Die Eiswolf-Saga. Teil 1-3: Brudermord / Irrwege / Wolfsbrüder. Drei historische Romane in einem Bundle. Holger Weinbach. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Holger Weinbach
Издательство: Readbox publishing GmbH
Серия: Die Eiswolf-Saga
Жанр произведения: Историческая литература
Год издания: 0
isbn: 9783862827718
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besudelter Drogo, sondern auch zahlreiche schwarze Flecken auf den umstehenden Pulten, dem Steinboden und den kostbaren Schriftstücken des Bibliothekars.

      Bestürztes Schweigen beherrschte den Saal. Niemand rührte sich, nicht einmal Bruder Notger. Drogo stand wie angewurzelt da, das schwarz gefleckte Grinsen in seinem Gesicht war gefroren. Faolán reagierte als einziger und drückte auch noch die Sandtafel in die Fratze seines Gegenübers.

      Noch bevor Drogo begriff, was Faolán ihm angetan hatte, waren zwei seiner Getreuen zu ihm geeilt. Sie hatten Bruder Notger nicht vergessen und wollten verhindern, dass sich ihr junger Herr zu einer unüberlegten Tat hinreißen ließ. So blieb dem festgehaltenen Drogo nichts weiter übrig, als Faolán eine Drohung an den Kopf zu werfen.

      „Das wirst du noch büßen, du kleine Ratte. Mit Blut wirst du dafür bezahlen, das schwöre ich dir.“

      Diese Worte holten Faolán wie aus einem bösen Traum zurück. Er hätte sich in diesem Augenblick am liebsten selbst geohrfeigt. Niemals hatte er geglaubt, dass Drogos Hunde zu einer solchen Geistesgegenwart fähig wären und ihren jungen Herrn zurückhalten würden, um alles weitere dem Bibliothekar zu überlassen.

      Mit einem Aufschrei löste sich Bruder Notger aus seiner Starre und stürmte auf die Pulte der Novizen zu, die allesamt schweigsam dastanden und nicht wussten, wie sie sich verhalten sollten. Die Sorge des Mönches galt jedoch nicht Drogos Misere, sondern seinen wertvollen Pergamenten, die mit Tusche befleckt waren. Entsetzt riss der Bibliothekar die besudelten Dokumente an sich und versuchte mit dem Ärmel seines Habits die noch feuchte Tusche abzuwischen, bevor sie gänzlich vom Pergament eingesogen wurde. Je mehr Flecken er entdeckte, umso größer wurde sein Ärger.

      Dann geschah etwas, was Faolán bisher für unmöglich gehalten hatte. Mit weit aufgerissenen Augen und doch blind vor Wut blieb Bruder Notger schwer atmend vor ihm stehen. Doch er sah in diesem Moment nicht seinen besten Schüler vor sich, dem ein Missgeschick unterlaufen war, sondern den mutwilligen Zerstörer seiner geliebten Schriftstücke. Mit all seiner Kraft schlug der Mönch Faolán plötzlich in sein ohnehin schon geschundenes Gesicht, sodass dieser zu Boden fiel.

      Absolute Stille herrschte im Raum, einzig das erregte Atmen des Bibliothekars war zu hören. Schließlich brachte er doch noch ein paar sinnlos aneinandergereihte Worte hervor. „Du …? Wie …? Ich …!“

      Faolán rappelte sich auf und hielt sich den Kopf. Er versuchte etwas zu sagen, doch für eine Entschuldigung ließ ihm der Bibliothekar keine Zeit. Er packte seinen Schüler an der Kapuze und zog ihn hinter sich her, einer harten Strafe entgegen. Zu seinem Schrecken musste Faolán erkennen, dass Bruder Notger ihn hierzu nicht zu Abt Degenar zerrte …

      Prior Walram stand an dem Pult in seiner Kammer und starrte auf den Pergamentbogen vor sich. In seiner Hand hielt er eine Feder, bereit zu schreiben. Doch er rührte sich nicht. Seine Gedanken waren klar, doch er war unfähig, sie niederzuschreiben.

      Missmutig legte Walram die Feder nieder. Schon oft hatte er versucht, diese Zeilen zu verfassen, es jedoch nie fertig gebracht. Nicht nur darüber war er verärgert, sondern auch über die Tatsache, dass er dieses Schriftstück überhaupt verfassen musste – und es dennoch nicht tat. Walram war unschlüssig. Wie sollte er dem Grafen nur vermitteln, was ihm wichtig war, ohne dabei zu viel zu wagen?

      Der Prior wusste, dass Rurik hart durchgreifen würde, sollte ihn jemand mit einer unverhältnismäßigen Forderung in Bedrängnis bringen. Dabei war die Forderung in Walrams Augen nur allzu berechtigt. Er wollte nicht mehr als das, was Rurik und er in ihrem Abkommen damals vereinbart hatten. Schließlich wollte er doch nur Abt dieses kleinen Klosters werden und nicht gleich Bischof – obwohl er dagegen auch nichts einzuwenden hätte.

      Rurik hätte ihn laut ihres Abkommens in diesem Vorhaben unterstützen sollen, so wie Walram mit seinem Einfluss dafür gesorgt hatte, dass Ruriks Überfall auf die Greifburg von Erfolg gekrönt war. Doch Rurik hatte sein Wort gebrochen, angeblich weil Walram die Vereinbarung nicht eingehalten hätte, indem er dem Grafen weder den Siegelring noch seinen Neffen Rogar ausliefern konnte. Als ob das noch wichtig gewesen wäre, nachdem Rurik von König Otto zum Grafen ernannt worden war. Damit war doch alles erfüllt, was in dem Abkommen zwischen ihm und Walram gefordert war – bis auf den Vorsitz der Abtei!

      Noch immer hatte Degenar hier das Sagen, obwohl es an ihm, Walram, wäre, die Führung zu übernehmen. Doch ohne Ruriks Rückhalt war das unmöglich. Schuld daran war nur dieser Junge. Faolán nannte er sich schon seit Jahren, obwohl Walram sich sicher war, dass der richtige Name Rogar lautete. Aber auch hier war er machtlos, es gab keinen Beweis, den er Rurik hätte vorlegen können. Würde es diesen Jungen doch nur nicht geben! Wäre er doch als kleines Kind an seiner Krankheit verendet, wie all die anderen Kinder des einstigen Grafen!

      Je länger der Prior darüber nachdachte, umso wütender wurde er. Was die Krankheit nicht geschafft hatte, würde er am liebsten selbst vollbringen. ‚Ich hätte keine Hemmung’, dachte sich Walram und ballte hasserfüllt seine Fäuste. Ja, er wäre zu jeder Tat bereit. Er war es damals und er wäre es auch heute. Um seinem Ärger Luft zu machen, wollte er aus seiner Kammer stürmen und den erstbesten Novizen bestrafen, der ihm über den Weg lief, als sich plötzlich die Tür öffnete. Bruder Notger trat ein und zu Walrams Überraschung zog er Faolán hinter sich her.

      „Entschuldigt die Störung, ehrwürdiger Prior“, begann der Bibliothekar aufgebracht, „doch ich muss Euch über ein Vergehen dieses Novizen unterrichten.“

      Walrams Zorn verflog schlagartig. „Bitte, Bruder Notger, keine falsche Scham. Berichtet mir alles, jedes Detail …“

      Es folgte ein ausführlicher Bericht. Während der Bibliothekar von Faoláns Missetat erzählte und dabei zum Beweis mit beschmutzten Pergamenten herumfuchtelte, breitete sich auf Walrams Gesicht ein zufriedenes, schadenfrohes Lächeln aus. Nachdem Bruder Notger seine Ausführungen beendet hatte, dankte ihm der Prior und er versprach, sich der Sache voll und ganz zu widmen. Der Schriftgelehrte verließ daraufhin erschöpft, aber dankbar, die Räume des Priors und Faolán war mit Walram allein.

      Wie ein Wolf, der seine Beute einkreiste, begann der Prior um Faolán herum zu gehen. Er hatte keine Eile, nicht nach all den Jahren des Wartens. War dies eine Fügung des Allmächtigen? Er wusste es nicht und es war ihm auch gleich. Wichtig war nur, dass Faolán jetzt hier war – und er wollte es genießen.

      Bedächtig suchte Walram eine geeignete Rute aus. Er hatte viele davon, und er wollte sicher gehen, dass sie nicht am Novizen zerbrechen würde. Unter sachkundigem Blick ließ er seine Wahl mehrfach durch die Luft zischen, dann wandte er sich dem Jungen zu. Faolán stand regungslos da, wagte kaum zu atmen. Zufrieden sah Walram offene Furcht in dessen Augen.

      Der Prior festigte seinen Griff um die Rute, bevor er mit einem diabolischen Grinsen zu Faolán sprach: „Endlich ist es soweit! Du hast ja keine Ahnung, wie lange ich mich schon nach diesem Augenblick sehne. Du hast nicht die leiseste Ahnung …“

      Und dann schlug Walram zu.

      * * *

      Faolán erwachte und nahm als erstes den Schmerz wahr. Nicht nur in der linken Wange, sondern an seinem gesamten Körper. Es war ein neuer, brennender Schmerz. Die verabreichten Stockhiebe waren nicht ohne Wirkung geblieben. Walram hatte darauf geachtet, sie gut zu verteilen und sowohl Rumpf als auch Gliedmaßen gleichermaßen zu misshandeln. Doch am stärksten pulsierte der Schmerz in Faoláns Schädel, der von der Bisswunde stammte und weit ausstrahlte.

      Der Novize wagte nicht, sich zu bewegen. Er blieb regungslos auf dem kalten Steinboden liegen und überlegte, wie lange er wohl schon in dieser kargen Zelle stecken mochte. Er hatte jede Erinnerung und Wahrnehmung jenseits des Schmerzes verloren. Weder hatte er jemanden zu Gesicht bekommen, noch wurde ihm etwas zu Essen oder zu Trinken gebracht. Sein Rachen war ausgetrocknet und sein Magen leer. Hatte man ihn vergessen? Oder war dies Teil von Walrams auferlegter Strafe?

      Das Denken fiel ihm schwer, sein Kopf glühte. Vorsichtig berührte er die verletzte Wange und bereute es sofort. Der reißende Schmerz war unbeschreiblich, und die ganze Seite seines Gesichtes brannte höllisch. Der Verband lag auf dem Steinboden, doch es war Faolán zu anstrengend, ihn wieder anzulegen.