Der Kammerjäger kam, und wir mussten den ganzen Tag lang draußen bleiben. Weil Dürre herrschte, wurde täglich das Wasser gesperrt. Die Häppchen bei der Vernissage der Salzteigvögelausstellung waren verdorben, die Folge war allgemeiner Durchfall. Der Supermarkt wechselte den Lieferjungen, der neue wurde beschuldigt, eine Dose Jalapeños gestohlen zu haben. Die Glühbirne im dritten Stock brannte durch. Jemand ließ die Haustür offen stehen, und die Mormonen kamen ins Haus. Der Literaturzirkel begann mit der Lektüre des Palinurus von Mexiko von Fernando del Paso in der Ausgabe der gesammelten Werke des Fondo de Cultura Económica. Eintausendzweihundertdreißig Seiten, fester Einband, dreieinhalb Kilo (wer Arthritis hatte, war entschuldigt). Die Mieter organisierten eine Unterschriftenaktion, damit der alte Lieferjunge wieder eingestellt wurde. Die Glühbirne im ersten Stock brannte durch. Die Kakerlaken waren happy.
Es dauerte nicht mal eine Woche, bis meine Mutter Ersatz für den Hund gefunden hatte: einen unerträglichen Kläffer, den sie Solovino nannte, Kamallein, weil er eines Tages ganz allein vor unserer Tür stand. Solovino fraß alles, was ihm vor die Schnauze kam, und nicht bloß Strümpfe, aber für meine Mutter war er die Reinkarnation seines vergötterten Vorgängers. Natürlich sagte sie das nicht, aber das war auch nicht nötig, sie kam ständig durcheinander und redete Solovino mit dem Namen des verstorbenen Hundes an. In den zehn Jahren, die er bei uns lebte, verschlang er einfach alles, darunter Wäscheklammern, Kühlschrankdichtungen und haufenweise Zahnpastatuben, für die er eine Schwäche hatte; ließ einer von uns die Badezimmertür offen, sprang er hoch und stupste mit der Schnauze den Becher mit der Tube um. Trotzdem nahm er nie zu, bis zum Ende seiner Tage blieb er spindeldürr. Meine Mutter verzieh ihm alles, während sie meine Schwester und mich bei der geringsten Kleinigkeit bestrafte. Das würde er bereuen, schworen wir uns. Ständig bekamen wir für jede Kleinigkeit eine Woche Hausarrest, so löste meine Mutter alles im Leben: Sie sperrte uns ein. Die Folge waren endlos öde Nachmittage, die nur dazu da waren, sie um Gnade zu bitten. Im Rückblick erstaunt es, wie viel Hoffnung frühere Generationen in die Strafe als Mittel der Charakterstärkung setzten.
Mama arbeitete morgens bei der Post und nachmittags wusch sie für andere die Wäsche. Wenn sie uns bestrafte, wichen wir ihr nicht von der Pelle und bedrängten sie wie Straßenhändler.
»Und was sollen wir den ganzen Tag zu Hause machen?«
»Und was sollen wir den ganzen Tag zu Hause machen?«
Wir sagten alles doppelt, als wäre es eine Formalität, und in gewisser Hinsicht war es das: eine zum Scheitern verurteilte Formalität, denn der zuständige Bürokrat, meine Mutter, verlor nie die Geduld.
»Macht eure Hausaufgaben«, befahl sie.
Wir kritzelten die Hausaufgaben hin und kehrten zu unserer anderen Aufgabe zurück: Mama nerven, damit sie uns endlich nach draußen ließ.
»Und was sollen wir jetzt machen?«
»Und was sollen wir jetzt machen?«
»Lernen.«
»Haben wir schon.«
»Haben wir schon«, flunkerten wir.
»Dann geht spielen.«
»Und was?«
»Und was?«
»Was weiß ich, wozu ihr Lust habt.«
Wir tollten durchs Haus, durchwühlten die Schränke, ich pfefferte einen Ball knapp an der Vitrine vorbei, meine Schwester riss ihrer Puppe den Kopf ab und wollte unbedingt zum Schreibwarengeschäft, um Kleber zu kaufen.
Also wieder dieselbe Leier:
»Und was sollen wir jetzt machen?«
»Und was sollen wir jetzt machen?«
Meine Mutter nahm einen Stapel weißes Papier, das sie von der Post mitgenommen hatte, holte Papas Buntstiftkasten aus dem Schrank und fällte ihr endgültiges Urteil:
»Geht malen.«
Malen wurde nie langweilig, wir konnten stundenlang malen, und meine Mutter war klug genug, immer ausreichend Papier im Haus zu haben. Sie bestrafte uns so häufig, dass das Malen zur Gewohnheit wurde, bis der Tag kam, an dem Mama wieder einmal den Buntstiftkasten hinstellen musste und wir anfingen zu malen, obwohl wir überhaupt nichts verbrochen hatten. Wir gingen nach draußen und malten unter freiem Himmel, wie wir es Papa früher einmal hatten machen sehen.
Die Strafen kamen und gingen, und eines Tages flehte ich meine Mutter an, mir ein Heft zu kaufen. Von da an lief ich ständig mit dem verdammten Heft herum, was mir bei den Nachbarn schon bald den Ruf eines verschrobenen Künstlers einbrachte. Eine Zeitlang war es sogar lukrativ: Ich zeichnete für Geld Porträts von Geliebten oder tauschte meine Bilder gegen Murmeln und später die ersten Zigaretten. Aber irgendwann verloren die Nachbarn das Interesse, das Heft büßte sein Prestige ein und wurde immer mehr zu einer ominösen Bürde.
Seit fast zwei Monaten hatte es nicht geregnet, der Rio Lerma war auf bestem Wege, sich in ein schmales Rinnsal zu verwandeln, und der Wassermangel ließ die Leitungen ächzen. Im Hausflur hieß es, die Leitungen würden knarren, und weil das offenbar die Konzentration störte, blieb ihnen nichts anderes übrig, als zum Lesen in den Epikur-Park zu gehen. Sie bezahlten
einen Jungen, damit er ihnen die Exemplare des Palinurus von Mexiko mit einer Schubkarre zum Park fuhr. Als ich vom Balkon aus sah, wie sich die Prozession, jeder mit einem Klappstuhl bestückt, die Calle Basilia Franco entlangschleppte und nach links in die Teodoro Flores einbog, von wo es immer noch drei Blocks bis zum Park waren, und ich hinter ihnen den japsenden Burschen bemerkte, der alle fünf Schritte stehen bleiben musste, um Luft zu schnappen, rief ich ihnen nach:
»Das Gewicht der literarischen Tradition! Ihr bringt den armen Kerl noch um!«
Später mussten sie den Park wieder verlassen, weil sie ein Hund anfiel. Der Köter sprang zwischen ihren Beinen herum, kratzte sie an den Knöcheln und versuchte in die Bücher zu beißen. Das Maß war voll, als er anfing, Francesca zu besteigen, seine Genitalien an ihrem Bein rieb und es nicht mehr loslassen wollte. Erst als ein junger Mann ihr zu Hilfe kam, konnte sie sich aus der hündischen Umklammerung befreien. Um sie vom Haus fernzuhalten, empfahl ich ihnen, dem Hund einen Strumpf zu geben. Sie kamen zurück, der Hund wollte den Strumpf nicht schlucken. Sie sollten mir den Strumpf zeigen. Es war Hipólitas, ein Kompressionsstrumpf gegen Krampfadern. Ich sagte, sie sollten einen gewöhnlichen Strumpf nehmen, einen aus Nylon, und sie machten sich auf den Weg zur nächsten Kurzwarenhandlung. Kurz darauf waren sie wieder da, der Hund ignorierte sie weiter. Ich schlug vor, den Strumpf mit Fleisch zu füllen und zu einem Knäuel zusammenzurollen, aber ohne einen Knoten zu machen, damit er sich später in den Eingeweiden des Hundes wieder auseinanderrollen konnte. Der Fleischer an der Ecke schenkte ihnen einen Berg Wurstpellen. Problem gelöst.
Als der Hund tot war, ging der Literaturzirkel in den Park zurück, nur um während einer Lesepause festzustellen, dass eine Schwäche meines Romans, den es gar nicht gab, darin bestand, dass ich dem Thema Krankheit auswich. Francesca erzählte mir davon im Fahrstuhl, als wir von unseren jeweiligen Beschäftigungen zurückkehrten: sie vom Literaturzirkel, ich vom Genuss des vierten oder fünften Bierchens im Gemüseladen. Wir waren noch nicht mal im ersten Stock, da musste ich mir schon einen Vortrag über die Hinfälligkeit als zentrales Thema im europäischen Roman des zwanzigsten Jahrhunderts anhören.
»Nicht bewegen«, unterbrach ich sie.
Und zertrat zwei Kakerlaken,