»Das verstehe ich gut, aber meine Frage ist sehr wichtig, glauben Sie mir.«
»Gehen Sie, oder ich rufe die Polizei!«
Mike überlegte, ob er einen zweiten Anlauf riskieren sollte, als Elvira zu lächeln begann und zu ihm ging.
»Dieser Mann ist mein Freund. Er war sehr nett mit mir. Ich spreche immer mit meinen Freunden. Komm mit ins Wasser!«, sagte sie bestimmt und reichte ihm ihre Hand.
»Bist du sicher, dass du mit dem Mann sprechen willst, Elvira? Du musst es nicht, wenn du nicht willst«, sagte ihre Tante argwöhnisch.
»Ja, wir gehen jetzt zusammen schwimmen. Er mag nämlich Delfine, so wie ich. Jetzt habe ich auch noch einen großen dabei.« Elvira zeigte ihm den aufblasbaren Delfin und führte ihn an der Hand zum Planschbecken.
»Also, aber nur fünf Minuten. Ich werde Sie die ganze Zeit in den Augen behalten. Wehe, Sie tun dem Mädchen etwas an!«, drohte die Tante verärgert.
Mike setzte sich ins lauwarme Wasser des Beckens, das ihm sitzend bis knapp zum Bauchnabel reichte. Elvira stand vor ihm und schaute ihn erwartungsvoll an.
»Was willst du mir sagen?«, fragte sie.
»Elvira, vor zwei Tagen hast du einen Mann im Wasser gefunden. Kann ich dich dazu noch etwas fragen?«
Anstatt zu antworten, blickte sie hinüber zu ihrer Tante auf der Liegewiese. Als Mike die Frage wiederholen wollte, schaute Elvira ihn wieder an und antwortete scheu: »Ja.«
»Hast du gesehen, wie der Mann, äh, wie der Mann ins Wasser fiel oder war er bereits im Wasser, als du deinen Ball holen gingst?«
Sie planschte mit den Händen und spritzte Mike nass.
»Er war im Wasser, weil der böse Mann ihn ins Wasser geworfen hat.«
Mike nahm Elvira an der Hand.
»Was sagst du da? Ein böser Mann? Welcher Mann war das?«
»Als ich den Ball hinter dem Busch suchte, sah ich, wie der böse Mann den anderen einfach ins Wasser schubste und dann wegrannte.«
»Hat der böse Mann dich gesehen?«
»Nein, ich war hinter dem Busch und er rannte dann einfach weg.«
»Kannst du mir sagen, wie der Böse aussah? Hast du sein Gesicht und seine Kleider gesehen?«
Elvira tauchte mit dem Kopf ins Wasser. Als sie den Kopf wieder aus dem Wasser hob, fuhr sie fort.
»Ich denke unter Wasser immer gut, weißt du? Das musst du auch einmal versuchen.«
»Das werde ich auch mal versuchen. Hast du dich unter Wasser an etwas erinnern können?«, fragte Mike ungeduldig.
»Ja, klar. Unter Wasser kann man sich immer an alles erinnern. Der Mann war groß und böse. Er hatte keine Haare und eine große Zeichnung auf seinem Arm. Ich zeichne auch gerne in der Schule. Aber auf Papier. Meinem Papa gefällt es nicht, wenn ich auf die Hand zeichne.«
»So, genug jetzt!« Mike hatte nicht bemerkt, dass die Tante am Beckenrand stand und mit einem bösen Blick auf ihn herabschaute. »Lassen Sie das Mädchen endlich in Ruhe! Elvira, komm aus dem Wasser, und zwar sofort! Wir gehen ein Eis kaufen.«
Elvira kreischte vor Freude und ging zu ihrer Tante.
»Danke ihr beiden«, sagte Mike. »Danke, Elvira. Du bist ein tolles und mutiges Mädchen!«
Mike konnte sein Glück nicht fassen. Elvira hatte soeben Johnny Delaraza beschrieben. Sie hatte gesehen, wie er Jay Briggs in die Aare geworfen hatte. Johnny Delaraza musste Jay Briggs ermordet haben.
Kapitel 6
»Du hättest Larry vergessen sollen, wie Branson es befahl. Weißt du, was die aus uns macht, wenn sie herausfindet, dass wir zum Flughafen fahren?«
»Wir sind um fünf Uhr losgefahren, bevor die Morgenschicht in der Botschaft antrat. Und sollte sie uns vermissen, offiziell sind wir unterwegs, um einem heißen Tipp nachzugehen, den wir zum Waffenschmuggel erhalten haben. Wer behauptet denn, wir seien auf der Suche nach Larry?«
Rick sah David im Licht des Armaturenbretts und des Morgengrauens schmunzeln.
»Wie machst du das, so ruhig zu bleiben, wenn du die Regeln zu deinen Gunsten dehnst?«
»Erfahrung im Feld, Rick. Das kommt mit der Zeit, genauso wie das Gespür, ob jemand mehr weiß, als er zugibt. Du bist erst wenige Monate hier in Bern, und das ist dein erster Einsatz nach der Ausbildung in Washington. Das kommt mit der Zeit, weißt du?«
»Wie lange bist du denn schon operativ tätig?«
»Ich war bis vor drei Jahren Nachrichtenoffizier in der Army. Dann wechselte ich zur Agency. Nun bin ich schon bald zwei Jahre hier in Bern stationiert.«
»Ich hoffe, du hast recht und Branson vernimmt nichts von unserem kleinen Ausflug!«
»Larry hat ein Transportunternehmen am Flughafen genannt, das involviert ist. Ich will dessen Angestellte möglichst früh sehen. Nachher sind sie zu beschäftigt, um in Ruhe mit uns zu sprechen. Wir werden lediglich einige Fragen stellen. Bevor uns jemand in der Botschaft vermisst, sind wir wieder zurück.«
David konzentrierte sich auf einen Lastwagen, der ohne zu blinken plötzlich vor ihm auf seine Spur wechselte. Er hupte und schlug mit der Hand auf das Steuerrad. »Das ist ja fast wie bei uns zu Hause in Boston! Wenn wir in Zürich abfliegen wollten, wären wir schon längst zu spät.«
»Hoffentlich schaffen wir es noch, bevor die Frühschicht beginnt!«
»Die Schweizer und ihre ewigen Baustellen auf der Autobahn! Stundenlange Staus, und trotzdem bauen sie die Autobahnen nicht richtig aus.« David schüttelte den Kopf.
»Da kannst du fahren, wann du willst, es ist immer dasselbe.«
»Es dauert nicht mehr lange, dort ist bereits die Ausfahrt zum Flughafen signalisiert.«
Sie verließen die Kolonne der Wagen, die zu den Abflug- und Ankunftsterminals fuhren, und drehten rechts ab zu den Frachthallen.
»Kein Parkplatz frei, egal wo«, beklagte sich Rick.
»Unsere Diplomatennummern sind unser Parkplatz«, lächelte David und stellte den schwarzen Chevrolet SUV mit den getönten Fensterscheiben in einer Parkverbotszone ab.
David zeigte auf eine Gruppe Männer, die über die Straße zum Frachtgebäude schlenderten und laut miteinander redeten. Alle trugen Leuchtwesten mit der Aufschrift ›SST Swiss Shipping and Trading‹.
»Da kommen die Mitarbeiter schon.«
David und Rick hörten die Männer lachen.
»Schau, je näher sie dem Gebäude kommen, desto langsamer werden sie. Jeder will noch möglichst lange seine Zigarette genießen«, schmunzelte Rick.
»Auf dem Flughafenareal ist striktes Rauchverbot, da müssen sie die letzte Chance nutzen. Komm, das ist auch unsere Chance!« David ging auf die Männer zu.
»Morgen, Jungs«, begrüßte er sie. Die Männer musterten misstrauisch seinen dunklen Anzug und seine Krawatte, dann schauten sie zu Rick, der gleich angekleidet war. Bei der Arbeit wurden sie von Männern in Anzügen nur angesprochen, wenn diese etwas von ihnen wollten, und es waren dann meistens Vorgesetzte. Vorgesetzte, die häufig kritisierten und die am Schreibtisch in ihren klimatisierten Büros zu wissen glaubten, wie Fracht verladen werden sollte.
»Hallo«, brummten zwei der Männer hörbar unfreundlich.
»Wer von euch ist denn heute Morgen der Schichtleiter?«
»Die