Ich verkauf dir einen Hund. Juan Pablo Villalobos. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Juan Pablo Villalobos
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783946334125
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1985 bei dem großen Erdbeben. Der Hund kam ihr mehr als vierzig Jahre zuvor und verpasste aus lauter Schusseligkeit den Ausgang des Zweiten Weltkriegs: Er verschluckte eine Nylonstrumpfhose, eine superlange, so lang wie die Beine von Vaters Sekretärin.

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      Mit einem Koffer voller Kleidung, zwei Kartons mit meinen Habseligkeiten und einem Bild und einer Staffelei unter dem Arm war ich an einem Sommernachmittag vor anderthalb Jahren in das Haus gezogen. Die Möbel und einige Haushaltsgeräte hatte die Umzugsfirma schon am Vormittag gebracht. Während ich mich im Hausflur an den Gestalten vom Literaturzirkel vorbeiquetschte, murmelte ich in einem fort:

      »Nicht stören lassen, nur nicht stören lassen.«

      Natürlich störte sich keiner an mir, alle taten so, als wären sie in ihre Lektüre vertieft, obwohl sie in Wahrheit jede meiner Bewegungen aus dem Augenwinkel verfolgten. Als ich endlich vor dem Aufzug stand, hörte ich das Getuschel, das von Francesca ausging und wie bei der Stillen Post die Runde machte:

      »Das ist ein Maler!«

      »Das ist ein Prahler!«

      »Das ist ein Fahrer!«

      »Das ist ein Radikaler!«

      Ich stopfte so viel in den Aufzug wie möglich, und als ich zehn Minuten später wieder unten war, um wie ein besonders lahmarschiger Sisyphos den Rest zu holen, hatte der Literaturzirkel zu meinen Ehren einen Begrüßungsempfang mit Champagner aus Zacatecas und Salzkräckern mit Thunfischpastete und Mayonnaise vorbereitet.

      »Willkommen!«, brüllte Hipólita, während sie mir eine Spraydose mit DDT in die Hand drückte. »Es ist nur eine Kleinigkeit, aber Sie werden es brauchen.«

      »Entschuldigen Sie«, sagte Francesca. »Hätten wir gewusst, dass Sie Künstler sind, hätten wir den Champagner kaltgestellt.«

      Als ich meinen bis zum Rand mit lauwarmem Champagner gefüllten Plastikbecher hochhielt, um mit ihnen anzustoßen, rief Francesca freudig aus:

      »Auf die Kunst!«

      Ich hatte meinen Arm etwas zu horizontal ausgestreckt, so dass es aussah, als wollte ich den Becher unangetastet zurückgeben, statt mit ihnen anzustoßen – was nicht ganz falsch war. Man bat mich um eine kurze Ansprache, ein paar Worte auf die Kunst, und mit einem resignierten Blick auf die Bläschen in meinem Becher hob ich zu folgender Rede an:

      »Ein Bier wäre mir lieber.«

      Francesca zog einen verknitterten Zwanzig-Peso-Schein aus ihrem Portemonnaie und befahl einem der Teilnehmer des Literaturzirkels:

      »Kauf dem Künstler im Laden an der Ecke ein Bier.«

      Leicht benommen von dem Stimmengewirr um mich herum hörte ich eine Frage nach der anderen auf mich einprasseln:

      »Wie alt sind Sie eigentlich?«

      »Sind Sie Witwer?«

      »Ist das Ihre richtige Nase?«

      »Wo haben Sie vorher gewohnt?« »Sind Sie Single?«

      »Warum kämmen Sie sich nicht?«

      Ich stand wie versteinert da, in der rechten Hand den vollen Becher Champagner, in der linken das DDT-Spray, und lächelte verlegen, bis plötzlich Stille eintrat und alle mich erwartungsvoll anstarrten.

      »Und?«, fragte Francesca.

      »Ich glaube, das ist ein Missverständnis«, sagte ich, leider bevor der Mann, der das Bier holen sollte, überhaupt die Haustür erreicht hatte. »Ich bin kein Künstler.«

      »Ha! Hab ich’s doch gewusst! Er ist Fahrer«, stieß Hipólita triumphierend aus, während mir ein dunkler Flaum über ihrer Oberlippe auffiel.

      »Eigentlich bin ich Rentner«, fuhr ich fort.

      »Ein Künstler im Ruhestand!«, frohlockte Francesca. »Sie müssen sich nicht rechtfertigen, wir sind hier alle im Ruhestand. Bis auf die wenigen Faulpelze, die nie gearbeitet haben.«

      »Ich mag zwar nur Hausfrau gewesen sein, aber auch ich bin jetzt im Ruhestand«, beeilte sich Hipólita zu sagen.

      »Nein, verdammt, ich war nie Künstler«, entfuhr es mir so vehement, dass es sogar mir selbst verdächtig vorkam.

      Ein Teilnehmer des Literaturzirkels, der mir gerade ein paar Kräcker hatte anbieten wollen, drehte sich abrupt um und stellte den Teller auf einem Stuhl ab.

      »Soll ich jetzt das Bier holen oder nicht?«, fragte der Mann an der Haustür.

      »Warte«, befahl ihm Francesca, bevor sie sich wieder an mich wandte:

      »Und was ist mit der Staffelei und dem Bild?«

      »Von meinem Vater. Er hat leidenschaftlich gern gemalt. Genau wie ich, aber das ist lange her.«

      »Das hat uns gerade noch gefehlt, ein gescheiterter Künstler!«, rief Francesca. »Darf man erfahren, womit Sie Ihr Geld verdient haben?«

      »Ich war Tacoverkäufer.«

      »Tacoverkäufer?!«

      »Ja, ich hatte einen Tacostand in der Candelaria de los Patos.«

      Sofort fingen die Teilnehmer des Literaturzirkels an, den Champagner zurück in die Flasche zu kippen, aber weil sie so zitterten, ging die Hälfte daneben. Francesca warf dem Mann an der Tür, der geduldig auf den Ausgang der Szene gewartet hatte, einen zornigen Blick zu.

      »Mach schon, gib mir das Geld zurück.«

      Während ich das Gewicht des Bechers aus meiner rechten Hand verschwinden spürte, riss Hipólita mir das DDT-Spray aus der linken, gab der Mann Francesca den zerknüllten Schein zurück und erklärte der gesamte Literaturzirkel den Begrüßungstrunk für beendet, indem sie die Kräcker unter sich aufteilten, den Korken zurück in die Flasche drückten und sich unmittelbar darauf wieder der Lektüre widmeten. Nur Francesca musterte mich weiter von oben bis unten und unten bis oben, als wollte sie sich meine gebrechliche Gestalt für den Rest ihrer Tage einprägen.

      »Betrüger!«

      Auch ich starrte sie lange an, ließ meinen Blick über ihren gertenschlanken Körper gleiten, bemerkte, dass sie sich während meiner Abwesenheit, als ich zur Wohnung hinauf- und wieder heruntergefahren war, das Haar gelöst und ein wenig den Ausschnitt ihres Kleides aufgeknöpft hatte, spürte dieses selten gewordene Kribbeln im Schritt und knallte ihr, da ich schnell begriffen hatte, wie sie tickte, den ersten von vielen Sätzen an den Kopf, die von diesem Tag an zu unserer täglichen Routine werden sollten:

      »Ich bitte vielmals um Verzeihung, dass ich Tacoverkäufer war, Madame!«

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      Meine Mutter wollte unbedingt eine Autopsie an dem Hund vornehmen, während Papa sie vergeblich daran zu hindern suchte:

      »Was haben wir denn davon, wenn wir wissen, woran der Hund gestorben ist?«

      »Ich will wissen, was passiert ist«, erwiderte meine Mutter.

      »Es gibt für alles eine Erklärung.«

      Der Köter hatte in der Nacht zu kotzen versucht, es aber nicht geschafft. Mama zählte die Socken im Haus, es waren alle da. Und weil Papa nach dem Abendessen immer mit dem Hund spazieren ging, kam ihr ein Verdacht. Sie bezahlte den Fleischer, damit er die Töle aufschlitzte. Wir trugen den Kadaver in den kleinen Hof, wo wir die Wäsche zum Trocknen aufhängten. Meine Mutter hatte ihn vorher sorgfältig mit Zeitungspapier ausgelegt. Während der Schlachter die Autopsie vorbereitete, stand Papa die ganze Zeit hinter ihr und fragte wieder und wieder:

      »Ist das denn wirklich nötig? Das ist doch grausam, das arme Tier.«

      »Keine Sorge, Papa, der spürt nichts mehr«, beruhigte ich ihn.

      Ich war damals knapp acht Jahre alt. Die Vorbereitungen gingen weiter,