Sie ließ ihn los, nahm das Kind an die Hand und trat mit gesenktem Kopf an dem Marshal vorbei auf den Gang hinaus.
Wyatt Earp musterte den Texaner mit kühlem Blick.
»Mister Meredith, ich bin erstaunt, Sie hier zu finden.«
Was Gilbert Meredith vor vierundzwanzig Stunden noch für unmöglich gehalten hätte, war geschehen: Er hatte sich an die Dodger Luft gewöhnt, an die Gegenwart des großen Wyatt Earp, der nach seinem Eingreifen in die Schießerei vieles von seinem Schrecken für den Texaner verloren hatte.
Er war doch offenbar ein ganz friedlicher Zeitgenosse, dieser Wyatt Earp! Die Leute machten zuviel Aufhebens von ihm. Well, er machte einen gewissen Eindruck, wenn er plötzlich so auf der Straße auftauchte, er hatte eine imposante Figur und ein ausdrucksvolles Gesicht. Auch war er zweifelsohne ein schnellentschlossener und mutiger Mann, der hinlangte, der nicht zauderte und der vor allem großartig mit dem Revolver umgehen konnte.
Aber das war es doch auch schon.
War er etwa ein besonders kluger Mann?
Sah er hinter die Dinge?
Vermochte er beispielsweise ihm, dem texanischen Falschspieler Gilbert Meredith, hinter die Stirn zu sehen?
Konnte er herausbringen, daß er, Meredith, diesen Urb Kelly gestern abend schwer betrogen hatte?
Sicher nicht. Er war kein außergewöhnlicher Mensch, dieser Marshal. So wenigstens dachte Gil Meredith. Und er sollte sich sehr getäuscht haben.
»Sie sind erstaunt, Marshal, das wundert mich. Sollten Sie doch inzwischen von den Tratschmäulern dieser Stadt erfahren haben, daß ich einen Grund habe, hier zu sein.«
In den Augen des Missouriers wetterleuchtete es, aber der Texaner merkte es nicht.
»Sie haben sich rasch von ihrem Schrecken erholt, Mister.«
»Kann sein. Man gewöhnt sich ein in solche Städte.«
Wyatt Earp, der ihn um mehr als halbe Haupteslänge überragte, blickte auf ihn herab.
»Solche Städte? Es war eine ruhige Stadt, Mister, bevor Sie kamen. Das sollten Sie nicht vergessen.«
»Ich habe weder den Streit mit dem übermütigen Cowboy noch den Ärger mit Harris und seinen Kumpanen angefangen.«
»Darum geht es nicht, Mister. Chalk Beeson hat Ihnen angeraten, die Stadt zu verlassen, ebenso Kid Kay. Sie aber hielten es für richtig, zu bleiben.« Ohne auf eine Antwort des Texaners zu warten, wandte er sich an Kelly. »Wenn es irgend etwas gibt, Kelly, schicken Sie nach mir.«
»Ist in Ordnung, Marshal.«
»Kommen Sie, Meredith, der Mann braucht Ruhe!«
Er packte den Texaner am Arm und schob ihn hinaus.
Draußen auf der Straße zündete er sich eine Zigarre an und sagte während er die Hände um das Streichholz hielt:
»Damit wir uns verstehen, Mister – Sie machen keinen Ärger. Es könnte sonst leicht sein, daß ich auf der anderen Seite stehe…«
Das war die letzte Warnung, die Gilbert Meredith bekommen hatte. Aber weil er den Marshal unterschätzte, schlug er sie in den Wind.
*
Der Tag verstrich.
Meredith dachte nicht daran, wegzureiten.
Er hatte einen Schuldschein in der Tasche, der eingelöst werden mußte. Und außerdem hatte er Honig ge-leckt: In diesem Dodge City gab es auf leichte Art Dollars zu verdienen.
Daß er nur an den falschen Spielpartner geraten war, das ging ihm nicht auf. Und daß die Dollars, die hier verdient werden konnten, saure Dollars waren, wußte er auch nicht.
Als die Dunkelheit hereingebrochen war, fand er sich wieder beim Mayor ein.
»Was wollen Sie noch?« knurrte Kelly ihn an und sah unwillig von seiner Arbeit auf.
Meredith trat in den Kreis der Kerosinlampe.
»Ihr Bruder hat den Schuldschein nicht einlösen wollen, Mayor.«
»Ich sagte Ihnen ja, daß er nichts hat.«
»Dann ist er also ein Betrüger, und ich werde ihn verklagen.«
»Wenn Sie ihn verklagen, klagt er Sie des Falschspiels an.«
Der Betrüger hatte auf einmal ganz schmale Augen.
»Des Falschspiels?«
»Sie haben recht gehört, Meredith. Überlegen Sie sich’s also.«
»Das ist Erpressung!« Die Augen des Texaners schimmerten gefährlich.
Der Bürgermeister bemerkte es wohl. Dennoch versetzte er ruhig:
»Seien Sie vorsichtiger mit Ihren Äußerungen, Meredith. Mein Bruder ist ein Mann, der hier genau bekannt ist. Was er sich auch vielleicht seiner Familie gegenüber mag zuschulden kommen lassen haben – ein Lügner ist er nicht!«
»Natürlich nicht! Er ist ja Ihr Bruder. Aber Sie haben sich geirrt, Mayor Kelly. Wenn er nämlich nicht zahlen kann, werde ich Sie belangen. Ich nehme an, daß Sie das Gesetz besser kennen werden als ich. Da heißt es, daß der nächsten Angehörige…«
»Verlassen Sie dieses Haus, Meredith. Tun Sie, was Sie nicht lassen können. Wenn Sie auf Eintreibung dieser Summe bestehen, verklagt mein Bruder Urb Sie wegen Falschspiels. Der Fall wird von Richter Broderson gründlich untersucht.«
Der Betrüger wurde förmlich grün im Gesicht vor Zorn.
»Sie werden sich verkalkulieren, Kelly! Das schwöre ich Ihnen.«
Verstimmt verließ der Tex die City Hall.
Die Sache lief keineswegs nach seinem Sinn. Die Kellys sträubten sich und waren so leicht weder einzuschüchtern noch zu überfahren.
Was nützte es, daß Urb und seine Frau sich in Angst und Schrecken wanden. Sie hatten kein Geld mehr.
Geld hatte nur der Bruder – und der drohte mit der Klage auf Falschspiel-Verdacht.
Meredith blieb an der Ecke von
Raths Clothing Store stehen und sann nach.
Wie wollten sie ihm das Falschspiel beweisen?
Well, er hatte »gezaubert« und mit der »Unterhand« gespielt, aber wie konnte man ihm das beweisen?
Es würde dem Mayor schwer werden, da den Beweis zu führen.
Dennoch, Gilbert Meredith war verstimmt und beschloß, die Sache doch beiseite zu schieben.
Es gab da noch andere Dinge, die verlockend waren und Gewinn versprachen.
Die Alhambra-Bar brauchte er ja nicht mehr aufzusuchen. Es gab noch so viele Spielsaloons, daß er viele Nächte gebraucht hätte, sie alle aufzusuchen.
Da saßen Leute genug mit dickgespickten Brieftaschen, die er noch erleichtern konnte.
Hatte die »Unterhand« gestern abend doch großartig geklappt!
Weshalb sollte ihm dieser raffinierte Trick nicht noch einmal gelingen?
Oder gar noch ein paarmal.
Vielleicht ging man dann nachher als reicher Mann aus diesem Dodge City!
Aussichten taten sich einem da plötzlich auf!
Die Leute würden ehrerbietig ausweichen, wenn er kam.
Und der Marshal sollte erst einmal einen Grund suchen, den reichen Gilbert Meredith aus der Stadt zu weisen.
Und wenn ihn wieder einer des Falschspiels bezichtigte, mußte er besser zielen!
Das nahm er sich vor.
Der