblick als