Von keltischer Götterdämmerung. Die Kelten-Saga. Band 1-3: Anation - Wodans Lebenshauch / Völva - Wodans Seherinnen / Brictom - Wodans Götterlied. Die komplette Saga in einem Bundle. Astrid Rauner. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Astrid Rauner
Издательство: Readbox publishing GmbH
Серия: Von keltischer Götterdämmerung
Жанр произведения: Историческая литература
Год издания: 0
isbn: 9783862827732
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immer weiter von ihm entfernte. Gestalten blitzten durch das unwirkliche Zwielicht. Gesichter wie Erinnerungen erschienen, tauschten ihren Platz mit Wesen, die niemals menschlich waren, es niemals sein würden. Aigonns Sinne konnten ihr Äußeres kaum erfassen; er hatte keine Worte dafür, nur unterschwellige Empfindungen, die Panik in ihm aufkommen ließen. Er wollte weg von diesem Ort, wo auch immer er war. Mit aller Kraft versuchte er sich zu der Wirklichkeit durchzukämpfen, die zuckend immer wieder durch den Nebel brach. Seine Kraft aber war verschwunden.

      Er war gelähmt, sein Körper, sein Geist. Angst, die seiner Panik begegnete, wurde fast unerträglich. Sie schien ihn zu zerreißen, während sein Kopf nur noch einen Gedanken kannte. Anation! Anation … Sie würden sie umbringen, opfern, das Ritual war schon begonnen worden. Was war geschehen? Er hatte ihr nicht helfen können, irgendjemand hatte ihn entdeckt, niedergeschlagen. ER HATTE ANATION NICHT RETTEN KÖNNEN!

      „Aigonn …, warte nicht auf uns …, bleib, hab keine Angst …, Aigonn!“

      Er konnte nicht sagen, wie viele Stimmen zu ihm sprachen. Sie verhallten in seinem Kopf. Seine Schädeldecke warf ihr Echo zurück, ließ sie wieder und wieder erschallen. Aigonn wollte, dass sie aufhörten. Sie trieben ihn in den Wahnsinn. Sein Mund öffnete sich, um zu schreien, doch was er hervorbrachte, war ein Laut, der selbst durch diese unwirkliche Welt armselig in seinen Ohren erklang.

      „Aigonn!“

      Sein ganzer Geist horchte auf. Mit Gewalt lenkte er alle Gedanken von den unkontrollierbaren Stimmen und Sinneseindrücken ab, die ihn umgaben. Die Wirklichkeit! Die Wirklichkeit rief nach ihm!

      „Keine Sorge, Aigonn! Was du im Moment siehst, schadet dir nicht. Dir wird nichts geschehen.“

      Wärme. Körperwärme. Eine Hand berührte beruhigend seinen Körper. Es dauerte einen Moment, bis Aigonn die Stelle als seine Schulter identifizieren konnte, erblickte jedoch niemanden, zu dem die Hand gehörte.

      Unerwartete Wut flammte in ihm auf. Er konnte sich entsinnen, dass ihm jemand, kurz nachdem er aus seiner Ohnmacht erwacht war, einen Becher an die Lippen gesetzt hatte. Was immer sein Inhalt gewesen war, die Wirkung hatte binnen kürzester Zeit eingesetzt. Das letzte Wimmern seiner Vernunft hatte erkannt, dass dieser Trank – aus was immer er bestand – den sonderbaren Zustand hervorgerufen hatte, in dem sein Geist sich nun befand. Und in Aigonn war darüber ungekannter Zorn entbrannt. Jemand hatte ihn abgehalten, Anation zu retten! Anation war tot, sicherlich schon. Obgleich er kein Zeitgefühl mehr hatte, schätzte Aigonn, dass eine geraume Zeit vergangen sein musste. Er befand sich nicht mehr im Wald, das glaubte er zumindest. Was sollte das alles?

      „Keine Sorge, Aigonn. Wenn du mir hilfst, wird es bald vorbei sein!“

      Helfen! Die Wut drohte ihn zu zerreißen. Was hatte dieser jemand mit ihm getan? Sein ganzer Körper lechzte danach, aufzuspringen, um sich zu schlagen. In seinem Kopf war keinerlei Kontrolle mehr vorhanden, während er unkoordinierte Signale an einzelne Körperteile sandte.

      Doch es geschah nichts. Nichts. Wut wurde zu Verzweiflung. Aigonns Körper gehorchte seinem Willen nicht mehr. Hilflos erwartete er, wie man ihm ein weiteres Mal ein Gefäß an die Lippen setzte, eine Hand seinen Mund aufdrückte und er gegen seinen Willen zu schlucken begann.

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      Rowilan glaubte, seine Lunge würde bersten. Er betete zu allen Göttern, die er kannte, dass sein Pferd immer noch weiter traben – wenigstens traben – konnte. Zum Galoppieren genügte seine Kraft längst nicht mehr. Mit jedem weiteren Sprung über Baumstämme und kleinere Hindernisse glaubte er, dass es unter ihm zusammenbrechen würde. Doch gegen seine Befürchtungen rannte es weiter, als wüsste es, welche Bedeutung diese Tatsache für seinen Reiter hatte.

      Bäume und Dickicht zogen in Schlieren an ihm vorbei. Entgegen jeglicher Vernunft hatte der Schamane den kürzesten, aber offensichtlichsten Weg zum Roten Moor gewählt, den er kannte. Schnittpunkte mehrerer, reich befahrener Handelsrouten hatte er bereits passiert. Der Wald war an vielen Stellen licht. Mit jeder neuen Abzweigung hatte er darauf gewartet, dass ihm Abgesandte der Eichenleute begegnen würden, so nah, wie er ihrem Gebiet schon gekommen war. Doch immerhin war er nicht allein.

      Es hatte Überzeugungskraft gekostet. Wiewohl er nicht von sich behaupten konnte, dass er diese Person, Anation, um wen auch immer es sich handelte, besonders mögen gelernt hatte. Dazu hatte es keinerlei Gelegenheit gegeben. Doch allein die Tatsache, mit welcher Gewalt Aigonn danach strebte, ihr Leben zu retten, war ihm selbst Grund genug gewesen, sich noch einmal an die Krieger der Siedlung zu wenden. Der plötzliche Zorn, den die Resignation und Gleichgültigkeit der Männer in ihm ausgelöst hatte, hatte Rowilan selbst überrascht. Sein Wort allein aber hatte letztendlich genügt, wenigstens sieben von ihnen zu bewegen, ihre Pferde zu satteln und ihm mit allen Waffen, die sie tragen konnten, in den Wald zu folgen.

      Das Warten war ihm schließlich sinnlos erschienen. Aehrel war nicht gekommen. Es war Rowilan schleierhaft, was sein langjähriger Freund so gänzlich ohne Vorwarnung aus der Siedlung getrieben hatte, doch was immer es sein mochte, es war belanglos geworden.

      Die Zeit hatte gedrängt. Den ganzen Weg über hatte der Schamane nicht mehr daran geglaubt, dass sie rechtzeitig kommen würden, um irgendetwas zu verhindern. Doch die Tatsache allein, dass es gerade dämmerte und sie sich in unmittelbarer Nähe des Roten Moores befanden, hatte seine Gedanken beflügelt. Der Gesang des Rituals war wie ein Raunen schon von weitem im Wald zu hören gewesen. Die fremdartigen, schwer verständlichen Worte, die dem Schamanen selbst beinahe vertrauter waren als seine Muttersprache, hatten Rowilans Nackenhaare aufstellen lassen. Je näher er dem Moor kam, desto mehr hatte ihn das Singen beruhigt – so grotesk es klingen mochte. Er hatte bei den Eichenleuten die geheimen Lehren seines Standes erlernt. Der Gesang verriet ihm, dass es noch nicht zu spät war, Anation lebte noch. Jedoch vermutlich nicht mehr für lange Zeit.

      Als der Wald lichter zu werden begann, verringerte Rowilan das Tempo. Die Pferde schnauften Mitleid erregend, während sie in schleppendem Schritt vorwärtsgingen, sehr langsam. Es dauerte nicht lange, bis die Reiter die ersten Menschen der Prozession ausmachen konnten, die sich auf und hinter einem Bohlenweg versammelt hatten, der ins Moor hineinführte.

      Der Schamane bemerkte mit Missfallen, dass immer wieder von allen Seiten neue Schaulustige dazukamen. Mit jedem Mann mehr würde es schwieriger werden, diesen Ort lebendig zu verlassen – falls man sie nicht schon vorher entdeckte. Trotz der Erschöpfung durch den langen Ritt spürte Rowilans Reittier dessen Unruhe. Obgleich es versuchte, seine Reserven an der reichen Krautschicht des Waldes zu erneuern, blickte es immer wieder verunsichert auf, spitzte die Ohren und beobachtete die Menschenansammlung, die sich um den Rand des Moores scharrte.

      Rowilan musste hart schlucken, als er Anation erblickte. Es war Teil des Rituals, das Opfer zwar nur für kurze Zeit, aber heftig zu betäuben, um die Seele rein und unbeschadet in die Andere Welt zu geleiten. Diese Tatsache war sein einziger Trost, während er den höchsten Schamanen der Eichenleute dabei beobachtete, wie er der jungen Frau mit rotem Ocker die heiligen Zeichen auf Kopf und Schultern malte. Mit der Spitze eines Dolches ritzte er danach ihre Konturen hauchdünn in Anations Haut. Es waren winzige Wunden, die ohne eine Narbe verheilen würden, wenn sie das Prozedere überleben würde. Doch diese Möglichkeit war nicht vorgesehen.

      Die Zeichen würden ihre Seele reinigen, würden alle bösen Kräfte abwenden und unschädlich machen, mit denen man hätte versuchen können, ihren Geist zu missbrauchen. Das Ritual sollte Erlösung bringen. Rowilan selbst hatte es nur ein einziges Mal begangen, an der Seite seines Lehrmeisters. Einen solch wahnsinnigen Mörder hätte niemand auf einer Totenaue begraben.

      „Rowilan!“ Die flüsternde Stimme seines Hintermannes holte den Schamanen aus seinen Gedanken. „Rowilan, was tun wir?“

      Diese Frage hatte er gefürchtet – allein deshalb, weil er darauf keine Antwort wusste. Die Rüge, die er Aigonn auf Grund seines überstürzten Aufbruchs erteilt hatte, hallte zynisch in seinem Kopf nach. Mit so vielen Menschen hatte er nicht gerechnet. Jeder Herzschlag machte deutlicher, dass sich ihrer aller Tod, seiner und der der Männer, in greifbarer Nähe befand. Und die Krieger waren sich dessen