David ging durch den Raum und stellte sich vor den großen Bildschirm. »Ruhe bitte. Zuhören!« Alle richteten ihre Blicke auf die beiden Agenten.
»Schau mal, Batman und Robin«, witzelte eine der Frauen.
»Ja, ja«, antwortete David, »im Ernst, Leute. Wir hatten soeben eine Sitzung mit Ella Branson.«
»Und ihr lebt noch?«, rief jemand anders. David ließ sich nicht ablenken.
»Nachdem man ihn zu erschießen versuchte, bekam ein Waffenschmuggler, den wir nur unter seinem Pseudonym als Larry kennen, in seiner Welt kalte Füße, und jetzt sucht er bei uns Schutz im Tausch gegen Informationen. Wir stehen seit einigen Tagen in telefonischem Kontakt, er erschien aber gestern nicht an ein erstes vereinbartes Treffen mit uns. Seit dann hat er sich auch nicht mehr gemeldet. Wir haben jetzt den Auftrag, ihn zu finden.«
Rick schaute David mit großen Augen an.
»Bist du wahnsinnig geworden, David? Das kannst du nicht machen! Er ist kein Waffenschmuggler, und Branson hat uns befohlen, Larry in Ruhe zu lassen. Du musst sofort aufhören!«, flüsterte er ihm zu.
David ignorierte ihn und fuhr fort.
»Sam, projiziere die Liste der an mich eingegangenen Anrufe der vergangenen Woche auf den rechten Bildschirm, sortiert nach Telefonnummer, mit Datum und Zeit.«
Die Frau tippte einige Befehle in ihre Tastatur ein, und auf dem Bildschirm an der Wand erschien eine lange Tabelle mit Zahlen. David studierte die Liste und ließ Samantha durch die Tabelle blättern.
»Halt! Da, diese Anrufe sind von Larry. Da haben wir auch seine Telefonnummer. Was ist das für eine Nummer, Sam?«
Samantha gab einige Suchbefehle auf der Tastatur ein und antwortete. »Das ist eine Schweizer Prepaidhandynummer. Sie ist auf eine Gerda Schatz registriert. Moment noch, ich suche nach ihr … Komisch, diese Nummer wurde als gestohlen gemeldet.«
»Hab ich mir gedacht. Larry ist ein schlauer Kerl! Er ruft mich nur mit einem gestohlenen Handy an, das keinen Rückschluss auf ihn zulässt!«
Er blickte auf den Bildschirm und überlegte einen Moment.
»Nguyen und Roberto, ihr geht seinen Telefonanrufen nach. Kontaktiert Washington! Die NSA soll uns von den Schweizer Mobiltelefonanbietern die Metadaten der Anrufe dieser Nummer für die letzten vier Wochen besorgen. Wir wollen wissen, wen Larry wann, wo von dieser Nummer angerufen hat und von wem er Anrufe empfangen hat. Vielleicht benutzt er ein Smartphone. Lasst sie also auch seinen Datenverkehr nach E-Mail-Adressen oder besuchten Websites untersuchen. Sobald Washington seine E-Mail-Adresse herausfindet, suchen Caroline und Steve damit nach ihm im Internet! Unsere NSA-Kollegen sollen in Facebook, Twitter, Skype, WhatsApp usw. nach Familie, Freunden und Komplizen suchen. Larry ist von den USA nach Europa geflogen, also muss er Spuren in den Rechnern der Fluglinien hinterlassen haben. Er bezahlt sicher auch mal ohne Bargeld, also hinterlässt er Spuren in Banken und bei Kreditkartenanbietern. Macht schon! Besorgt mir einen Namen und ein Gesicht! Los!«
Hektik und Lärm brachen aus, als sich alle an die Arbeit machten. Er verließ den Raum durch die Schleuse, Rick folgte ihm. Kaum waren sie alleine im Gang, packte Rick ihn am Ärmel.
»Was soll das! Branson hat dir befohlen, den Mann zu vergessen, und du eskalierst den Fall zu einer ausgeweiteten Suchaktion? Mit welcher Befugnis? Was, wenn die NSA fragt, wer diese Suche angeordnet und genehmigt hat? Wenn Branson das vernimmt, macht sie aus uns beiden Hackfleisch.«
David antwortete Rick mit ruhiger Stimme.
»Vertrau mir! Mein Gefühl hat mich noch nie im Stich gelassen. Ich muss etwas unternehmen, um den Mann zu finden. Wenn wir in 24 Stunden nicht weiter sind, höre ich damit auf. Ich verspreche es dir.«
»Wir können von Glück reden, wenn Branson 24 Stunden lang nichts davon erfährt!«
Am Nachmittag begab sich Ella Branson wieder in den Sitzungsraum, in dem sie mit Rick und David zusammengesessen hatte. Sie setzte sich an den Tisch und breitete ihre Notizen geordnet vor sich aus. Wenige Augenblicke später öffnete sich der Vorhang an der gegenüberliegenden Wand, und auf einem der Bildschirme dahinter erschien das Logo der CIA. Über den Lautsprecher auf dem Tisch informierte eine weibliche Stimme, dass die Videokonferenz bereit sei. Das Logo auf dem Bildschirm verschwand, und ihr Vorgesetzter in Washington, Kenneth Leonard Wilson, erschien. Sein dickes Gesicht ließ auf die Form seines restlichen Körpers schließen. Er sah älter als seine 62 Jahre aus, und seine weißen Haare wurden langsam spärlicher. Einzig sein üppiger, weißer Schnurrbart war über Jahre als Markenzeichen unverändert geblieben.
»Hi, Ella, was hast du zu berichten? Habt ihr den Mann?«, fragte Wilson in einem breiten Texas-Slang.
»Guten Morgen, Sir. Nein, leider noch nicht. Es gab eine kleine Verspätung. Der Mann erschien gestern nicht zu einem vereinbarten Treffen mit zwei unserer Agenten. Sie haben inzwischen aber herausgefunden, dass er möglicherweise gar nicht mit dem Waffenschmuggel in Verbindung steht, sondern nur ein Kunstschmuggler war.«
Wilson überlegte kurz. »Eine falsche Fährte, um uns zu täuschen?«
»Möglich, aber ich denke nicht.«
»Die Zeit läuft uns davon, Ella. Wir arbeiten schon zu lange an diesem Fall, ohne nennenswerte Fortschritte zu erzielen. Wir dürfen uns von Nebengeräuschen nicht ablenken lassen. Was hast du angeordnet?«
»Unsere lokalen Ressourcen konzentrieren sich wieder ausschließlich auf die Suche nach Hinweisen zum Waffenschmuggel, und ich bin zuversichtlich, dass wir bald Spuren finden werden, die uns weiterbringen.«
»Du weißt, dass es der israelische Geheimdienst war, der das Weiße Haus auf den Waffenschmuggel aufmerksam machte. Die Israelis haben in mehreren Aktionen, die sie nicht näher beschreiben wollen, Waffen sichergestellt, die gemäß ihren Agenten über Europa geschmuggelt wurden. Sie sind sich ziemlich sicher, dass die Schweiz als Drehscheibe beim Schmuggel eine zentrale Rolle spielt. Es war peinlich, dass wir das von den Israelis vernehmen mussten. Deshalb hält jetzt das Weiße Haus ein Auge darauf, und wir müssen mit besonderer Dringlichkeit herausfinden, was da abläuft. Das Weiße Haus wird langsam ungeduldig, wir müssen schnell konkrete Ergebnisse vorweisen. Wenn es stimmt, dass die Waffen durch die Schweiz geschmuggelt werden, müsst ihr doch vor Ort jemanden finden, der davon weiß! Wir denken, dass mindestens die Finanzierung über Schweizer Banken läuft. Konzentriere dich also auf unser Problem! Du weißt, dass mich Verzögerungen enttäuschen.«
»Ich weiß, Sir. Es wird auch keine weiteren Verzögerungen mehr geben.«
»Ich spreche dich in 24 Stunden wieder, Ella. Viel Erfolg.«
Wilson verschwand vom Bildschirm, und das Logo der CIA ersetzte kurz darauf das Bild des leeren Arbeitsplatzes.
Kapitel 5
»Denver City College, Abteilung ehemaliger Studenten, mein Name ist Leslie, wie kann ich Ihnen helfen?«
»Guten Tag, Leslie. Mein Name ist Mike. 1985 hat meine Schwester bei Ihnen ihr Studium abgeschlossen, und ich organisiere für sie ein Treffen ihrer ehemaligen Klasse. Unsere Eltern und ich möchten sie damit überraschen. Ist sie doch auch heute noch so ein Fan des Colleges! Sie können sich aber nicht vorstellen, wie schwierig es ist, nach so vielen Jahren alle ihre Kollegen und Kolleginnen zu finden. Mit vielen hat sie natürlich noch Kontakt, aber einige sind inzwischen von der Bildfläche verschwunden. Sie würden mir sehr helfen, wenn Sie mir eine aktuelle Adressliste der damaligen Klasse besorgen könnten. Haben Sie vielleicht in Ihrem Archiv auch noch Bildmaterial von damals, das ich zum Beispiel für die Einladung verwenden könnte?«
»Es