»Hat Trixi es dir denn nicht gesagt? Ich meinte, sie würde übersprudeln vor Glück. Sie hat mir gestern eine bezaubernde kleine Geschichte erzählt und mir gesagt, dass Dr. Gordon dir die gleiche erzählen würde.«
»Er hat sie mir erzählt, und auch ich fand sie zauberhaft, aber heute vormittag kamen mir dann Gedanken, wie die Bruggers sich wohl verhalten würden. Sie werden es doch nicht so einfach hinnehmen, Matthias.«
»Was bleibt ihnen übrig, nachdem sie uns so hinters Licht geführt haben«, meinte er.
»Hinters Licht geführt? Wie soll ich das verstehen?«
»HatTrixi denn den ganzen Vormittag schweigend bei dir verbracht?«, wunderte er sich. »Das sieht ihr aber gar nicht gleich.«
»Ich war sehr matt. Ich habe die meiste Zeit geschlafen. Dir kann ich es ja sagen, Matthias, ich wollte einfach nicht daran rühren, was geplant war.«
»Was ich mir so schön ausgedacht hatte! Sag es nur, sprich es aus. Und sie, die Bruggers, wollten sich nur meine Loyalität sichern. Sie sind finanziell am Ende. Ich sollte die Karre aus dem Dreck ziehen, und blind wie ich war, habe ich nicht gemerkt, dass Trixi das Opfer sein sollte. Dein Gliom, das dir so zu schaffen machte, hatte das Schlimmste verhindert, wenn wir es mal ganz deutlich sagen wollen.«
»Du, das muss ich aber erst verdauen«, sagte Astrid mit einem Seufzer der Erleichterung.
»Ich bin ein schöner Trottel, dass ich damit so herausplatze. Du sollst dich nicht aufregen, das hat mir Dr. Gordon doch so ans Herz gelegt.«
»Es regt mich nicht auf. Die Ungewissheit hat mich beunruhigt. Trixi macht sich jetzt hoffentlich keine unnützen Gedanken. Sie hat wohl erwartet, dass ich anfangen würde über Dr. Gordon zu sprechen. Ach, Matthias, in meinem Kopf herrscht doch noch ein ziemliches Durcheinander.«
»Du vergisst, dass gerade achtundvierzig Stunden seit deiner Operation vergangen sind, und Dr. Gordon ist sowieso überrascht, wie gut es dir schon wieder geht. Wie doch das Leben spielt, Astrid.«
»Ich werde mein Gliom los und bekomme den Arzt als Schwiegersohn«, murmelte sie. »Du bist doch einverstanden, Lieber?«
»Ja, ich bin sehr einverstanden, aber ich hätte mich auch sonst nie mehr in die Angelegenheiten unserer Kinder eingemischt. Sie wissen selbst recht gut, was richtig ist. Unser Jörg ist ein großartiger Junge. Ich bin einfach sprachlos, wie umsichtig er zu disponieren versteht.«
Astrid blinzclte unter den halbgeschlossenen Augenlidern zu ihrem Mann empor. Auf einmal wusste er auch das. Noch vor kurzem hatte er gesagt, dass Jörg ein Grünschnabel sei und meine, alles mit der linken Hand machen zu können.
Väter und Söhne, Mütter und Töchter, in jeder Generation gab es wohl solche Probleme zu überwinden, weil man nicht begreifen konnte, wie schnell die Kinder erwachsen wurden.
»Wir können sehr zufrieden sein mit unseren beiden«, flüsterte sie, und dann schlief sie wieder ein.
Trixi zerbrach sich indessen wirklich den Kopf, warum ihre Mutter so gar nichts über Michael gesagt hatte. Und nun, da die Erregung über den bösen Zwischenfall verebbt war, wurde ihr auch bewusst, dass Michael während ihrer kurzen Unterhaltung ebenfalls recht zurückhaltend gewesen war.
Am Abend wollten sie sich noch eine Stunde treffen, doch da Trixi nicht wusste, dass Rolf Brugger weit vom Schuss war, hätte sie sich nicht mehr aus dem Hause gewagt.
Sie wollte Michael anrufen, doch sie wagte es sich nicht so recht. Er hatte viel zu tun und selbst würde er auch nicht gleich am Telefon sein.
Ihr Selbstbewusstsein hatte während der letzten Tage stark gelitten. Es war ein bisschen viel auf sie eingestürmt.
Nie hatte sie etwas allein entscheiden müssen. Im Gegenteil. Alle Entscheidungen waren ihr abgenommen worden, und ganz selbstverständlich hatte sie sich den Wünschen ihres Vaters gefügt, den sie immer bewundert hatte. Er würde schon alles richtig machen, war ihre Ansicht gewesen. Er mit seiner Erfahrung konnte gar nichts falsch machen. Und nun hatte sie erkannt, dass auch er nur ein Mensch war, den seine Klugheit und Erfahrung nicht vor Fehlentscheidungen schützte.
Sie dachte unentwegt nach, über dieses und jenes, über die Vergangenheit und auch über die Zukunft. Die Gegenwart vergaß sie, und sie merkte nicht, wie die Zeit dahinrann.
Um sieben Uhr hatte sie sich mit Michael verabredet. Jetzt war es sechs Uhr, und es läutete. Panische Angst erfüllte sie plötzlich. Zögernd ging sie in die Diele. Tilli stand vor dem Sprechapparat und starrte ihn an, als wäre er ein gefährliches Tier.
Trixi nahm sich zusammen und schob Tilli beiseite. »Wer ist da?«, fragte sie mit fremder, bebender Stimme.
Es war Jörg, und als ihm dann die Tür geöffnet wurde, stand er kopfschüttelnd vor ihnen.
»Was verbarrikadiert ihr euch denn so?«, fragte er bestürzt. »Das ist ja wirklich die reinste Festung. Das Gartentor ist abgeschlossen, die Sicherheitskette an der Haustür vorgelegt. Ist mir der Zutritt etwa verboten?«, fragte er dann neckend.
Trixi fiel ihm um den Hals.
»Du zitterst ja«, sagte Jörg. »Wovor hast du Angst, Schwesterlein?« Seine Augenbrauen schoben sich zusammen.
Erst jetzt bemerkte Trixi, dass er beim Friseur gewesen war und einen gemäßigten, wenn auch flotten Haarschnitt hatte. »War etwa Brugger schon wieder
hier?«, fragte Jörg nun.
Trixi entschloss sich, ihm doch alles zu erzählen. Jörg wurde blass und knirschte mit den Zähnen.
»Das wird er büßen!«, stieß er hervor.
»Dr. Norden hat gesagt, dass man sich an ihm die Hände nicht schmutzig machen soll«, flüsterte sie scheu.
»Aber einen Denkzettel muss man ihm verpassen«, sagte Jörg. »Ich möchte wissen, was er im Schilde führte. Wollte er dich entführen und zehn Millionen, die sie brauchen, erpressen? An Verstand hat es ihm ja immer gemangelt, aber so blöd kann er doch nicht sein. Aber nichtsdestoweniger habe ich jetzt Hunger. Beruhige dich, Trixi. Er wird es nicht wagen, dir noch mal zu nahe zu treten.«
Trixis Blick wanderte zur Uhr. »Ich bin um Sieben mit Michael verabredet. Würdest du mich hinbringen, Jörg?«, fragte sie kleinlaut.
»Selbstverständlich, aber es ist noch Zeit.«
*
Michael hatte jedoch von Daniel schon alles erfahren. Vorsicht wäre in jedem Fall besser, meinte Daniel. In
einer ausweglosen Situation waren manche Menschen zu allem fähig.
In fliegender Hast verließ Michael Gordon zwanzig Minuten nach sechs Uhr die Klinik. Er setzte seine Mitarbeiter damit wieder einmal in Erstaunen, doch sie gewannen so langsam die Erkenntnis, dass er auch ein ganz normaler Mensch sei und nicht ein Roboter.
Als er Hollenbergs Haus fast erreicht hatte, wollte Trixi gerade in Jörgs Wagen steigen. Hart bremste Michael vor diesem.
»Trixi!«, rief er laut, Jörg gar nicht wahrnehmend.
Sie flog ihm an den Hals. Die immer wieder zurückgedrängte Erregung löste sich in einem haltlosen Schluchzen.
Michael hielt sie sekundenlang stumm umschlungen, bis Jörgs raue Stimme ertönte: »Nun geht mal schön ins Haus.«
Ihm war es richtig komisch, so viel Zärtlichkeit zu sehen. Ihm war plötzlich begreiflich geworden, was wahre Liebe war.
Dann standen Michael und Trixi in der Diele. Niemand störte sie. Sie hatten nicht bemerkt, dass Jörg an ihnen vorbeigegangen war, zu Tilli in die Küche. Michaels Hände umschlossen Trixis Gesicht. Tief blickte er in ihre feuchten Augen, die ihn so hilflos ansahen. Wie ein kleines Mädchen sah sie aus, das gern erwachsen sein wollte und doch nicht wusste, wie es das anfangen sollte.
Und dann warf sie plötzlich die Arme um seinen