Alexandra - die Geschichte eines ungewöhnlichen Lebens. Michael Wolfgang Geisler. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Michael Wolfgang Geisler
Издательство: Readbox publishing GmbH
Серия:
Жанр произведения: Биографии и Мемуары
Год издания: 0
isbn: 9783347068643
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ist zu sehen, wie sie, ganz in dieses Spiel vertieft, von einer Welle überrascht und nass gespritzt wird. All das geschah für sie vor unendlich langer Zeit.

      Heute an Heiligabend packt sie außer ihren Geschenken gleichfalls die ihrer Schwester aus. Die Begeisterung darüber, was für Alexandra bestimmt ist, ist ebenso groß wie bei den eigenen Weihnachtsgaben. Sie zeigt ihren Eltern alles und freut sich über deren bewundernde Bemerkungen. Morgen will sie ihre Freundin in der Nachbarwohnung besuchen. Bestimmt spielen sie mit ihren neuen Puppen. Darauf freut sie sich schon heute.

      Es gibt am Weihnachtsabend auch ein festliches Essen. Sofía hat sich viel Arbeit damit gemacht. Doch für Patricia geht das in dem Trubel des Augenblicks unter. Sie ist voller Aufregung darüber, eine Schwester zu haben, mit der sie all ihr Erleben teilen kann. Wenn sie die Gaben für Alexandra auspackt, macht sie sich Gedanken, ob dies ein geeignetes Geschenk ist und erklärt ihr seine Bedeutung. »Schau mal Alexandra, das ist für dich«, erzählt sie ihrer Schwester. »Das ist eine Jacke zum Anziehen, damit du es warm hast!« Manchmal muss sie allerdings vorab die Eltern fragen. Sie hat Alexandra auch ein Bild gemalt. Auf diesem sind ihre Eltern, Alexandra und sie selbst zu sehen. Sie ist größer als die anderen. Ihre Schwester ist noch ganz klein.

      In der Nacht schläft Patricia unruhig. Der Weihnachtsbaum, die Kerzenlichter, das bunte Geschenkpapier, ihre Eltern und natürlich Alexandra sind in ihren Träumen. Sie unterhält sich im Traum auch mit ihrer Schwester. »Schau, Alexandra, so ist diese Welt«, sagt sie. »Du erhältst viele in glitzernd buntes Papier eingewickelte Geschenke. Es gibt einen Weihnachtsbaum. Wenn du größer bist, spielen wir miteinander und ich erkläre dir alles. Dann hast du auch Freundinnen und bist in einer Kindergruppe so wie ich.« Dies und vieles andere erzählt sie ihrer Schwester. Sie spürt, dass Alexandra gleichfalls zu ihr spricht, in weisen Worten, denn noch ist sie ganz mit der Sternenwirklichkeit verbunden.

      »Schwester«, sagt Alexandra. »Schön, dass du mir alles erklärst und von Weihnachten erzählst. Ich bin gerade erst geboren und noch nicht mit der Erde vertraut. Weihnachten ist ein besonderes Fest. Davon weiß ich bereits. Es ist ein Fest, das berichtet, dass das Leben auf der Erde und im Himmel zusammengehören. Nichts ist wirklich getrennt! Wenn der Mensch das eine, das immer ist, mit dem anderen, das stets wird und vergeht, verbinden möchte, dann muss er von beiden wissen. Wenn er von beiden Welten weiß, Schwester, dann verliert er sich nicht in der Bewertung von Gut und Böse. Dann ist die Welt, wie sie ist, richtig! Weihnachten erinnert daran. Weißt du, Schwester, du sollst groß werden und stark sein! Du bist du! Immer!« Diese Worte erreichen das kleine Mädchen als Bilder in ihrem Traum in der Nacht. »Der Mensch ist all das, was existiert«, fährt Alexandra fort und ihre Worte sind nun nicht allein an Patricia gerichtet. »Doch wie soll er dies verstehen? Im Himmel ist er es ohne Widersprüche. Fragen dazu ergeben sich nicht! Er muss nicht streben. Er muss nicht erkennen.

      Das wahre Ich aller Menschen ist dasselbe, es ist das Ich der Welt. Kommt der Mensch auf die Erde, kann er ein Außen wahrnehmen, welches nicht zu ihm zu gehören scheint. Er bezeichnet das als etwas Fremdes.« Alexandra legt eine kleine Pause ein.

      »Oft meinen die Menschen, es existiere nur, wovon sie wissen. Das muss für sie ja so sein. Tatsächlich erleben sie viel mehr, als sie bemerken. Wem ist schon bewusst, was er alles denkt? Wer ist in der Lage zu erfassen, was alles an Eindrücken und Einflüssen seine Gedanken gebildet hat? Doch am Ende zwingt das irdische Sein zur Erkenntnis der Wahrheit.«

      Patricia weiß nichts von ihrem Traum, als sie aufwacht, und trotzdem hat sie ihn erlebt. Sie fühlt sich ein wenig erschöpft, als wäre sie die ganze Nacht unterwegs gewesen. Aber schnell legt sie die Müdigkeit ab. Immer noch ist sie aufgeregt über all das, was sich ereignet hat. Ihr Vater schläft über ihr im Stockbett. Gleich als sie wach ist, legt sie sich zu ihm, und sie erzählen einander Geschichten.

      Am späten Vormittag besucht sie ihre Freundin aus der Nachbarwohnung. Ganz in ihr Tun versunken spielen sie mit ihren Puppen und berichten sich gegenseitig, was die Puppen erleben. Beide lieben es, in solchen Momenten in einer Weise zu sprechen, als ereignete sich tatsächlich all das, was sie sich in Gedanken ausmalen.

      Am Nachmittag unternimmt Patricia mit ihrem Vater einen Spaziergang in die Umgebung. Kurz verweilen sie am Spielplatz in der Nähe, der neben einem Ententeich liegt. Kleine Eisschollen bedecken das Wasser. Die Enten kommen auf sie zugeschwommen, watscheln über das Gras und schnattern aufgeregt, als sie ihnen ein paar Brocken Brot zuwerfen. Patricia schaukelt und wippt, läuft zum Rondell und lässt sich anschieben. Dann freut sie sich, wieder nach Hause zu ihrer Mutter und Schwester zu kommen. Sie trinkt eine warme Milch mit Honig und isst ein Stück vom Kuchen, den die Oma mitgebracht hat.

      Die Tage vergehen schnell und Silvester steht an. Die Familien mit Kindern aus dem Haus feiern um fünf Uhr, wenn es bereits dunkel ist, mit einem kleinen Silvesterfeuerwerk im Hof. Sofía und Jens wechseln sich dabei ab, Patricia vor die Tür zu begleiten. Alexandra ist noch zu klein, um mitzukommen. Mit Silvester endet das alte Jahr.

      Am Abend sitzen die Eltern beieinander. Beide Kinder schlafen. Sie sehen, wie in der dunklen Nacht vereinzelt Feuerwerk kurz den Himmel erhellt und farbige Bilder vor den schwarzen Hintergrund malt. Sie hören ab und an lautes Böllern. Es ist ein kurzer Augenblick der Zweisamkeit. Der Beginn des neuen Jahres fällt auf einen Sonntag und was dieses bringen wird, liegt im Ungewissen.

      Die Eltern warten nicht die Mitternachtsstunde ab, sondern gehen zuvor zu Bett. Als um zwölf Uhr der Himmel von Silvesterraketen erleuchtet wird und das laute Knallen durch die Fenster dringt, sind sie beide kurz wach. Die Mutter stillt Alexandra, die sich vom Lärm nicht stören lässt. Patricia schläft tief.

      Kurz darauf fährt die Familie zu den Verwandten in den Schwarzwald. Patricia wird dort einige Tage verbringen. Sie freut sich. Als sie ankommen, tobt sie sofort mit ihren zwei Vettern herum. Hier oben in den Bergen können die Kinder im Schnee spielen und Schlitten fahren.

      Sofía und Jens halten sich nur kurz an diesem Ferienort auf. Alexandra ist ja noch ganz klein. Sofía hält sie in einem Tragetuch an ihrem Körper. Dort bleibt sie versteckt und geborgen in der Wärme. Angesichts des Trubels mit Cousins, Tante, Onkel und Oma tritt Alexandra etwas im Hintergrund. Doch beim Abschied spricht sie in Gedanken zu ihrer großen Schwester. »Schwester, ich finde es wunderbar, dich spielen zu hören und deine Freude zu erleben. Ich liebe dich sehr! Mein Weg ist ein anderer. Trotzdem, wir gehören zusammen.«

      Patricia genießt das Zusammensein mit der Großmutter, den Vettern, der Tante und ihrem Mann. Trotzdem kommt sie nach dieser Ferienzeit gern zu ihrer Familie zurück. Ein wenig fehlte ihr doch das Zuhause. Es ist eine kurze Fahrt durch eine verschneite Landschaft. Die Oma erzählt von der Zeit, als ihre Kinder – Jens und seine beiden Schwestern – noch klein waren, während sie den Wagen über die kurvigen Straßen steuert. So vergeht die Zeit wie im Flug und sie erreichen bald das elterliche Zuhause. Die Oma will noch ein paar Tage bleiben.

      Gleich bei der Ankunft läuft Patricia ungestüm in die Wohnung. Sie ist ganz zappelig, und erst als sie vor Alexandra steht, die in ihrer Wiege liegt, kehrt Ruhe ein. Andächtig betrachtet sie ihre Schwester und diese scheint zu lächeln. »Alexandra, ich war mit der Oma weg. Jetzt bin ich wieder da«, sagt sie und erzählt einiges von dem, was sie erlebt hat. Alexandra hört zu. Dann kommt auch die Oma hinzu und wendet sich gleichfalls an ihre kleine Enkelin. Und diese antwortet in ihren Gedanken. »Oma, ich höre, was du mir von der Welt erzählst. Es existieren Schmerz, Trennung, Freude, Einsamkeit, Zusammengehörigkeit … Was bedeutet das in Wahrheit? Warum sind wir Menschen?« Nachdenklich steht die Oma neben Alexandra und sanft streicht ihre Hand über die dunklen Haare des Säuglings. Dann bringt sie ihr Gepäck ins Wohnzimmer. Am Abend kocht sie ein Essen für die ganze Familie.

      Am nächsten Tag fühlt sich die Oma krank. Sie hat Fieber. Sofía meint zwar, sie solle sich bei ihnen in Ruhe auskurieren. Doch sie möchte zurück in ihr vertrautes Zuhause.

      Zum Abschied wendet sie sich an Alexandra. »Du bist wirklich ein hübsches Mädchen«, sagt sie zu ihr. »Deine Haare, deine Haut, deine Augen sind so schön.«

      Alexandra schaut aufmerksam zu ihrer Großmutter.

      »Und du hast eine ganz, ganz liebe Schwester und sehr liebe Eltern, die gut auf dich aufpassen.