Wie die Sonne in der Nacht. Antje Babendererde. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Antje Babendererde
Издательство: Readbox publishing GmbH
Серия:
Жанр произведения: Учебная литература
Год издания: 0
isbn: 9783401807621
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zurück in mein Zimmer und verriegelte die Tür – auch wenn mir das kaum etwas nützen würde, wenn ich es mit Jenseitswesen zu tun hatte. Als ich wieder im Bett lag, konnte ich einordnen, was in der Luft gelegen hatte: Es war der Geruch nach Raubtier und Salbei.

      »Du spinnst, Mara«, murmelte ich und zog mir die Decke über den Kopf.

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      Am nächsten Morgen musste ich über den Handabdruck und Rosarias Kussmund auf dem Spiegel lachen. Ich duschte, und als ich Zähne putzte, wunderte ich mich eine Sekunde lang darüber, dass meine Zahnbürste über Nacht nicht trocken geworden war. Aber dann bekam ich eine Nachricht von Rosaria auf mein Handy und dachte nicht mehr daran.

      Die Elliots waren gut in Paris gelandet, die Stadt war fantástico und Französisch eine sexy Sprache. Ich lächelte. Auf die Frage, wie es Nils in Taos gefiel, schrieb ich, dass er es super fände, dass er gerade unter der Dusche stand und wir gleich zur Plaza gehen und auf dem Farmers Market noch ein paar Lebensmittel für unseren Roadtrip kaufen würden.

      Hasta Luego, simste ich und drückte auf Senden. Dabei fiel mein Blick auf die halb leere Schale mit den Jelly Beans und ich schüttelte amüsiert den Kopf. Pilgrim musste sehr hungrig gewesen sein, dass er sich an den bunten Bonbons vergriffen hatte.

      Der Landmarkt von Taos fand jeden Samstag statt und war das Highlight der Woche. Außerhalb der Hochsaison war die kleine Plaza, auf der früher unter anderem auch der Sklavenmarkt stattgefunden hatte, meistens wie ausgestorben. Doch an diesem Morgen füllte sich der Platz unter den schattigen Bäumen mit Ständen von Leuten, die von den umliegenden Farmen kamen und ihre Produkte feilboten. Tomaten und Tomatenpflanzen, Salate, Zwiebeln, Knoblauch, Rettiche, Maiskolben und natürlich roter und grüner Chili – das wahre Gold New Mexicos.

      Überall duftete es nach Gewürzen und Kräutern. Es gab eisgekühlte selbst gemachte Limonaden, köstliche Suppen, Tees, frische Eier, Honig und verschiedene Marmeladen. Ich liebte diesen Markt, weil alles öko war und vom Überfluss der großen Supermärkte keine Spur. Aber ich war noch nie ohne Lucia oder Rosaria hier gewesen und trotz der vielen gut gelaunten Menschen kam ich mir einsam vor.

      Ein indianisches Ehepaar hatte einen Stand mit frischen Maistortillas und dem köstlichen Brot, das die Pueblo-Indianer in den Hornos buken, den runden Lehmöfen, die sie von den Spaniern übernommen hatten. Die beiden waren die einzigen Indianer auf dem Markt. Vielleicht kamen die anderen nicht, weil sie nicht vergessen konnten, dass man ihre Vorfahren an dieser Stelle als Sklaven verkauft oder wegen Aufwiegelei gehängt hatte.

      Von diesen alten Geschichten spürte man jedoch am Markttag auf der Plaza nichts. Die Atmosphäre war fröhlich, bunt und ausgelassen. Lokale Musikgruppen musizierten, man unterhielt sich gestenreich und machte seine Einkäufe.

      Nachdem ich mich mit Pueblo-Brot und Tomaten eingedeckt hatte, holte ich mir eine Limo aus Melone und Zitrone, den legendären Taos Splash am fahrbaren Stand von Jessie, einer hübschen Blondine aus der Highschool. Wir plauderten ein bisschen, während ich meinen Durst löschte. Plötzlich leuchteten Jessies Augen auf und fixierten jemanden hinter mir.

      »Buenos dias, hermositas!« Ronnie Salazar. »Schön, dich zu treffen, Marihu… ähm, Mara«, sagte er und grinste breit. »Wollte dich ohnehin anrufen. Heute Abend gibt es Livemusik in der Adobe Bar.« Sein Blick wechselte zwischen Jessie und mir. »Habt ihr zwei Hübschen Lust?«

      Gleich zwei, dachte ich, da hast du dir ja was vorgenommen, Ronnie.

      »Tut mir leid«, sagte Jessie, »meine Mom hat Geburtstag und ich kann heute Abend nicht weg.« Sie bedachte mich mit einem eifersüchtigen Blick.

      »Schade«, bemerkte Ronnie. »Was ist mit dir?« Er musterte mich hoffnungsvoll, trotzdem beschlich mich das Gefühl, die zweite Wahl zu sein. Die Adobe Bar im Historic Taos Inn war bekannt für ihre extrastarken Margaritas, und Jessie dachte bestimmt, ich bekäme kalte Füße und würde kneifen.

      Mit einem lässigen Achselzucken sagte ich: »Ja, klar, warum nicht?«

      »Dann hole ich dich gegen sechs ab. Wir können vorher noch im Taos Pizza Out Back eine Pizza essen, okay?«

      »Okay.« Ich nickte. Das ging ja schnell. Hatte ich tatsächlich ein Date mit Ronnie Salazar, dem Footballgott? Im Out Back waren die Tische immer ausgebucht, und er würde sich ins Zeug legen müssen, um einen zu ergattern.

      Er grinste und zwinkerte Jessie zu. »Vale – alles klar. Dann bis heute Abend.« Und weg war er.

      Jessie beugte sich über die Theke zu mir herab und raunte:»Nimm dich in Acht, Redhead. Ronnie ist kein Kind von Traurigkeit.«

      »Keine Sorge«, versicherte ich ihr, »ich bin es auch nicht.«

      Vielleicht ging Ronnie ja nur mit mir aus, um Jessie eifersüchtig zu machen, doch ich war froh, den Abend nicht alleine verbringen zu müssen. Ronnie Salazar war witzig, sah gut aus, und falls er doch versuchen sollte, bei mir zu landen: Was ich nicht wollte, würde auch nicht passieren.

      Ungefähr eine Stunde lang hatte ich vor dem Spiegel gestanden und verschiedene Klamotten anprobiert, sogar ein paar Oberteile aus Rosarias Kleiderschrank. Am Ende entschied ich mich für Jeans und eine einfache weiße Baumwollbluse. Ich bastelte ein neues Lederband an den Kokopelli-Anhänger und trug ihn um den Hals.

      Punkt sechs fuhr Ronnie mit seinem grünen 1970er Chevy Impala vor, und zum ersten Mal in meinem Leben saß ich in einem echten Lowrider mit hydraulischen Stoßdämpfern, mit deren Hilfe Ronnie die Karosserie seines Wagens so tief absinken lassen konnte, dass zwischen Stoßstange und Boden nur noch fünf Zentimeter Platz waren. Auf dem Weg zur Pizzeria hob er die Karosserie um einen halben Meter an und ließ das Auto per Knopfdruck mitten auf der Straße tanzen.

      Frisierte Autos interessierten mich nicht die Bohne und ein tanzendes Auto war der Gipfel des Schwachsinns, doch ich fand es süß, wie Ronnie auf seine Art versuchte, mir zu imponieren.

      Das Taos Pizza Out Back war die beste Pizzeria der Stadt, und wie ich vermutet hatte, waren sämtliche Tische besetzt. Doch Ronnie hatte reserviert, und so saßen wir schon bald über der Speisekarte, die keine Wünsche offen ließ.

      Wir bestellten und dann redeten wir. Das heißt: Ronnie redete über Lowriding und ging mir bald auf die Nerven damit. Weshalb ich versuchte, das Thema zu wechseln. Was zur Folge hatte, dass er nun über Football redete. Aber Ronnie war wirklich charmant, und ich mochte die Grübchen in seinen Wangen, wenn er lachte. Er lachte ziemlich viel und ich ließ mich anstecken. Schließlich kam meine Viertelpizza »à la Vera Cruz«, mit Hähnchenbrustfilet, Honig-Chipotle-Soße und mariniertem Gemüse. Ronnie hatte eine halbe Ranchero-Pizza mit viel Chili, Salami und Käse.

      Während wir aßen, fragte ich Ronnie nach Pilar und erfuhr, dass der Ort einmal ein Apachendorf gewesen war, das die Spanier im Zuge der Rückeroberung New Mexicos dem Erdboden gleichgemacht hatten.

      »Rückeroberung?«, hakte ich nach.

      »Na, nach der großen Pueblo-Revolte«, antwortete er. »Die Indianer hatten einundzwanzig Franziskanermönche und an die vierhundert spanische Soldaten matado«, er legte die Handkante an seinen Hals, »abgemurkst. Über tausend spanische Siedler waren von ihnen bis zurück hinter die mexikanische Grenze getrieben worden.« Er wischte sich mit dem Handrücken über den Mund und sah mich an. »Erzähl mir nicht, dass dir Rosarias Vater nicht Vorträge darüber gehalten hat.«

      Hatte er. Stundenlang. Im Jahre 1680 hatten sich die Pueblo-Dörfer am Rio Grande zusammengetan und die Spanier unter Führung des charismatischen Medizinmannes Popé aus dem Land getrieben. Doch zwölf Jahre später kamen sie zurück, mit mehr Soldaten und besseren Waffen. Und sie hatten sich kein zweites Mal vertreiben lassen.

      Von David wusste ich, dass es danach noch zwei Aufstände gegeben hatte, die jedoch beide niedergeschlagen