Er verschwand durch den Türrahmen, und Mike hörte nur noch das Piepsen des Badgelesers, als er die Sicherheitstür ins Innere des Gebäudes öffnete.
Als Mike aus dem Wartesaal trat, ignorierte ihn der dicke Beamte am Schalter, der in irgendwelchen Papieren wühlte. Er verließ das Gebäude, ging die Stufen zum Vorplatz hinunter und spazierte nachdenklich durch den schönen Garten zum Eisentor und zum Waisenhausplatz, wo er sich auf eine Bank setzte und dem Wasser zuschaute, das über den Oppenheim-Brunnen plätscherte. Er spürte, dass der Polizist mehr wusste, als er zugab, und ihn angelogen hatte. Er hatte auch das Gefühl, dass ihm im Gespräch mit dem Polizisten etwas entgangen war, das ihm hätte auffallen müssen, etwas, das nicht stimmte. Gedanklich ging er das Gespräch mit ihm noch einmal durch, erkannte aber nicht, was es sein könnte.
Eine Gruppe Touristen folgte dem von ihrer Reiseleiterin hochgehaltenen Sonnenschirm und hielt vor dem bekannten Brunnen an. Noch bevor die Reiseleiterin mit ihren Ausführungen beginnen konnte, knipsten schon unzählige Kameras. Hinter der Gruppe verließen drei Geschäftsherren mit Aktenkoffern in den Händen ein Schulgebäude. Mike schaute ihnen zu, wie sie sich voneinander verabschiedeten. Da fiel ihm ein, was ihm im Gespräch mit dem Polizisten entgangen war: Der Polizist hatte ihn mit seinem Namen angesprochen, Mike hatte sich aber in der Polizeiwache nicht namentlich vorgestellt. Der Polizist konnte seinen Namen unmöglich kennen. Außer … ja, der Polizist hatte den Bericht von gestern gelesen. Dort waren seine Personalien vermerkt, und deshalb kannte er seinen Namen.
Er schloss die Augen und dachte über den gestrigen Tag nach. Bei ihrer Ankunft an der Aare hatten sich die Polizisten und die Beamtin nicht vorgestellt. Aber danach … ja, jetzt konnte er sich wieder daran erinnern. Die Frau hatte den kleineren der beiden Polizisten neben der Leiche mit seinem Namen, Kunz, angesprochen. Und bei der Eröffnung des Protokolls in das Diktiergerät hatte sie ihren eigenen Namen genannt. Jacqueline irgendetwas. Meyer-Lang, ja, das war ihr Name gewesen. Er musste die beiden Polizisten und die Frau in Zivil finden. Die wussten genau, was geschehen war. Er öffnete die Augen und sah den Touristen nach, wie sie zum Bärenplatz in Richtung Bundeshaus weiterzogen. Dann nahm er sein Handy hervor.
»Kantonspolizei Bern, grüessech.« Er drückte es näher ans Ohr.
»Könnten Sie mich bitte mit Frau Meyer-Lang verbinden?«
»Moment bitte«, Mike hörte den Mann den Namen auf der Tastatur seines Computers schreiben. »Es tut mir leid, wir haben keine Frau Meyer-Lang bei uns. Sind Sie sicher, dass der Name stimmt?«
»Ja, ganz sicher. Können Sie noch einmal nachschauen?«
»Ich habe unter Meyer gesucht, mit i und mit y. Auch unter Lang finde ich niemanden. Kann Ihnen vielleicht jemand anders helfen?«
»Ja, da ist noch ein uniformierter Polizist namens Kunz. Könnten Sie mich bitte mit ihm verbinden?«
Wieder hörte Mike das Tippen auf der Tastatur.
»Kunz, Jürg. Ja, den habe ich gefunden. Ich verbinde.«
Das Telefon klingelte dreimal.
»Kantonspolizei Bern, Kunz.« Mike erkannte die Stimme sofort. Es war der Polizist von gestern.
»Guten Tag, Herr Kunz, ich bin Mike Honegger und war gestern dabei, als Sie die Leiche untersuchten, die in der Aare entdeckt wurde. Ich würde Ihnen gerne einige Fragen zu diesem Fall stellen.«
Kunz erwiderte nichts. Er hängte das Telefon auf.
Mike wählte die Nummer noch einmal und wurde wieder verbunden. Das Telefon klingelte und klingelte. Dann meldete sich ein Beantworter. »Der gewünschte Teilnehmer ist momentan nicht erreichbar. Bitte hinterlassen Sie nach dem Ton …«
Mike wartete das Ende der Meldung nicht ab und hängte auf. Frustriert schlug er mit der Faust neben sich auf die eiserne Bank. Jeder Versuch, etwas herauszufinden, führte in eine Sackgasse.
Sein Magen begann zu knurren, es war fast Mittag. Im nahe gelegenen Starbucks kaufte er sich ein Sandwich und einen Kaffee und setzte sich unter einen Sonnenschirm auf den Balkon. Die Sonne brannte heiß auf den Platz. Mike blickte auf die Menschen herab, die sich im Schatten der Bäume eine Pause von der Arbeit oder vom Einkauf gönnten. Kunz wollte nicht mit ihm reden, Meyer-Lang war bei der Polizei unauffindbar. Trotzdem musste er mehr über den Toten herausfinden. Aber, wie?
Kapitel 3
Mike drückte auf den Klingelknopf der Gegensprechanlage neben der verschlossenen Glastür des Instituts für Rechtsmedizin der Universität Bern und blickte in das schwarze Auge der Kamera über dem Lautsprecher.
»Wie kann ich Ihnen helfen?«, tönte eine blecherne Stimme aus der Anlage.
»Mein Name ist Mike Honegger. Ich bin Journalist und recherchiere einen Todesfall von gestern. Die Leiche wurde von der Polizei hierher geschickt. Ich würde Ihnen gerne einige Fragen zum Opfer stellen.«
Mehrmals klickte es aus dem Lautsprecher, als ob die Frau am Empfang mehrere Anläufe nehmen musste, eine Antwort zu formulieren.
»Es tut mir leid, ich kann Sie nicht hereinlassen. Wir geben der Presse hier keine Auskünfte. Stellen Sie Ihre Fragen bitte schriftlich an unsere Abteilung Kommunikation. Die hilft Ihnen gerne weiter.«
Ein letztes Klicken aus dem Lautsprecher signalisierte das Ende des Gesprächs. Durch den Besuchereingang würde Mike nicht ins Gebäude gelangen.
Er folgte der Gebäudefront rechts um die Ecke und blickte auf die gesamte Länge des dreistöckigen, grauen Gebäudes. Eine breite Rampe neben den Treppen führte der Seite entlang hinunter zu den tiefer gelegenen Eingängen der verschiedenen Institute, die im Gebäude untergebracht waren und vor denen Studenten auf Treppenstufen saßen und den warmen Mittag genossen. Links unter ihm, am vorderen Ende des Gebäudes, stand ein Servicewagen einer Liftfirma vor einem breiten, offenen Tor, das in eine Werkstatthalle führte. Zwei Techniker in Overalls lagen mit geöffneten Oberteilen auf der Laderampe in der prallen Sonne. Mike stieg die Treppen hinunter, grüßte die beiden selbstsicher beim Vorbeigehen und betrat die Werkstatthalle, wo er nach dem Eingang ins Gebäude suchte. Er hatte Glück. Um die Sicherheitstür, die ins Innere des Gebäudes führte, nicht jedes Mal elektrisch vom Empfang aus öffnen lassen zu müssen, hatten die beiden Techniker sie mit einem Holzbalken blockiert. Als er sich ihr näherte, drehten Sensoren das Licht im langen grauen Gang dahinter automatisch an. Über die Treppe am Ende des Gangs gelangte er ins Erdgeschoss. Die Luft roch nach Desinfektionsmittel, die Wände zeigten blanken Beton, der Boden war mit billigem Linoleum belegt. Die Gänge im Erdgeschoss wirkten so düster und farblos wie die im Untergeschoss. Nur die eingravierten Metallschilder neben den Türrahmen wiesen auf den Standort hin. Aus einem der Räume drangen Stimmen und Gelächter. Den Schildern mit Namen von Mitarbeitern nach schien es sich in diesem Trakt um Büroräumlichkeiten zu handeln. Am Ende des Gangs bog Mike links in einen nächsten Gang ab.
Die Beschriftung neben der ersten Tür, T4.101 Pathologie, Raum C, half ihm nicht weiter. Als er zur nächsten Tür wollte, hörte er hinter sich den Glockenton des Lifts. Eine kräftige Frau in hellblauen Latzhosen, mit einem langen schwarzen Zopf, rollte ihren Putzwagen aus dem Lift vor sich her und pfiff dabei leise ein Lied. Im Wagen türmten sich Putzmittel, Lumpen, Kehrichtsäcke und Schwämme durcheinander.
»Kann ich helfen Ihnen, junger Mann?« Spanierin oder Italienerin, dachte Mike.
»Ja, mein Onkel ist seit gestern verschwunden, und die Polizei will uns nicht weiterhelfen. Anscheinend ist aber ein Mann gestern tot aufgefunden und hierher gebracht worden. Ich hoffe, es handelt sich nicht um Hans-Jörg.« Er inszenierte eine Tränenpause. »Meine Mutter würde das nicht ertragen.«
»Dios mío, qué terrible«, antwortete die Frau. »Sie müssen holen Bewilligung von Behörden, sonst keine Informationen hier.«
»Das