[12]Soviel über die Künste und ihre Gegenstände. Gibt es aber in der oberen Welt die Idee des Menschen und die des vernünftigen und die des kunstbegabten Menschen, dann gibt es dort auch die Künste, welche Erzeugungen des Menschen sind.
Man muß aber hervorheben, daß es Ideen nur vom Allgemeinen gibt, so nicht des Sokrates sondern nur des Menschen. Weiter aber ist beim Menschen zu fragen, ob es auch von den Einzelheiten an ihm Ideen gibt. Es gibt diese Einzelheiten in der Ideenwelt, weil ja dieselbe Einzelheit beim einen Menschen so beim andern anders ist, zum Beispiel weil der eine eine Plattnase, der andre eine Hakennase hat, muß man die Plattheit und Gebogenheit der Nase als Varietäten an der Idee des Menschen ansetzen, so wie es auch von einem Tier solche Varietäten gibt. Anderseits muß man annehmen, daß nun die Materie auch mitwirkt und daß es von ihr herrührt daß der eine solche, der andere eine andere Gebogenheit der Nase hat; ebenso liegen die Verschiedenheiten der Hautfarbe teils schon in der Idee des Menschen, teils bringt sie die Materie und die Verschiedenheit der Örtlichkeit hervor.
[13]Es blieb noch zu erörtern, ob nur die Dinge der Sinnenwelt dort oben als Idee sind, oder ob, wie es vom Menschen verschieden die Idee des Menschen gibt, auch von der Seele unterschieden eine Idee der Seele und vom Geist eine Idee des Geistes in der oberen Welt existiert. Da ist zuerst zu sagen daß man nicht alles was in dieser Welt ist, für bloße Nachbilder von Urbildern halten muß, und so auch nicht die Seele nur für ein Nachbild der Idee der Seele, sondern daß eine Seele sich von der andern an Wert und Rang unterscheidet und daß es auch in der unteren Welt Seelen gibt die Idee der Seele sind – allerdings vielleicht nicht insofern sie hier unten sind. Auch in der Einzelseele, die wahrhaft Seele ist, muß es eine Gerechtigkeit und Besonnenheit geben, auch in den Seelen, die in uns wohnen, wahre Wissenschaft, nicht etwa nur, als in der Sinnenwelt, Abbilder der oberen Tugend und Wissenschaft, sondern die oberen selbst, die, mit sich identisch, dennoch in andrer Weise auch hier unten sind; denn die Oberen sind nicht auf einen bestimmten Ort beschränkt, dergestalt daß, wo immer eine Seele aus dem Leibe sich heraufgehoben, dort jene oberen zur Stelle sind. Denn die sinnliche Welt ist an einer Stelle, die geistige aber an allen Stellen. Somit ist alles, was eine solche Seele hier unten enthält, in der oberen Welt vorhanden(?). Wenn man also die Dinge in der Sinnenwelt als das Sichtbare auffaßt, dann gibt es in der oberen Welt nicht nur die Dinge der Sinnenwelt allein, sondern noch mehr; versteht man aber darunter alles was in unserer Welt ist, mit Einschluß der Seele und ihrer Inhalte, so ist alles was dort oben ist, auch hier unten vorhanden.
Die Wesenheit nun welche im Geistigen alles umfaßt, die muß man als den Urgrund ansehen. Wie das aber möglich ist, wo doch der wahre Urgrund ein einheitlicher und schlechthin einfacher ist, und wie die Vielheit, die in der Welt herrscht, neben dem Einen sein kann, und in welchem Sinne die Vielheit aufzufassen ist und wie dies unser All, und weshalb dies Geist ist und woher es kommt – das alles wird von einem andern Ausgangspunkt aus darzulegen sein.
Was aber die Frage betrifft ob es dort oben auch eine Idee von den aus der Fäulnis entstehenden und von schädlichen Lebewesen gibt, ferner von Schmutz und Schlamm, so ist zu sagen daß alles was der Geist vom Ersten her erhält, vollkommen gut ist; dazu gehören diese Dinge nicht, und nicht der Geist, sondern erst die Seele, die, vom Geist ausgehend (?), von der Materie etwas entnimmt, schafft daraus das Niedere (?), und darunter sind diese Dinge (genaueres darüber wird gesagt werden, wenn wir auf das Problem zurückkommen wie aus Einem Vielheit entstehen kann); weiter ist zu sagen daß die willkürlich zusammengesetzten Dinge, da sie nicht vermöge des Geistes sondern selbständig als Sinnendinge sich zusammenfügen, sich nicht unter den Ideen befinden; und daß die aus der Fäulnis hervorgehenden Wesen entstanden sind weil die Seele vielleicht nicht die Kraft zu etwas anderem hatte; denn sonst hätte sie ein naturgemäßes Ding geschaffen wie sie tut wo sies kann, vor dieser Einzelseele aber liegt die Seele als Allgemeines, und vor dieser die Idee der Seele, und das heißt: das Leben welches im Geiste ist bevor es Seele wird (denn nur so ist es möglich jenes Obere Idee der Seele zu nennen).
Der Abstieg der Seele in die Leibeswelt
Immer wieder wenn ich aus dem Leib aufwache in mich selbst, lasse das andre hinter mir und trete ein in mein Selbst; sehe eine wunderbar gewaltige Schönheit und vertraue in solchem Augenblick ganz eigentlich zum höheren Bereich zu gehören; verwirkliche höchstes Leben, bin in eins mit dem Göttlichen und auf seinem Fundament gegründet; denn ich bin gelangt zur höheren Wirksamkeit und habe meinen Stand errichtet hoch über allem was sonst geistig ist: nach diesem Stillestehen im Göttlichen, wenn ich da aus dem Geist herniedersteige in das Überlegen – immer wieder muß ich mich dann fragen: wie ist dies mein jetziges Herabsteigen denn möglich? und wie ist einst meine Seele in den Leib geraten, die Seele die trotz dieses Aufenthaltes im Leibe mir ihr hohes Wesen eben noch, da sie für sich war, gezeigt hat?
Heraklit, der uns ja gebietet hiernach zu forschen, lehrt notwendiges Umschlagen aus Gegensatz in Gegensatz, er spricht von der ‘Bahn hinauf und hinab’, von ‘Ausruhen im Wechsel’, von der ‘Plackerei, stets dem Nämlichen zu fronden und untertan zu sein’ – und überläßt uns damit bloßen Vermutungen; solche Rede uns deutlich zu machen hat er nicht nötig gefunden, wir sollen wohl von uns aus suchen, wie er selbst ja nur fand weil er gesucht hatte. Nicht anders Empedokles: Gesetz sei es, hat er gesagt, daß die fehlende Seele hinabstürze in diese Welt; er selbst sei herabgekommen ein ‘aus der Götterwelt Verbannter’, da er ‘traute dem rasenden Streit’; und hat uns damit nicht mehr Klarheit gegeben als wohl Pythagoras und seine Nachfolger, die in dieser Frage wie in vielen andern doch nur dunkle Andeutungen gaben; Empedokles übrigens hinderte auch noch die poetische Form an der Deutlichkeit. So bleibt uns denn nur der göttliche Platon. Er hat über die Seele und ihre Einkehr auf Erden vielfach in seinen Schriften ausführlich und meisterhaft gesprochen, von ihm dürfen wir hoffen Klarheit zu erlangen. Was lehrt nun dieser Philosoph?
Er lehrt, so stellt sich heraus, nicht überall das gleiche; seine wahre Absicht ist keineswegs ohne weiteres zu ersehen. Auf der einen Seite verwirft er durchgehend jegliches Sinnliche, er beklagt die Gemeinschaft der Seele mit dem Leib, er nennt den Leib ihre Fessel und ihr Grab und rühmt den Spruch der Geheimlehren nach dem die Seele ‘in Haft’ ist; ein andermal meint er offenbar mit ‘Höhle’ (wie Empedokles mit ‘Grotte’) die sichtbare Welt: denn er sagt ja, die Wanderung ‘zur geistigen Welt’, sagt er da, sei der Seele ‘Lösung aus den Fesseln’ und Aufstieg aus der Höhle; im Phaidros endlich ist ihm ‘Entfiederung’ die Ursache des Herabstiegs in diese Welt, bestimmte ‘Umläufe’ bringen die Seele nach dem Aufstieg auf die Erde zurück, ‘andre’ wieder sendet in diese Welt hinab ‘Richtspruch’, ‘Los’, Schicksal und Zwang. Im Gegensatz zu all diesen Stellen, wo er das Eintreten der Seele in den Körper verwirft, preist er aber im Timaios den Kosmos (und meint damit diese irdische Welt) und nennt