Von keltischer Götterdämmerung. Die Kelten-Saga. Band 1-3: Anation - Wodans Lebenshauch / Völva - Wodans Seherinnen / Brictom - Wodans Götterlied. Die komplette Saga in einem Bundle. Astrid Rauner. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Astrid Rauner
Издательство: Readbox publishing GmbH
Серия: Von keltischer Götterdämmerung
Жанр произведения: Историческая литература
Год издания: 0
isbn: 9783862827732
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      Aigonn konnte den Kräften keinen Namen geben, die ihn und das Pferd immer weiter vorwärts getrieben hatten. Doch letztendlich hatte er das Rote Moor ohne Unterbrechung erreichen können, lange bevor erstes Abendrot zwischen den Baumwipfeln zu sehen war. Die Beschaffenheit der nahen Umgebung war Aigonn noch auf eine unterbewusste Art vertraut. Er hatte im Zwielicht weder markante Ortspunkte noch Bäume oder Wege ausmachen können, jedoch erkannte er die klanglosen Stimmen der Geister, das Lied der Birken zwischen Wollgras und Heidekraut. Der Geruch von Moder war mit dem Wind herangeweht worden, lange bevor das Moor in Sicht gekommen war. Und mit ihm hatte Aigonn die Beklemmung gespürt, die dem kommenden Ereignis vorauseilte.

      Als endlich die ersten Mooraugen zwischen den lichter werdenden Baumreihen auftauchten, fand Aigonn keinen Hinweis auf andere Menschen, wohin auch immer er spähte. Vorsichtig glitt er vom Rücken seines Pferdes. Sein ganzer Körper bebte, als wäre er den Weg zu Fuß hergesprintet. Die Anspannung schien ihn zerreißen zu wollen, doch alle Stimmen in seinem Kopf schrien auf einmal voller Eintracht danach, endlich neue Ruhe zu sammeln.

      Mit bedächtigen Schritten suchte Aigonn sich einen Weg durch das Wollgras. Die feinen Blüten streiften so leicht seine Hose, dass er die Berührung kaum spüren konnte. Trotz allem schien es ihm, als fühlte er den weichen Flaum wie warme Hände von Geistern an seinen Waden. Die Beklommenheit kehrte zurück, und machte ihm die Unwirklichkeit des Momentes bewusst. Der Höhepunkt des Sommers stand kurz bevor. Ganz ohne das Zutun der Menschen wurde die Grenze zwischen den Welten dünn. Die Geister und Seelen schienen das Spektakel bereits zu erwarten, das man ihnen für den heutigen Abend versprochen hatte. Aigonn glaubte, ihre feindseligen Blicke auf seiner Haut zu spüren. Sie entzogen sich seinen Sinnen, wichen ihm aus, als wüssten sie längst, dass er gekommen war, um den Eichenleuten Einhalt zu gebieten. Nur war nicht zu sagen, ob sie ihn daran hindern wollten oder ihm letztendlich zur Seite stehen würden.

      Ich bitte euch! Sie gehört zu den Menschen, die eure Welt gesehen haben, sie achtet euch und weiß, wozu ihr in der Lage seid! Helft mir, ihr Leben zu retten! Sie ist nicht ohne Grund aus der Anderen Welt zurückgekehrt!

      Ein Wind kam auf. Die frische Böe durchfuhr Aigonns halblange Haare, klärte seinen Geist. Und je länger er lauschte, desto deutlicher verstand er, was der Wind ihm zuflüstern wollte.

      Gesang hallte über das Moor, kaum mehr als ein Raunen, aber auf eine Art deutlich, die Aigonns Gehör allein nicht fassen konnte. Sein Blick flackerte, als er auf einmal eine einsame Gestalt über die Heide wandeln sah. Ein Mann. Er hatte die Augen geschlossen, bewegte sich jedoch mit einer solchen Sicherheit zwischen Stellen umher, an welchen der Boden einen Menschen bis zum Tod in die Tiefe zog, als gäbe es gar keine Gefahr zu fürchten.

      Aigonn schauerte. Er verstand kein einziges seiner Worte, die in einer unbekannten Sprache über die Landschaft glitten. Doch tief in seinem Innersten fühlte er ihre Botschaft, ohne sie an ein solch begrenztes Medium wie Worte zu binden. Selbst von weitem war die Erscheinung des Mannes imposant. Ein langes, braun-weißes Fell, das einen Umhang ersetzte, machte seine Schultern noch breiter, als sie wohl ohnehin waren. Zotteliges, graues Haar fiel darüber hinab. Seine sonstige Kleidung schien jedem Mann aus der Siedlung gehören zu können, doch um seinen Hals hing eine Vielzahl filigraner Schmuckstücke, manchmal nur winzige Tierknöchelchen, ab und an Perlen, alle an einzelnen Lederbändern. Dazwischen aber schimmerte ein goldener Anhänger, der ein fremdartiges Zeichen bildete. Aigonn erschien es fast zu grob geformt für den kaum ermesslichen Wert des Metalls. Wenn man es sich lange genug betrachtete, schien es der Form eines Schmiedehammers zu ähneln, vielleicht war es aber auch ein Pfeil. Aigonn konnte es nicht sagen. Ganz gleich jedoch, wie rätselhaft die Erscheinung des Mannes wirken mochte, er hätte niemanden zu fragen brauchen, um seinen Namen zu erfahren. Denn erschienen war er ihm bereits ein weiteres Mal.

      Es war der Moorsänger. Der Schatten dessen, was von ihm in dieser Welt geblieben war. Eine Erinnerung, bestärkt durch einen Geist, der vielleicht aus der Anderen Welt gekommen war, um Aigonn beizustehen. Aehrels Großvater.

      Die fremden Worte beflügelten seinen Geist – nein, weniger die Worte als viel mehr die stille Kraft, die ihnen innelag. Alle Wesen, was auch immer sie sein mochten, schienen zu lauschen. Der monotone, vibrierende Rhythmus erfasste sie alle, nahm sie mit in dieses Trugbild und die Erinnerungen, die ihm anhafteten.

      Auf einmal blieb der Moorsänger stehen. Sein Gesang verstummte, die ganze Welt schien innezuhalten. Seine Erscheinung hielt Aigonns Blick gefangen, er vergaß zu atmen, zu schlucken, während der Mann sich langsam herumdrehte.

      Die Welt verschwand. Im ersten Moment glaubte Aigonn, in bodenlose Schwärze zu fallen, während ihm Panik die Luft zum Atmen raubte. Erschrocken blinzelte er immer wieder, versuchte die Dunkelheit zu vertreiben, bevor eine vertraute Stimme die Schatten durchbrach.

      „… weiß, dass es dich verletzt, und glaube mir, es lässt mich nicht kalt. Aber keinem von uns beiden wird es etwas nutzen, wenn wir all das, wofür wir geboren wurden, verwerfen und versuchen, unserem Schicksal zu entkommen.“

      Anation. Das, was in ihren Worten mitschwang, ließ Aigonn hart schlucken. Keine Kühle, nein, aber Befremdung. Er konnte nicht sagen, ob sie damit etwas überspielen wollte, ein Gefühl vielleicht, das ihre Aussage eine Lüge strafen würde. Doch er konnte spüren, dass ihre Entscheidung endgültig war – für sie und auch für ihn.

      „Verzeih mir“, flüsterte sie. „Verzeih mir, dass ich niemals sein kann, was du in mir zu finden glaubst!“

      Was sollte das? Was wollte dieser Geist ihm sagen? Dass sein Handeln sinnlos war, ihm nicht helfen würde, egal, was zu tun war? Hatte dieser fremde Mann, der Moorsänger, in die Zukunft blicken können, um Aigonn nun, lange nach seinem eigenen Tod eine Warnung zu schicken, um ihn vielleicht im entscheidenden Moment zum Straucheln zu bringen?

      Eine Stimme hallte der Vision nach, fremd aber auf eine unheimliche Weise vertraut, wie Aigonn sie niemals gespürt hatte.

      „Wer durch die Zeiten blicken kann, in Zukunft und Vergangenheit, wird niemals finden, was er sehen will!“

      Straucheln … Würde Anation ihn im Stich lassen, wenn er sie gerettet hatte? Der Gedanke allein erfüllte Aigonn mit Bitterkeit. Zwar war er selbst erstaunt, mit welcher Heftigkeit die Gefühle in ihm entbrannten, Enttäuschung, Verrat … Er hatte nicht genug Namen für sie; nur von einer Erscheinung beflügelt, die ihm Fetzen eines Gespräches zutrug, nicht einmal Bilder.

      Vielleicht will er dich täuschen! Aigonn wehrte sich. Mit aller Kraft widersetzte er sich der Schwärze, die ihn noch immer gefangen hielt. Anations Worte hallten wieder und wieder in der Dunkelheit nach, als wollten sie sich in seinen Geist einbrennen, unvergessen bleiben. „Verzeih mir …“

      Was gab es zu verzeihen? Wenn dies wirklich die Zukunft war, würde ihm die Rettung gelingen! Anation würde leben! Doch war es überhaupt die Wahrheit? Als wollte der Moorsänger ihn erneut zum Straucheln bringen, blickte er auf einmal auf eine Szene hinab: Ein Abend im Sommer unter wolkenverhangenem Himmel. Aigonn erkannte die Totenaue, den See, an dessen Rand auf einem Scheiterhaufen ein Körper verbrannte.

      Im ersten Moment konnte er dieses Gefühl nicht beschreiben. Obwohl er sich mit aller Kraft daran zu erinnern versuchte, dass all dies ein Trugbild sein konnte, raubte ihm eine plötzliche Gewissheit alle Kraft. Scheitern. Vielleicht war das Schicksal nicht vorbestimmt, konnte sich verändern. Was wusste er schon davon? Doch obwohl er sich mit aller Gewalt an die Wirklichkeit klammerte, hörte er auf einmal eine flüsternde Stimme in seinem Inneren, eine vertraute Stimme, die ihm vor Augen hielt, was binnen eines Augenblicks unabwendbar geworden war.

      Ganz egal, was er tat, er würde scheitern. Scheitern auf vielerlei Wegen, an anderen Möglichkeiten. Aigonn fühlte sich auf einmal nackt, entblößt, von dem Schatten einer fremden Seele besiegt, welchen Kampf auch immer sie geführt hatten. Ohne sich wehren zu können, starrte er in den verschwommenen Abend hinaus; ein Bild, das einen so erschreckenden Frieden ausstrahlte, dass er Aigonn verzagen lassen wollte.

      Plötzlich kehrte die Gegenwart zurück. Schwindel schlug auf ihn nieder, raubte Aigonn jegliches Gefühl für Orientierung. Als sich die Bilder vor seinen