Aus diesem Grund verlief der Vollzug der Strafe sehr langsam. Faolán war vorsichtig, denn ein Gerüst wie auf den Baustellen zu Neustatt gab es nicht. Von Zeit zu Zeit beaufsichtigte Prior Walram den Fortschritt der Arbeit und genoss es sichtlich, Faolán bei der Ausübung zuzusehen. Bestimmt hatte er erhofft, dass sich der Novize sein Augenlicht zerstört. Doch diesen Gefallen erwies ihm Faolán nicht.
Während er den Kalk vorsichtig mit einer Bürste auf die Wand strich, fragte er sich, ob dies die Gefahr war, die Svea vorhergesehen hatte. Schließlich könnte es durch den Kalk geschehen, dass er Svea tatsächlich nicht mehr wiedersehen würde. Faolán hegte die Hoffnung, dass nach dem Tünchen die Gefahr überwunden wäre. Zumindest schien es so, denn sein Leben verlief nach erfolgreichem Abschluss der Arbeit endlich wieder in gewohnten Bahnen. Er war bester Laune, freute sich auf den nächsten Markttag und hoffte, dass Bruder Ivo ihm nach wie vor die Freiheit zugestehen würde, Svea am Weiher zu treffen.
* * *
Faolán kauerte auf dem harten Steinboden, wusste allerdings nicht weshalb. Svea und Neustatt waren aus seinen Gedanken verbannt. Alles war aus seinem Kopf verbannt und er versuchte sich zu erinnern, was eigentlich geschehen war. Er schaute langsam auf und mit einem Mal setzten sich seine Gedanken wie ein Mosaik zusammen …
Wild gestikulierend und laut wie die Posaunen des Jüngsten Gerichts trug der Prior seine Anklage dem Abt vor. Den Inhalt des Sermons begriff der Novize kaum. Seine Gedanken kreisten nur noch um den Tatbestand, wessen er beschuldigt wurde. An seiner Seite befand sich Konrad, der ebenfalls kniete. Dessen Gemüt war sichtlich erhitzt und wären seine Hände nicht hinter den Rücken gebunden gewesen, so hätte Walram nicht derart leichtfertig vor ihm auf- und ablaufen können. Konrads Blicke schossen hasserfüllt auf den Prior.
Langsam verblasste vor Faoláns Auge der wütende Mönch. Er vernahm keine Worte mehr, wurde taub für jedes Geräusch. Walram glich einem stumm geifernden Tier, das den mit geschlossenen Augen dasitzenden Abt mit Gesten zu betören versuchte. Auch dieses Bild verschwand langsam vor Faolán und er versuchte sich zu erinnern.
Er sah nur noch sich selbst. Er war allein im Raum und blickte an sich herab. Seine Hände waren noch immer geschwärzt, ebenso sein Habit um den Schoß herum. Die Stelle sah aus, als habe er versucht seine Hände daran zu säubern. Plötzlich wurde er sich auch des feuchten, klebrigen Flecks auf seinem Schoß bewusst.
Diese Feuchte inmitten der schwarzen Spuren brachte die Erinnerung an seine Tat schließlich zurück.
Seit dem Tünchen der Klosterkirche waren einige Tage vergangen, und Faolán musste in Ausübung seiner täglichen Pflichten einen schweren Aschekübel aus der Klosterküche entsorgen. Sein Weg führte ihn an der Rückseite der Kirche vorbei, die strahlend weiß in der Abendsonne leuchtete. Die Last brachte den Novizen schnell außer Atem und er musste sie mehrfach absetzen.
Leise verfluchte Faolán den Bottich. Erschrocken über seinen Ausbruch vergewisserte er sich nach allen Seiten, dass er von niemandem gehört worden war. Gerade als er den Kübel wieder aufnehmen wollte, fiel sein Blick auf die Kirchenwand. Das Streiflicht der tief stehenden Sonne warf merkwürdige Schatten auf das unebene Mauerwerk. Es war ein seltsamer Anblick, wie die Konturen langsam miteinander verschmolzen. Unerwartet formten sie ein Bild, und Faolán glaubte plötzlich, Sveas Gesicht erkennen zu können. Er schüttelte den Kopf und schloss die Augen, um dieses Trugbild loszuwerden. Als er sie wieder öffnete, sah er nach wie vor ein Gesicht auf der Wand: Ihr Gesicht!
Wie sehr er Svea vermisste!
Das Abbild wurde immer deutlicher und Faolán war sich sicher: Auf der Wand befand sich Sveas Antlitz, gemalt von der Sonne des göttlichen Firmaments. War es das Bildnis eines Engels, von himmlischer Hand gezeichnet? Diese Vorstellung kam wie ein Rausch über den Novizen.
Faolán wusste nicht mehr, was danach geschehen war. Das Nächste woran er sich erinnern konnte, waren die verkohlten Holzstücke in seinen Händen und die Kirchenwand, auf der er in Schwarz die Gesichtszüge eines Mädchens erblickte.
Erschrocken öffnete er seine Hände, ließ das verbrannte Holz fallen und entdeckte bestürzt seine schwarzen Handflächen. Würde ihn jetzt jemand sehen, wüsste er sofort, wer dieses Bildnis auf die Wand gezeichnet hatte. Sofort wischte er sich die Hände an seinem Habit ab. Dabei streifte er seine erregte Männlichkeit, die er jetzt erst bewusst wahrnahm. Ebenso bemerkte er ein seltsames, hitziges Pulsieren in seinem Unterleib. Entsetzen packte ihn, als er begriff, dass er nicht nur erregt, sondern sein Habit auf merkwürdige Weise feucht war. Eine klebrige Nässe, die ihm fremd war.
Obwohl Faolán keinerlei Erfahrung mit diesen Dingen hatte, so ahnte er aufgrund der Erzählungen einiger Novizen doch die Ursache dieser Feuchtigkeit. Er musste sich nur an das letzte Treffen mit Svea erinnern, schon würde sich das Fleisch zwischen seinen Beinen regen und versteifen, einhergehend mit einem sonderbar starken Verlangen nach ihr. Faolán wusste auch, wie er diesem Verlangen nachgeben könnte. Doch bisher hatte er sich stets beherrscht und noch nie Hand an sich gelegt. Umso entsetzter blickte er jetzt auf den Fleck herab.
Fieberhaft versuchte der Novize seine Gewandung zu säubern, doch seine schmutzigen Hände hinterließen nur zusätzliche schwarze Spuren und verschlimmerten die Lage. Faolán war verzweifelt und obwohl er sicher war, nicht der fleischlichen Lust erlegen zu sein, war das Resultat dennoch das gleiche. Die Sünde hatte sich in seinem Schoß ergossen. Hilfe suchend blickte er auf das Abbild an der Kirchenwand. Svea lächelte ihn an, wie sie es schon oft getan hatte. Oder lachte sie ihn aus? Verhöhnte sie ihn gar?
Noch einmal schaute Faolán sich angsterfüllt um. Niemand außer ihm wusste bisher, was geschehen war. Er musste unbedingt sein Habit wechseln und seine Hände waschen, damit kein Verdacht auf ihn fallen konnte. Die Strafe für dieses Vergehen würde mit Sicherheit noch härter ausfallen als alle jemals erlebten.
Schnell klaubte Faolán die verkohlten Holzreste vom Erdboden und warf sie in den Kübel. Dann überkam ihn die Idee, die Wand mit einem Ärmel zu säubern. Doch statt die Zeichnung zu beseitigen, verwischte er sie nur zu grauen, schmierigen Flecken. Verzweifelt begann der Novize das Abbild an einigen Stellen mit Spucke zu bearbeiten. Das Resultat war am Ende ein entstelltes Gesicht, das in keiner Weise mehr Svea ähnelte. Vielmehr feixte jetzt eine irrwitzige Fratze von der Wand auf ihn nieder, die man kaum noch als das Gesicht eines Mädchens erkennen konnte.
Faolán wusste nicht mehr weiter. Langsam entfernte er sich rückwärts von der Kirche, schüttelte verneinend den Kopf. Das alles konnte einfach nicht wahr sein! Er musste so schnell wie möglich alles unternehmen, um seinen Kopf aus der Schlinge zu ziehen! Diese Erkenntnis kam allerdings zu spät, denn in diesem Augenblick trat Prior Walram aus einem angrenzenden Gebäude.
Obwohl der Mönch immer auf der Suche nach einer neuen Schandtat Faoláns war, erkannte er die verhängnisvolle Situation nicht auf Anhieb und blickte zunächst nur missbilligend auf den Novizen herab. Als er ihn bereits mit Ignoranz strafen wollte, entdeckte er jedoch das beschmutzte Habit des Jungen. Aufgeregt kam er auf Faolán zu. Dabei sah er auch die besudelte Kirchenwand und den Aschekübel. Der Prior kombinierte in Windeseile.
Nach einem lauten Aufschrei des Entsetzens begann Walram mit einer unglaublichen Härte auf Faolán einzuschlagen, dass der Novize beinahe zu Boden ging. Es schien, als lege der Prior den über Jahre angestauten Hass in diese Hiebe. Sein Atem ging schnell, als sei er erregt, seine Beschimpfungen erklangen laut wie das Fluchen eines Ochsentreibers.
Der Novize konnte sich der Züchtigung nicht entziehen, denn der Aschekübel in seinen Händen fesselte ihn. Er wagte nicht, ihn fallen zu lassen. Unter den harten, schnellen Schlägen ging er langsam in die Knie. Erst dann ließ der Prior von ihm ab.
Faolán rührte sich nicht und wartete zitternd. Plötzlich rief der Prior zwei Namen und mit Entsetzen erkannte der Novize, dass es sich dabei um zwei der engsten Vertrauten des Mönches handelte. Selbstverständlich stimmten diese in Walrams Litanei ein. Der Prior zog den Novizen an einem Ohr empor und inspizierte ihn genauer. Erst jetzt erkannte er, dass auf dem Habit außer dem Schmutz auch noch der Beweis der fleischlichen Unzucht zu sehen war.
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