Von keltischer Götterdämmerung. Die Kelten-Saga. Band 1-3: Anation - Wodans Lebenshauch / Völva - Wodans Seherinnen / Brictom - Wodans Götterlied. Die komplette Saga in einem Bundle. Astrid Rauner. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Astrid Rauner
Издательство: Readbox publishing GmbH
Серия: Von keltischer Götterdämmerung
Жанр произведения: Историческая литература
Год издания: 0
isbn: 9783862827732
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gepresst, als müsse er es vor einem Raubtier schützen. Während er bedächtig aufsah, war noch immer ein Schatten des Moorsängers zu erkennen. Der Greis, in dessen Gesicht Narben von zahlreichen früheren Schlachten erzählten, hatte Aigonn fixiert. Er fühlte den Blick auf seinem Körper wie eine Lanze, die mit dem Todesstoß drohte. Todesstoß. Dabei lag seinen Augen keinerlei Feindseligkeit inne. Es wirkte nicht einmal wie eine Warnung; Aigonn war verunsichert. Was wollte dieser Geist ihm sagen? Dass es zwecklos war, was er tat? Was kümmerte es ihn?

      Die Fragen begannen sich in Aigonns Kopf zu überschlagen. Er haderte immer wieder, ob es Sinn machen würde, sie auszusprechen, ob er eine Antwort erhalten würde. Bevor er jedoch zu einer Entscheidung kommen konnte, verblasste die Gestalt. Der Moment verschwand und ließ nur noch seine Beklommenheit zurück – zusammen mit dem Nachhall einer Erinnerung, die an diesem Ort, einem Schnittpunkt zwischen den Welten, unvergänglich geworden war.

      Fast erschöpft ließ Aigonn sich zurücksinken und stützte seinen Oberkörper mit den Armen auf dem Boden ab. Wolken waren zwischen den Baumwipfeln zu erkennen. Sie zogen stetig an der Sonne vorbei, um den Wald in das diffuse Licht eines Nachmittags zu tauchen, der Gewitter versprach; irgendwann, zum Abend vielleicht.

      Wie viel Zeit war vergangen? Aigonn konnte es nicht sagen. Die feinen Lichtsäulen, die zwischen den Baumkronen zu Boden fielen, verrieten nichts über den Fortlauf des Nachmittags. Würde es bald Abend werden? Womöglich. Wahrscheinlich. Was tat er eigentlich hier? Er war allein, ganz allein, und würde bald einer Übermacht an fremden Kriegern gegenüberstehen. Ohne einen Plan. Er hatte nicht einmal einen Plan! Sein Kopf war zu aufgewühlt, um einen klaren Gedanken zu fassen. Was sollte das alles? Wenn er planlos in den sicheren Tod rennen würde, hätte dies für Anation auch keinen Nutzen.

      Aber wenn ich gar nichts tue, ist ihr Tod gewiss! Falls er es nicht jetzt schon war.

      Noch bevor Aigonn diesen Gedanken zu Ende gedacht hatte, war er vergessen. Wie ein Raunen hallte das Echo eines monotonen Gesanges durch den Wald. Aigonn erstarrte in seiner Haltung, dann wirbelte er herum, presste sich auf die Farne am Boden und blickte starr zwischen den Stämmen hindurch.

      Dann kamen sie. Erst hörte Aigonn die Schritte der mehr als fünfzig Personen nur, dann erblickte er eine Prozession, die so jäh zwischen dem Blattwerk der Sträucher erschien, als wäre sie nur das Flackern einer Erinnerung längst vergangener Tage. Selbst aus seiner Position erkannte Aigonn Khomal in einem prachtvoll bestickten Mantel. Der Eichenfürst schritt an zweiter Stelle, gerade fünf Schritte hinter einem Mann, dessen einfache Leinenkleidung neben seinem Prunk beinahe armselig erschien. Lediglich die heiligen Zeichen, die man ihm mit blauem Waid ins Gesicht gemalt hatte, verrieten ihn als Schamanen – der höchste der Eichenleute, vermutete Aigonn. In seinen Händen hielt er eine prunkvolle Bronzekanne. Aigonn hatte eine solche schon in Rowilans Haus gesehen und wusste um ihre Heiligkeit. Die Götter allein konnten Anspruch erheben, ein Opfer aus diesem Gefäß zu empfangen. Dafür war es geweiht worden, dafür allein.

      Khomal folgte eine kleine Gruppe von Männern und Frauen, mit denselben Zeichen wie der Schamane geschmückt, Schalen in den Händen, die hellen Rauch in den Himmel schickten. Dann kam sie. Aigonn schnürte es die Kehle zu. Obgleich er aus einem Abstand von mehr als hundert Fuß ihr Gesicht kaum erkennen konnte, sah er doch, dass Anation nur noch ein Schatten ihrer selbst war. Ihre Haltung war gebückt. Zwei Schamanen stützten sie unter den Armen, während sie in schleppendem Schritt vorwärts lief. Ihr Griff war so fest, dass die beiden Männer die junge Frau beinahe trugen. Sie musste betäubt worden sein. Oder sie hatte das Ende ihrer Kräfte erreicht.

      Aigonn erstaunte, als er die gebückte Gestalt hinter ihr erkannte. Behlenos, gefesselt und von vier Kriegern umringt, lief hinter ihr her. Seine Bewegungen verrieten, dass er keine derart starke Betäubung wie Anation empfangen hatte. Khomal hatte anscheinend für diesen Tag ein weiteres Opfer geplant.

      Die restlichen Krieger, hohe Mitglieder der führenden Familien unter den Eichenleuten, Diener und ehrfürchtige Schaulustige nahm Aigonn kaum mehr wahr. Als könnte allein das etwas ändern, folgte er mit seinem Blick beschwörend Anations Gestalt. Sein ganzer Körper bebte vor Anspannung. Seine Beine zuckten, als wollten sie von selbst aus dem Wald stürzen, die Männer niederschlagen und Anation einfach mit sich nehmen. Doch seine Vernunft hielt den Drang mit aller Gewalt in Schach. Impulsives Handeln brachte nichts. Er musste versuchen, die junge Frau zu befreien, während die Aufmerksamkeit der Umstehenden auf andere Dinge gerichtet waren. Sicherlich würde der Schamane, bevor er das Opfer beging, die Götter anrufen und sich der Anwesenheit aller Geister versichern. Es schauerte Aigonn im Gedanken daran, das versprochene Opfer vor den Augen all jener halb unsichtbaren Wesen zu entführen, denen man es versprochen hatte. Doch in diesem Moment war es ihm egal.

      Mit einem kurzen Blick versicherte er sich, dass das Pferd locker angebunden war, um schnell genug die Flucht ergreifen zu können. Dann atmete er einmal tief ein und schlich auf Knien und Handballen durch das Dickicht dem Moor entgegen.

      Die Eichenleute beschritten einen Bohlenweg, ein weites Stück von der Stelle entfernt, wo Aigonn und Rowilan vor wenigen Tagen gelagert hatten. Langsam und ehrfürchtig schritten sie auf die ersten Mooraugen zu. Das Dickicht wurde lichter, die Sträucher weniger, der Boden feuchter. Für Aigonn wurde es immer schwerer, fast lautlos voranzukommen. Mit jedem Knacken erstarrte er, hielt inne und wartete, ob man ihn nun entdeckt hatte. Doch der eindringliche Gesang hielt die Eichenleute so in seinem Bann gefangen, dass sie auf nichts anderes zu achten schienen.

      Der feuchte Boden zwang Aigonn schließlich dazu, hinter einer kleinen Birke zu verharren. Die Prozession folgte dem Bohlenweg, bis dieser am Rand eines gewaltigen Moorauges endete. Als sie zum Stehen kam, hielt Aigonn unvermittelt den Atem an. Eine Spannung lag in der Luft. Die ganze Welt schien zu lauschen, wie der Gesang verstummte, der Schamane die Kanne behutsam vor sich auf das Holz stellte, um darauf die Arme dem Himmel entgegenzustrecken und zu rufen: „Herren dieser Welt, Wächter des Jenseits, Götter!“

      Stille. Atemlose Stille. Nichts regte sich, kein Windhauch, kein Tier.

      „Ihr habt uns geleitet, ihr habt uns den Sieg geschenkt! Unsere Feinde haben entgegen euren Gesetzen eine Seele aus der Anderen Welt zu sich gerufen, um sie zu entehren und für ihre niederen Zwecke zu missbrauchen. Wir sind nun gekommen, um zu danken und zurückzubringen, was unrechtmäßig eurer Welt entrissen wurde!“

      Der Schamane erstarrte. Aigonn konnte nicht sehen, welche Regung in seinem Gesicht eingefroren war, doch er erschauerte, als seine Worte gen Himmel schallten: „Falsches Leben entehrte die Götter. Blut wird reinigen. Der Tod schließt den Kreis. Das Opfer bringt den Anfang!“

      Niemand atmete. Die Luft schien zu vibrieren. Auf einmal fühlte Aigonn, egal, wohin er sich wandte, die Präsenz von Geistern, Geistwesen, alten Seelen, die alle gekommen waren, um diesem Moment beizuwohnen, der alles verändern konnte, alles, wenn auch nur um einen winzigen Funken.

      Gebannt fixierte die Menge das Geschehen. Die anderen Schamanen traten mit ihren rauchenden Schalen, in welchen sie vermutlich berauschende Kräuter verbrannten, an die Seite des Höchsten ihres Standes. Ein bebender Gesang erscholl. Er schien Aigonns ganzen Körper zu erfassen. Der Moment hatte still gehalten, die Sonne schien in ihrem Lauf erstarrt, während man den Blick der ganzen Welt auf das Moor gerichtet glaubte.

      Dies war die letzte Chance, die allerletzte. Jetzt oder nie!

      Plötzlich explodierte in seinem Hinterkopf der Schmerz. Ohne zu wissen, was geschah, kippte Aigonn im Aufspringen nach hinten. Ein zweiter Schlag traf diesmal seine Schläfe. Die Welt verschwamm, verwandelte sich in ein Farbenmeer. Was sein Mund nicht ausstoßen konnte, schrie in seinem Kopf. Panik und Schreck vereinten sich, zerbarsten. Dann versagten seine Kräfte. Wo eben noch das Moor gewesen war, versank die Welt in Schwärze.

      Wiedergeboren

      Braungraue, zuckende Farben. Zerplatzende Wassertropfen, laut wie Hornklänge, mischten sich mit dem Knistern brennenden Holzes. Irgendwo ein Rascheln. Alle Laute verklangen mit solchem Donnerhall, dass es in den Ohren schmerzte, doch auf eine gewisse Weise schienen sie unendlich weit entfernt, wie von einer unsichtbaren Wand abgehalten.

      Aigonn klammerte sich an