Agatha Simpson dachte nicht im Traum daran, auf diese Warnung zu achten. In ihren Augen glühte das Feuer des Eifers. Sie wirkte wieder mal sehr animiert und unternehmungslustig. In solchen Fällen war die kriegerische Dame nicht zu halten.
Kathy folgte ihr also ergeben und überlegte krampfhaft, daß sie zumindest eine Spur hinterlassen mußten. Butler Parker, der nachkommen wollte, brauchte einen Anhaltspunkt.
„Nun kommen Sie schon, Kindchen?“ Agatha Simpson drehte sich nach ihrer Sekretärin um, die gerade einen Lippenstift aus ihrer Handtasche hervorholte.
Lady Simpson verstand.
Sie prallte gegen den Abteilungsleiter, der am Fahrstuhl stand und sich wartend nach den Damen umdrehte. Sie brachte den Mann sehr nachhaltig aus dem Gleichgewicht und preßte ihn mit ihrer Walkürenfigur gegen die Holzvertäfelung neben dem Aufzug. Dadurch nahm sie dem Mann die Sicht, zumal sie dafür sorgte, daß ihr Kopfhut auf seinem Gesicht landete.
Wenig später war Kathy bereits bei ihnen.
„Maßlos ungeschickt“, raunzte die alte Dame den Abteilungsleiter an, als sie im Aufzug waren, der sich bereits nach unten absenkte.
„Sagen Sie das nicht“, erwiderte der Abteilungsleiter und ließ die beiden Damen in die Mündung eines Revolvers sehen. „Sagen Sie das nicht! Urteilen Sie erst später!“
*
Der Personalleiter des Warenhauses war ein elegant aussehender Mann von vierzig Jahren, der einen strammen und militärischen Eindruck auf den Butler machte. Zuerst gab dieser Mann sich sehr zurückhaltend und wußte mit dem vor ihm sitzenden Butler überhaupt nichts anzufangen, doch als Parker dann den Namen Lady Simpson erwähnte, taute der Mann sichtlich auf. Er kannte Lady Agatha und ihren Einfluß.
„Ich werde Ihre sicher kostbare Zeitraum in Anspruch nehmen“, schickte der Butler voraus. „Zudem wird Lady Simpson gleich ebenfalls hier erscheinen.“
„Ich stehe zu Ihrer Verfügung“, schnarrte der Mann militärisch.
„Mylady interessiert sich für einen gewissen Melvin Roots“, erläuterte der Butler. „Nach Myladys Informationen arbeitet er in Ihren Haus als Abteilungsleiter des Warenlagers.“
„Melvin Roots, natürlich.“ Der Personalleiter nickte zustimmend. Dann allerdings zog sich ein Schatten über ein Gesicht. Er beugte sich vor. „Will Lady Simpson sich über Roots beschweren?“
„Mylady ist sich noch nicht vollkommen sicher“, wich der Butler aus. „Mylady möchte ihn allerdings hier in ihrem Büro sprechen. Darf man davon ausgehen, daß Sie das arrangieren werden, Sir?“
Und ob Parker davon ausgehen durfte!
Der Personalleiter klemmte sich augenblicklich an das Telefon, rief die Hausvermittlung an und verlangte eine Verbindung mit Melvin Roots.
„Er arbeitet nicht hier in unserem Haus“, erläuterte der Personalleiter, während er auf das Durchstellen wartete. „Roots ist im Warenlager und Magazin, nur ein paar Straßen weiter.“
Parker ahnte, daß aus dieser Telefonverbindung nichts wurde. Seiner Ansicht nach hatte Melvin Roots sich nach dem verunglückten Abenteuer mit Kathy Porter längst abgesetzt. Er konnte das Risiko nicht eingehen, bei der Polizei angezeigt und dann von ihr befragt zu werden.
Das Telefon läutete, der Personalleiter fragte nach Roots, erhielt eine Antwort und bekam einen leicht roten Kopf.
„Nicht da?“ fragte er dann gereizt zurück, „Ohne sich abzumelden? So was gibt es doch überhaupt nicht, das ist unerhört, das war noch nie da!“
„Ersparen Sie sich weiteren Ärger, Sir“, warf der Butler ein, „nach Lage der Dinge dürfte Mister Roots ohne Angabe von Gründen gekündigt haben.“
„Wie soll ich das verstehen?“ Der Mann knallte den Telefonhörer in die Gabel und sah den Butler fragend an.
„Mister Roots dürfte ab sofort die Öffentlichkeit scheuen“, antwortete Josuah Parker vorsichtig. „Möglicherweise befürchtet er, von der Polizei Fragen gestellt zu bekommen, die ihm unangenehm sind.“
„Roots ein Krimineller?“ Der Personalleiter verfärbte sich.
„So kann man es natürlich auch ausdrücken, Sir, aber dann klingt es nicht mehr so gut.“
„Was hat dieser Mensch angestellt?
Sie müssen mir alles sagen. Das ist ja ungeheuerlich!“
„Gestatten Sie, Sir, daß ich einige Fragen vorausschicke? Danke! Seit wann ist Mister Roots in Ihrem Haus beschäftigt?“
Der Personalleiter hatte schnell die betreffende Akte zur Hand, blätterte kurz und konnte dann mit allen gewünschten Auskünften dienen.
„Er wurde vor anderthalb Jahren angestellt“, sagte er, immer wieder schnell einen Blick in die Personalakte werfend. „Seine Zeugnisse sind ausgezeichnet, seine Empfehlungen ebenfalls. Er erledigte bisher, und ich lege Wert darauf, das zu betonen, er arbeitete bisher zu unserer vollsten Zufriedenheit.“
„Bewarb Mister Roots sich auf ein Stellenangebot hin?“
„Nein, als die Stelle frei wurde, erhielt ich einen Hinweis von Mister Gardena.“
„Der auch hier im Haus arbeitet?“
„Mister Gardena ist der Leiter unserer Exotika-Abteilung, Mister Parker.“
„Was darf ich darunter verstehen, Sir?“
„Kunstgewerbe und Antiquitäten aus exotischen Ländern der Erde, eine Spezialität unseres Hauses.“
„Ein Fachmann, wie ich unterstellen darf?“
„Ein erstklassiger Fachmann sogar, der lange Zeit in Südafrika gelebt hat.“
„Mister Gardena kauft selbständig ein, Sir?“
„Einen besseren Fachmann könnten wir uns überhaupt nicht vorstellen, Mister Parker. Sein Geschmack ist sicher, seine Kenntnisse in Antiquitäten beachtenswert.“
„Sie würden meine bescheidene Wenigkeit glücklich machen, wenn ich mit Mister Gardena umgehend sprechen könnte.“
Josuah Parker hatte es sehr eilig, stand auf und marschierte zur Tür. Er dachte an Agatha Simpson und Kathy Porter, die sich gerade in der Abteilung dieses Mister Gardena aufhielten. Dieser Kontakt konnte unter gewissen Umständen gefährlich werden.
Und zwar sicher nicht für Mister Gardena!
*
„Sie wissen hoffentlich, daß ich Sie niederschießen könnte“, sagte der Abteilungsleiter und Fachmann für Exotika. Der Aufzug war im Keller des Warenhauses gelandet, und die beiden Frauen mußten aussteigen. Lady Simpson kochte vor Zorn und stand sichtlich unter Dampf, spürte aber instinktiv, daß sie sich in Lebensgefahr befand. Kathy Porter hatte ebenfalls gesehen, daß dieser Mann mit einer Waffe umzugehen verstand, Mylady und sie hatten es ganz sicher nicht mit einem ungeschickten und verzweifelten Anfänger zu tun.
„Sagen Sie endlich, was Sie mit uns Vorhaben?“, raunzte die ältere Dame ihn dennoch kriegerisch an.
„Ich werde Ihnen eine Chance geben. Und mir natürlich ebenfalls“, erwiderte Gardena lächelnd. „Wir werden zusammen eine kleine Fahrt durch London unternehmen.“
„Schon wieder eine Entführung!“, donnerte Lady Simpson los. „Langsam steht mir das zum Hals heraus, junger Mann!“
„Sie werden sich noch an manches gewöhnen müssen, falls Sie weiterhin leben wollen.“ Gardena lächelte süffisant und deutete auf eine Tür, die weit geöffnet war. Sie gab den Blick frei in eine Tiefgarage, die leider einen sehr unbelebten Eindruck machte.
„Wollen Sie dieses kleine, unschuldige Ding und mich etwa als Geisel nehmen?“
„Sie sind eine intelligente Frau, Lady Agatha.“