Mit dem Herrscher war auch ein großer Tross angereist. Brandolf konnte von der Anhöhe aus einige Menschen im Innenhof sehen, darunter Ritter, Knappen und Adelsleute. Der Großteil des Gefolges hielt sich jedoch außerhalb der Pfalz auf und hauste in Zelten auf den umliegenden Feldern und Weidegründen. Brandolf begriff, dass die große Zahl an Kriegern wie eine hohe, wehrhafte Mauer dem Schutz des Königs diente.
Die kleine Gruppe um Brandolf und seinen Vater, den Edelherrn Gerold, näherte sich von Osten her. Von hier aus waren weite Teile der Rheinebene zu überschauen, ebenso einige Höfe, die der Pfalz zugehörig waren.
Das Frühjahr war außergewöhnlich milde und versprach ein sonniges Osterfest in diesem April.
Im Tal angekommen, folgten die Reiter einem breiten Weg quer durch das Lager. Buntes Treiben herrschte hier und sowohl Krieger wie auch anderes Volk befanden sich darunter. Frauen und Kinder gingen einher, Händler boten an ihren Ständen Waren feil und einige Dirnen wussten mit ihren besonderen Diensten den Recken aufzuwarten. Eine Vielzahl an Rauchsäulen stieg zwischen den Zelten auf, wo die Mahlzeiten für die Anhänger des Königs zubereitet wurden oder die Schmiede ihrer Arbeit nachgingen.
Die Männer im Dienste des Herrschers waren es gewohnt derart zu hausen, denn sie reisten mit König Otto von einer Pfalz zur nächsten, wo sie unterschiedlich lange lagerten. Oftmals reisten ihre Familien mit und so mancher Handwerker tat es ihnen gleich, denn hier hatte er stetige Kundschaft. Flatternde Banner mit Wappen an den Zelten gaben die Namen des jeweiligen Kronvasallen preis. Die adeligen Herren waren hier jedoch nicht anzutreffen. Sie hatten mit ihren Hauptmännern und getreuesten Rittern ein Quartier innerhalb der Anlage gefunden, in der Nähe des Königs, wie es auch die Männer des Edelherrn Gerold erhalten würden.
Nachdem sie das Lager bis zum Tor durchquert hatten, nannten sie dort den Wachen ihre Namen und durften in den Hof einreiten. Sie saßen ab und überließen ihre Pferde einigen Stallburschen. Der große Platz zwischen den hoch aufragenden Gebäuden war weitestgehend leer und niemand hielt die Neuankömmlinge auf. Edelherr Gerold lenkte seine Schritte zur neuen Kirche, um dem Allmächtigen für die sichere Reise zu danken. Brandolf folgte ihm, während sein Blick umherschweifte, die hohen, ansehnlichen Gebäude bestaunend, aber auch jeden einzelnen Mann im Hof beachtend. Die Kirche war mit ihren Türmen zwar das höchste Gebäude der Anlage, aber die Aula regia, die Königshalle, war mit Abstand der eindrucksvollste Bau. Sie erstreckte sich entlang der Westseite der Pfalz und ragte weit über zwei Dutzend Ellen in den Himmel empor.
Brandolf dachte an die einfache, hölzerne Halle auf der Burg seines Vaters, in der Bittsteller oder Boten empfangen und die Tagesgeschäfte besprochen wurden, wo abends alle Bewohner zu einem gemeinsamen Mahl zusammenkamen und in der die meisten von ihnen auch schliefen. Ihre Halle war nicht mehr als ein schäbiger Stall gegen dieses bemerkenswerte Gebäude, das ausschließlich dazu diente, die Macht des Königs zu demonstrieren und um wichtige Beratungen oder Versammlungen abzuhalten. Die Fenster der Halle waren allesamt mit Glas bestückt, das kunstvoll gearbeitet und mit Ornamenten verziert war. Wahrscheinlich würde es im Innern der Königshalle selbst an Wintertagen weder düster noch kalt sein.
Der Edelherr betrat mit seinem Sohn die Kirche. Sie ließen das Treiben der Pfalz draußen, als sich die Tür hinter ihnen schloss. Im Gotteshaus waren sie allein und nur das dumpfe Klopfen der Zimmerleute auf dem Dach war zu vernehmen. Vater und Sohn strebten zum Altar, knieten demütig vor dem Kreuz nieder und begannen zu beten. Brandolf brachte jedoch nicht mehr als eine andächtige Haltung zustande. Seine Gedanken wollten nicht im Gebet verweilen, sondern schweiften stets zum Anlass ihrer Reise ab.
Beinahe ein Jahr war seit dem Angriff der Eiswölfe auf die Burg des Grafen Farold vergangen und noch immer war die Nachfolge des Herrensitzes ungeklärt. Rurik war nach wie vor Sachwalter der Ländereien seines verschollenen Neffen. Doch damit gab sich Rurik nicht zufrieden und strebte den Grafentitel und den vollen Besitz der Ländereien an. Aufgrund Brandolfs Berichts über die schicksalhafte Nacht des Angriffs, hatte Gerold vor einiger Zeit beim König um eine Audienz gebeten. Sie sollte ihm zum Osterfest gewährt werden und Gerold hoffte nun inständig den Herrscher davon überzeugen zu können, dass Rogar, der rechtmäßige Erbe der Grafschaft, noch am Leben sei und deshalb der Grafentitel niemals an Rurik vergeben werden dürfe.
Die Aussicht auf Erfolg war jedoch gering. Gerold war nur ein minderer Adeliger und seine Stimme hatte am Hofe des Königs bei weitem nicht so viel Gewicht wie die des Sachwalters einer Grafschaft. Zudem konnte niemand wissen, welche Machenschaften Rurik zu seinen Gunsten bereits in die Wege geleitet hatte und wie der König zu der Angelegenheit stand.
Plötzlich öffnete sich eine Tür im nördlichen Querschiff und ein Mann betrat die Kirche. Er war groß von Gestalt und trug sein Haupthaar kurz. Auf seinem Gesicht zeigte sich ein erfreutes Lächeln. Der Mann war in feinem Stoff gekleidet und sein Schwert sowie seine Haltung verrieten, dass er ein Krieger adligen Standes war. Mit sicherem Schritt kam er auf Gerold zu und räusperte sich kurz, um dessen Aufmerksamkeit zu erlangen. Der Edelherr unterbrach sein Gebet und schaute auf. Doch statt den Störenfried zu rügen, erhob er sich freudig.
„Friedrich! Es tut gut, ein vertrautes Gesicht zu sehen.“
Friedrich, selbst Edelherr kleinerer Ländereien in Gerolds unmittelbarer Nachbarschaft, ergriff den entgegengestreckten Unterarm des Freiherrn zum Gruße. Es war unverkennbar, dass ein starkes Band der Freundschaft die beiden Männer vereinte.
„Die Nachricht deiner Ankunft hat mich soeben erreicht. Ich nehme an, dass du nach wie vor an deinem Plan festhältst.“
„Natürlich, sonst wäre ich nicht hier.“
„Gut, denn es haben sich inzwischen Begebenheiten ereignet, die uns Schwierigkeiten bereiten könnten.“
„Was ist geschehen?“
„Rurik ist vor zwei Tagen hier eingetroffen. Unauffällig und ohne großes Gefolge ist er mit ein paar wenigen Reitern erschienen. Seither ist er sehr darum bemüht, König Otto alle nur vorstellbaren Annehmlichkeiten zu bereiten. Er preist sich ihm schon beinahe wie eine Trossdirne an.“
„Friedrich!“, ermahnte Gerold seinen Freund. „Nicht im Hause des Herrn, ich bitte dich!“
Der Krieger zuckte mit den Schultern und warf einen demütigen Blick auf das Kreuz. „Aber es verhält sich so, Gerold. Du wirst es noch selbst erleben. So wie er sich gibt, kann es nur eines bedeuten: Er ist hier, um die Grafschaft für sich zu beanspruchen. Du musst dich auf einen gefährlichen Disput einstellen.“
„Hat er beim König bereits vorgesprochen?“
„Nein, noch nicht. Doch ihm ist es seit seiner Ankunft als Sachwalter seines Neffen und Kronvasall gestattet, bei den Mahlzeiten in Ottos Nähe zu sitzen. Ein außerordentliches Privileg, das eigentlich nur dem Grafen selbst gebührt. Farold war es schließlich, der dem König in der dunkelsten