»Aber ich rede nicht beim Schreiben!«
»Das ist auch gar nicht nötig, die brauchen nur das Kratzen der Feder auf dem Papier zu hören, schon können sie deine Worte entziffern.«
Sie empfahl mir, ein lautes Gerät einzuschalten, wenn ich in mein Heft schrieb, um die Spionage zu sabotieren. Als mir am Abend das Zeichnen zu langweilig wurde, stellte ich den Mixer an, den ich sonst nie benutzte, und schrieb alle möglichen Erinnerungen auf: Weil Jodorowsky ein Huhn gekreuzigt hatte, wurde er von fünfhundert Polizisten einer Spezialeinheit verhaftet. José Luis Cuevas malte ein temporäres Wandbild und erfand die Zona Rosa. Die Gebeine von José Clemente Orozco, Diego Rivera, Dr. Atl und Siqueiros landeten in der Rotunde der Illustren Männer. Juan O’Gorman schluckte Zyanid, legte sich eine Schlinge um den Hals und jagte sich anschließend eine Kugel in den Kopf. Seine Gebeine landeten am selben Ort. Die Kunstschule La Esmeralda wurde nach Guerrero verlegt. Ein Gemälde von Rufino Tamayo wurde für sieben Millionen Dollar versteigert, eins von Frida für fünf, ein anderes von Diego für drei. Der Name des Denkmals wurde geändert, statt Illustre Männer heißt es jetzt Illustre Personen. Die sterblichen Reste von María Izquierdo wurden in die Rotunde der Illustren Personen überführt.
Am nächsten Morgen überwachte Francesca wie üblich den Flur, und als ich die Wohnung verließ, folgte sie mir und stellte mich zur Rede:
»Das hat uns gerade noch gefehlt! Tacoverkäufer, die sich für Kunsthistoriker halten.«
»Wissen Sie, was einmal ein Kunde zu mir gesagt hat?«, erwiderte ich. »Dass es genau daran mangelt: Tacoverkäufer, die sich mit Kunst auskennen, Tacoverkäufer, die sich für Kunst interessieren.«
»Wer soll das gewesen sein? Vasconcelos?«
»Würde Vasconcelos noch leben, wäre er entsetzt über die Bierpreise in den Museumscafés.«
Später warf ich der Gemüsehändlerin vor, wie kläglich ihre
Theorien gescheitert waren:
»Der Mixer ist durchgebrannt, das ist alles, was ich erreicht habe.«
»Dann ist es Telepathie.«
»Ich wusste, dass du verrückt bist!«
»Begreifst du nicht? Genau das ist die Strategie des CIA: Sie benutzen Techniken, die so absurd sind, dass niemand daran glaubt, wenn sie aufgedeckt werden.«
»Und was hat sie davon, wenn sie mich ausspioniert?«, fragte ich.
»Das solltest du besser wissen als ich, vielleicht stellst du eine Gefahr für das System dar.«
»Sonst noch was?!«
»Ehrlich gesagt fand ich dich immer verdächtig. Ständig albern, immer zu Scherzen aufgelegt, das muss ein Ablenkungsmanöver sein. Wer weiß, was du für Geheimnisse hütest. Vielleicht hängt die Zukunft der Menschheit ja von einem dieser Geheimnisse in deinem Heft ab!«
Mithilfe eines Freundes, der im Untergrund lebte, war sie irgendwie an eine Liste mit den Namen der in Mexiko tätigen CIA-Agenten gelangt. Francesca gehörte nicht dazu.
»Das ist ja auch nicht ihr richtiger Name!«, sagte die Gemüsehändlerin.
Also suchten wir ihren richtigen Namen, oder zumindest den, mit dem die Mitglieder des Literaturzirkels sie ansprachen, denselben, an den auch ihre Post adressiert war und mit dem sie die Protokolle der Mieterversammlungen unterzeichnete.
»Und? Wo ist er?«, sagte ich.
»Das beweist nur eins: Der Name ist ebenfalls falsch. Wer sagt denn, dass sie ihren richtigen Namen benutzt? Ich bin mir sicher, sie hat einen Geheimauftrag! Jetzt, wo ich darüber nachdenke: Wir sollten besser auch nicht unsere richtigen Namen benutzen.«
»Wie willst du heißen?«, fragte ich.
»Keine Ahnung, fällt dir was ein? Etwas Schönes?«
»Wie wär’s mit Juliette?«
»Juliette?«
»Ja, aber man muss es Schüljet aussprechen, damit es packender klingt.«
Und damit Francesca eifersüchtig war.
»Das gefällt mir! Und du?«
»Ich werde mich Teo nennen.«
»Von Mateo?«
»Quatsch.«
»Sondern?«
»Teodoro, aber du kannst mich Teo nennen.«
Um ihre These zu überprüfen, stachelte Juliette mich auf, in die 3-D einzubrechen, Francescas Wohnung. So war sie meistens nach dem dritten Bier, und ich machte mich besser auf den Heimweg. Ich brauchte ein wenig Ruhe, um den Rest des Tages zu überstehen. Als ich im Hausflur die von der Lektüre eingelullten Teilnehmer des Literaturzirkels sah, sagte ich zu ihnen:
»Na, seid ihr immer noch da? Was machen die Hämorrhoiden?«
Und Francesca brüllte:
»Schüljet heißen nur französische Nutten!«
Eines Morgens fiel der Literaturzirkel aus, weil ein Dichter gestorben war und alle losstürmten, um dem Toten die letzte Ehre zu erweisen. Alle bis auf Hipólita, deren Krampfadern eine solche Tortur verhinderten. Auf dem Weg zur Eckkneipe begegnete ich ihr im Hausflur, wo sie gerade Zettel in die Briefkästen verteilte – im Haus sollte eine Ausstellung mit Salzteigvögeln stattfinden. Ich steckte die Einladung zur Vernissage in die Hosentasche und war schon fast an der Haustür, als Hipólita mir nachrief:
»Sie undankbarer Kerl.«
Ich drehte mich um und starrte sie an. Sie war mir gefolgt und stand jetzt so dicht an der Tür, dass der Flaum über ihrer Oberlippe im Morgenlicht schimmerte. Ohne die schützende Dunkelheit im Treppenhaus war es ein waschechter Schnurbart.
»Ich komme nicht in Ihrem Roman vor«, sagte sie vorwurfsvoll.
»Sie wissen, dass das kein Roman ist.«
»Bin ich denn so unbedeutend?«
»Sie reden wie ein Bild von Frida Kahlo, immer nur Gejammer. Da, sehen Sie?«
Ich zeigte auf die von Feuchtigkeitsflecken übersäte Wand und machte mich so schnell davon, wie mich die Hammerzehen trugen. Am Abend nahm ich das Heft und notierte eine Kindheitserinnerung: Der Bruder meiner Mutter, ein Junggeselle und erster Tacoverkäufer in der Familie, hatte einen so buschigen Schnurrbart gehabt, dass ständig Essensreste darin hängen blieben.
»Typisch für die Leute aus dem Norden«, nahm ihn meine Mutter jedes Mal in Schutz.
Ihre Familie stammte aus San Luis Potosí, das streng genommen gar nicht im Norden lag. Vielleicht im südlichen Norden, wenn überhaupt. Einmal hatte ich gesehen, wie mein Onkel einen ganzen Sonntagnachmittag mit einer Chilischote im Bart herumgelaufen war.
Am nächsten Morgen standen neue Stühle im Hausflur, Holzstühle mit gepolsterten Lehnen und Sitzflächen, alles verstellbar, sehr bequem. Sie hatten sie auf der Trauerfeier des Dichters geklaut. Diese Leute waren gemeingefährlich: Sie hatten sie vom Palacio de Bellas Artes bis hierher geschleppt, sechs Metrostationen. Die neuen Stühle passten nicht mehr in den Abstellraum, wo die Modelo-Stühle lagerten. Also stellten sie sie auf beiden Seiten entlang des Hausflurs auf, wie in einem Wartezimmer. Für die Leute vom Literaturzirkel schien das der Gipfel der Eleganz zu sein. Auch die Kakerlaken waren entzückt.
Die Nachwelt kam zu dem Schluss, dass der tote Dichter nicht ganz so groß gewesen war. Es reichte