Schriften in deutscher Übersetzung. Plotin. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Plotin
Издательство: Bookwire
Серия: Philosophische Bibliothek
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783787339341
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lebt nach Jenes Weisung und ist jener und dem Leibe gibt er nur soviel, wie er ihm als einem von ihm Verschiedenen gibt. Eine dritte Art Menschen lebt bald so, bald anders; sie sind ein Gemisch aus dem Guten, das sie selber sind, und dem Bösen, welches das andere ist.

      [16]Indessen, wenn jene obere Seele nicht böse wird und dies die Art ist, wie die Seele in den Körper geht und ihm beiwohnt, was hat es dann auf sich mit dem Abstieg der Seele in den Umläufen und dem Wiederaufstieg, mit den Urteilssprüchen und dem Eintreten in die Leiber anderer Lebewesen? Denn das haben wir von den Alten, die am besten über die Seele philosophiert haben, überkommen, und es ist billig, den Beweis zu versuchen, daß die gegenwärtige Erörterung in Übereinstimmung oder doch nicht in Widerspruch mit ihnen ist. Das Teilnehmen an der oberen Wesenheit erwies sich uns nicht als ein Herabkommen jener Wesenheit in diese Erdenwelt und ein sich Trennen von sich selber, sondern als ein Eintreten dieser unteren Wesenheit in jene obere und ein an ihr Teilnehmen. Somit ist klar, daß wir das, was jene ‘kommen’ nennen, auszulegen haben als den Eintritt des Körperlichen in die obere Welt, als eine Teilhabe an Leben und Seele, überhaupt nicht als ein Kommen im räumlichen Sinne, sondern wie immer denn die Art einer solchen Gemeinsamkeit ist. Somit bedeutet das Herabkommen der Seele, ihr Eintritt in die Leibeswelt, wie wir jedenfalls sagen, daß die Seele in den Körper tritt, nichts anderes, als daß sie dem Leibe etwas von ihrem Wesen dargibt, nicht aber ihm zugehörig wird, und ihr Fortgehen, daß der Leib in nichts mehr mit ihr Gemeinschaft hat; und es besteht für die Teile dieses Alls eine festgesetzte Ordnung für solche Gemeinsamkeit; die Seele aber, die gleichsam am unteren Rande des geistigen Bereiches steht, gewährt ihnen viele Male Anteil an sich, da sie ihnen mit ihrer Kraft nahe ist und ihr Abstand kürzer ist, nach dem ihr eignen Wesensgesetz. Und für sie ist solche Gemeinsamkeit ein Übel, und die Trennung ein Gutes. Warum dies? Weil sie, auch wenn sie dem Ding nicht zugehört, doch, da sie eben Seele dieses bestimmten Dinges genannt wird, in irgendeinem Sinne als ein Teil aus ihrem Ganzen heraustritt. Denn ihre Aktualität (Wirkungskraft) richtet sich nicht mehr auf das Ganze, obgleich sie dem Ganzen noch angehört; so wie der Wissenschaftler, während die Wissenschaft als ein Ganzes dabei bestehen bleibt, seine Aktualität auf einen einzelnen Lehrsatz richtet, wo doch für ihn das Gute nicht in einem einzelnen Stück der Wissenschaft liegt, sondern in der ganzen, die er besitzt. Ebenso also auch die Seele, während sie dem ganzen geistigen Kosmos angehört und in diesem Ganzen ihr Teilsein birgt, springt sie gleichsam hervor aus dem Ganzen in einen Teil hinein, den sie aktualisiert und der dabei ein Teil ihrer selbst ist; so wie wenn ein Feuer, welches alles zu verbrennen vermag, genötigt wird, nur ein kleines Stück zu verbrennen, obgleich es die Kraft für das Gesamte besitzt. Es ist nämlich die Seele, wenn sie ganz vom Niederen abgetrennt bleibt, als einzelne nicht einzeln; wenn sie aber sich absondert, nicht räumlich, sondern durch Aktualität zum einzelnen wird, so ist sie Teil und nicht ganze – freilich auch dann noch in einem andern Sinne ganze; aber wenn sie über kein Ding Herrschaft übt, dann ist sie ganz und gar ganze, und ist dann nur gleichsam potentiell Teil. Und das Kommen in den Hades bedeutet, wenn damit das Unsichtbare gemeint ist, ihre Absonderung vom Unteren. Ist aber gemeint, in einen niederen Ort, was Wunder? Wo es ja jetzt von der Seele heißt, daß sie dort an dem Orte sei, wo unser Leib ist. Und wenn der Leib nicht mehr ist? Nun, wenn sie sich von dem Schattenbild nicht losreißt, dann muß sie ja dort sein, wo das Schattenbild ist; wenn aber die Philosophie sie ganz von ihm loslöst, dann wird nur das Schattenbild allein an jenen niederen Ort kommen, sie selbst aber wird rein im Geistigen weilen, ohne daß ein Stück aus ihr herausgenommen ist. So steht es mit dem Schattenbild, welches aus solchem Vorgang entsteht. Wenn sie aber nur selber sich selber gleichsam erleuchtet, so ist sie durch die Wendung nach oben mit dem Ganzen vereinigt, ist nicht aktuell und ist doch nicht ausgelöscht. Indessen, soviel von diesen Dingen. Jetzt wollen wir die anfangs begonnene Untersuchung wieder aufnehmen.

       23

      Das Seiende, obgleich eines und dasselbe, ist zugleich als Ganzes überall (II)

      Daß das der Zahl nach Eine und Identische[1] überall zugleich als Ganzes vorhanden ist, das bezeugt schon eine allgemein verbreitete Vorstellung, wenn nämlich alle Leute aus reiner Veranlagung sprechen von dem Gott, der in jedem einzelnen von uns ist, als von Einem und demselben. Und wenn man von den Leuten keine Darlegung verlangt, in welcher Weise sie sich das vorstellen, und auch nicht diese ihre Vorstellung kritisch zu prüfen unternimmt, nehmen sie dies an, und indem sie so mit ihrem Nachdenken tätig sind, finden sie ihre Ruhe, indem sie sich auf dies Eine und Identische gewissermaßen stützen, und möchten nicht von dieser Einheit abgespalten werden. Es ist aber dies das sicherste Prinzip von allen, welches unsere Seele uns gleichsam zuraunt, das nicht aus der Summierung von Einzelheiten erschlossen wird, sondern hervortritt, bevor alles einzelne noch da ist, und auch noch vor jenem anderen Prinzip liegt, welches feststellt und besagt, daß alle Dinge nach dem Guten trachten; denn dies letztere Prinzip ist ja erst dann wahr, wenn alles zum Einen strebt, und jenes Gute das Eine ist, und auf das Eine das Trachten gerichtet ist. Dies Eine nämlich tritt heraus zu den andern Dingen, soweit ihm aus sich herauszutreten möglich, und tritt so als Vielheit in Erscheinung, ist auch in gewissem Sinne Vielheit; das ursprüngliche Wesen aber und das Trachten nach dem Guten an sich führt zur wahren Einheit, und das ist es, wonach ein jedes Ding trachtet: nach sich selber; denn das ist für dieses einheitliche Wesen das Gute: sich selber zu gehören und es selber zu sein, das heißt aber: wesenseigen zu sein. Auf diese Weise erhält auch die Bezeichnung des Guten als wesenseigen ihr Recht; weshalb man es denn auch nicht draußen suchen darf; wohin es nämlich auch geraten möge, wo kann es außerhalb des Seienden sein, oder wie kann man es im Nichtseienden ausfindig machen? Selbstverständlich muß es im Seienden sein, da es nicht Nichtseiendes ist; ist es aber seiend und im Seienden, so ist es gewiß für jedes einzelne in ihm selber. Wir sind also nicht abgetrennt von dem Seienden, sondern wir sind in ihm, noch ist jenes von uns abgetrennt. Alles Seiende ist also Eines.

      [2]Erst der Verstand, wenn er versucht, das Dargelegte zu untersuchen, er, der nicht Eines ist, sondern ein Geteiltes und zu seiner Forschung den Beistand des Körpers hinzuzieht und von ihm seine Ausgangspunkte nimmt, erst er hat die Substanz zerteilt, weil er sie für so beschaffen hielt, und hat ihrer Einheit Zweifel entgegengebracht, weil er für seine Erforschung nicht wesenseigene Prinzipien als Ausgangspunkt nimmt. Wir aber wollen für die Untersuchung über das Eine, schlechthin Seiende die wesenseigenen und überzeugungskräftigen Ausgangspunkte zu Grunde legen, das heißt, da es um geistige Dinge geht, die geistigen, die mit der wahrhaften Substanz verbunden sind. Denn: das eine ist ein hin und her Gerissenes, es unterliegt mannigfachen Wandlungen und verteilt sich an jeden Ort, und dies bezeichnet man wohl passend als Werden und nicht als Sein; das andere ist ewig seiend, sich immer selbstgleich, weder werdend noch vergehend, es hat keinen Raum noch Ort und keine Basis, es geht von nirgend her aus und geht in keinerlei Ding ein, sondern verharrt in sich selber: da muß man, wenn von jenen niederen Dingen die Rede ist, ausgehen von jener niederen Wesenheit und den über sie feststehenden Sätzen und mit Wahrscheinlichkeit aus Wahrscheinlichem Schlüsse ziehen, die auch ihrerseits nur wahrscheinlich bleiben; stellt aber einer umgekehrt Überlegungen über das Geistige an, dann muß er das Wesen der Substanz, die er erforschen will, zum Ausgangspunkt nehmen, wenn die Grundlage seiner Erwägungen richtig sein soll, und darf nicht in einer Art von Vergeßlichkeit abschweifen zur niederen Wesenheit, sondern von jener höheren selber muß er sein Nachdenken über sie herleiten. Denn überall ist das Wesen das Ausgangsprinzip, und diejenigen, so wird gelehrt, die richtig definiert haben, erkennen auch von den begleitenden Eigenschaften das meiste; bei den Dingen aber, wo überhaupt alles in dem Wesen beschlossen ist, muß man sich um so mehr an die Wesensbestimmung halten, nach ihr sich richten und auf sie alles zurückführen.

      [3]Wenn denn also jenes das wahrhaft Seiende ist und sich stets gleich bleibt und nicht aus seinem Sein heraustritt und an ihm, wie gesagt, keinerlei Werden ist und es nicht an einem Orte ist, dann muß es notwendig, als ein Wesen dieser Seinsart, ewig mit sich selbst gesellt sein; es kann nicht von sich selber abseits stehen, es kann nicht sein eines Stück hier sein, sein anderes dort, noch kann etwas aus ihm hervorgehen; denn dann wäre es ja bald hier und bald dort, und wäre, allgemein gesagt, in einem Anderen und nicht bei sich selbst, auch nicht affektionsfrei; denn es müßte Affektionen unterliegen, wenn