„Woher sollte er das wissen?“, wollte Friedrich erstaunt wissen.
„Er hat ein Netz an Kundschaftern, dessen bin ich mir sicher. Für ein paar Silbermünzen bekommt er mühelos den einen oder anderen Hinweis. Um ehrlich zu sein, habe ich nicht erwartet, dass Rurik mich ohne weiteres zum König ziehen lässt. Er lässt sich nicht gerne in den Kelch spucken. Deshalb hatte ich eigentlich auch damit gerechnet, dass er meine Ankunft in der Pfalz verhindern würde.“
„Kann Rurik unseren Plan gefährden? Sollte ihm die Grafschaft zugesprochen werden, so ist es ganz gleich ob Rogar noch am Leben ist oder nicht. Wir suchen schon so lange nach ihm und haben nichts in der Hand. Wer weiß, ob er den vergangenen Winter überlebt hat oder gar von Geächteten gemeuchelt wurde. Otto wird diese Schlüsse selbst ziehen können, er ist kein Narr.“
„Nein, das ist er wahrlich nicht“, pflichtete Gerold seinem Verbündeten bei. „Wir müssen vorsichtig sein, denn der König ist für sein rigoroses Handeln in der Ernennung von Ämtern und Adelstiteln bekannt und gefürchtet. Er übergeht dabei selbst Erbfolgen und Familienordnungen. Maßgebend ist für ihn, was seiner Sache dient und danach müssen auch wir Ausschau halten. Ich kenne meine Position genau, Friedrich. Wir gehen ein Wagnis ein, das will ich gar nicht bestreiten, doch besser dieses heute eingehen als morgen Rurik die Treue schwören zu müssen.“
„Diesbezüglich sind wir einer Meinung! Ich werde die anderen von deinem Kommen unterrichten. Sie stehen hinter dir wie einst hinter Farold. Wir sind zwar nicht so mächtige Herren wie Rurik, doch unsere Zahl ist nicht zu verachten. Sobald ich etwas Neues erfahre, setze ich dich darüber in Kenntnis.“
In der Angelegenheit um Rurik war alles besprochen und Friedrich wandte sich bereits zum Gehen, als Gerold ihn mit einer weiteren Frage aufhielt. „Wie geht es Mildrith und den Kindern?“
Der Krieger schien überrascht zu sein, freute sich jedoch über die Anteilnahme seines Freundes. „Gut, es geht ihnen gut. Mildrith hat die Geburt gut überstanden und der Knabe gedeiht prächtig. Elisabeth wird von Tag zu Tag hübscher und verdreht den Jünglingen die Köpfe. Und Gilbert kann es kaum erwarten, ein Page zu werden.“
„Es ist schön, dass sie wohl auf sind. Bewahre sie gut, sie sind dein größter Reichtum!“
Diese besorgten Worte machten Friedrich stutzig, doch er erwiderte nichts. Er verabschiedete sich von Gerold und Brandolf und verließ die Kirche. Der Edelherr schaute seinem Sohn lange in die Augen. „Zweifelst du an unserem Vorhaben oder an der Loyalität unserer Verbündeten, Brandolf?“
„Nein, Vater. Weshalb sollte ich das?“
„Ich weiß es nicht, es ist nur so ein Gefühl …“ Gerold dachte kurz nach, dann schüttelte er den Kopf und wandte sich wieder seinem Sohn zu. „Bald werden wir vor dem König stehen und er wird viele Fragen an uns richten. Bestimmt werden sie auch die Ereignisse der Nacht des Überfalls betreffen. Wirst du sie dem König in Ruriks Beisein genauso schildern können wie mir?“
„Es ist die Wahrheit und diese auszusprechen bereitet mir niemals Probleme, selbst in Ruriks Anwesenheit nicht. Er kann mich nicht einschüchtern. Damals vermochte er es nicht und es wird ihm auch in Zukunft nicht gelingen. Mit Gottes Hilfe werden wir vor dem König bestehen und die gerechte Sache wird siegen.“
„So etwas sagt sich im Hause des Herrn leicht. Doch wenn du in der hohen Halle vor deinem König stehst, könntest du es anders sehen. Dort haben nämlich andere Mächte Einfluss auf die Geschicke der Menschen. Je länger wir untätig in dieser Pfalz warten, umso größer kann dieser Einfluss von anderer Seite bei König Otto werden. Ich hoffe und bete, dass wir bald angehört werden.“
Brandolf konnte dem nichts hinzufügen. Er wusste zwar nicht, wie er in der großen Königshalle am Ende bestehen würde, doch er kannte Ruriks Verschlagenheit. Gerold kniete noch einmal vor dem Altar nieder und beendete das unterbrochene Gebet. Danach verließen Vater und Sohn die Saalkirche, um ihr Quartier aufzusuchen und sich auf die bevorstehende Audienz beim König vorzubereiten.
In den folgenden Tagen hatte sich Gerold immer wieder mit seinen Verbündeten getroffen. Alle waren angereist, um sein Ansinnen zu unterstützen. Es waren keine Adeligen von hohem Stande, doch ihre Zahl war nicht gering.
Edelherr Gerold traf sich am häufigsten mit Friedrich, tauschte mit ihm Neuigkeiten aus und besprach das weitere Vorgehen. So sehr sie sich auch bemühten, Informationen über Rurik und dessen Plan zu erhalten, sie konnten leider nichts herausfinden.
Brandolf war bei diesen Treffen immer zugegen und sein Vater fragte ihn stets nach seinen Ansichten. Dabei achtete der Sohn nach dem Rat seines Vaters stets auf die Reaktionen ihrer Freunde statt bloß auf den Inhalt ihrer Worte. Im Gesicht eines Mannes, so hatte ihn Gerold gelehrt, könne man die Wahrheit erkennen, nicht in seinem Gerede. Und er fand, dass ihre Gesichter keinerlei Unsicherheit oder gar Abtrünnigkeit verrieten.
Am dritten Tage allerdings, als sich Friedrich allein mit Gerold und Brandolf in deren Quartier traf, um die letzten Einzelheiten vor der Audienz zu besprechen, wirkte er abwesend. Er antwortete zwar auf die Fragen seines Freundes und stand ihm auch mit Rat zur Seite, doch sein Blick schweifte immer wieder zum Fenster hinaus, in die Weiten der Flussebene. Es schien, als suche er dort nach Antworten. Brandolf wurde misstrauisch, doch Friedrichs Worte wichen nicht von seinen vorherigen ab und so blieb es beim vereinbarten Vorgehen.
Am nächsten Tag war es schließlich soweit. Ein Gefolgsmann des Königs bestellte Gerold und Brandolf zur Audienz. Die beiden Krieger hatten sich schon am frühen Morgen ihre beste Gewandung angelegt und machten sich jetzt hoffnungsvoll auf den Weg zur hohen Halle, die sie nach kurzem Warten betreten durften.
Brandolf war sprachlos, als er durch den langen Saal zur gegenüberliegenden, halbrunden Exedra schritt. Wie bei einer Kirche, befanden sich an den beiden Außenwänden hochgelegene Fenster, die den Raum mit Licht durchfluteten. Obwohl die Sonne bereits für strahlende Helligkeit sorgte, waren zahlreiche Öllampen auf goldglänzenden Messinggestellen entzündet worden. Beeindruckt folgte Brandolf seinem Vater über den breiten Teppich, der bis zu den Stufen der Exedra ausgelegt war.
Die verputzten Wände der Halle waren mit farbenfrohen Malereien versehen, die schlanke Säulen mit Kapitellen und Sockeln sowie einfache Ornamente und Verzierungen darstellten. Viele von ihnen strahlten in prächtigem Purpur. Hoch oben schloss eine hölzerne Decke den Raum ab und verhinderte den Einblick in den Dachstuhl. Sie bestand aus vielen quadratischen Feldern, die mit großer Kunstfertigkeit bunt bemalt worden waren. Noch niemals hatte Brandolf eine solche Pracht und Lichtflut in einem Raum gesehen.
Nahe dem Eingang hatte sich eine kleine Zuhörerschaft eingefunden. Die meisten von ihnen waren Krieger oder Adelige, die nach der Gunst des Königs strebten. Brandolf entdeckte ihre Verbündeten unter ihnen. Ansonsten befanden sich im Saal nur noch einige Männer in der Nähe der Exedra, die entweder das größte Vertrauen des Königs genossen oder mit dem vorzutragenden Fall etwas zu schaffen hatten.
Einen dieser Männer erkannte Brandolf sofort. Es war Rurik, der unmittelbar vor der um drei Stufen erhöhten Exedra stand. Ganz oben befand sich nur ein Mann, der auf einem kunstvollen Sitz aus dunklem, geschliffenem Stein mit polierten Messingverzierungen saß. Es war König Otto, der von oben beobachtete, wie Gerold und Brandolf auf ihn zu kamen. Obwohl der Herrscher graues, schulterlanges Haar trug und bereits über vierzig Jahre zählte, wirkte er alles andere als alt. Im Gegenteil, seine Augen strahlten Jugend und Tatendrang aus, als würde er lieber heute denn morgen handeln, ganz gleich in welcher Angelegenheit. Ein einfacher, schmaler Goldreif zierte sein Haupt und ein dicker, purpurner Mantel umhüllte ihn. An seiner Seite trug er ein langes, breites Schwert zum Zeichen seiner Macht.
Als Gerold und Brandolf die Stufen erreichten, knieten sie nieder und warteten auf ein Wort ihres Herrn. König Otto ließ sie eine Weile warten, als wolle er zunächst abschätzen, wie er mit ihnen umzugehen hätte. Brandolf war angespannt, wie wahrscheinlich alle im Saal. Schließlich erhob sich die Stimme des Herrschers, laut und deutlich: „Seid willkommen, Edelherr Gerold, und auch Ihr, Brandolf. Seit drei Tagen genießt Ihr bereits meine Gastfreundschaft und habt geduldig auf meinen