Kopfnicken und das Grinsen narbiger Gesichter antworteten ihm. Sie zogen die Kinnriemen der Helme fest, bekreuzigten sich und ließen die Schwertspitzen aneinander klirren: Kriegertreue, giniscaft, verhieß dieses Geräusch. Dann gab sax hamar seine Befehle.
* * *
Gallo würde mit seinen gut dreißig Mann in Richtung der Hügelkuppe weiterreiten. Als ahnten die Franken nichts … Die anderen mussten sich durch das Unterholz links des Weges auf die Kuppe zubewegen. Ihr Lärm war der einer Rinderherde im Wald – so kam es Arnulf vor, als er mit großen Schritten vorweglief. Doch nichts tat sich vor ihnen. Als das Gelände kaum noch anstieg, verharrte er einen Augenblick, sah sich nach
Sigfrid um und zog die Axt. Bei einem Kampf im Unterholz war sie handlicher.
»Und jetzt?«, raunte Sigfrid und zerquetschte eine Mücke am Hals. »Geht mit Euren Leuten weiter, geradeaus, auf die andere Seite der Kuppe«, murmelte Arnulf, einer Eingebung folgend. »Ihr fangt dort alles ab, was vom Kampfort flieht.«
Sigfrids Blick ging nach vorne, versuchte das dichte Grün zu durchdringen. Schweigend nickte er. Doch ausgerechnet jetzt kam Arnulf sein ganzer Plan tollkühn und halsbrecherisch vor. Ist dieser Schweiger denn ein Hellseher? Aber einfach weiterzureiten, das wäre genauso riskant gewesen. Er drückte Sigfrids Oberarm, kurz und kräftig. Der Sachse grunzte, machte seinen Leuten Handzeichen und arbeitete sich weiter vor.
Arnulf zählte langsam bis dreißig. Er spürte die Blicke der Krieger auf sich, wusste, dass er nicht eine Spur von Zweifel zeigen durfte. Von den Sachsen war nichts mehr zu sehen, auch nichts zu hören. Vorsichtig setzten sie sich wieder in Bewegung, hielten jetzt direkt auf die Kuppe zu. Äste knackten, Krieger zischten wütend, wenn sie in Erdlöcher traten. Nichts regte sich vor ihnen. Doch Spechte arbeiteten über ihren Häuptern. Das Geräusch erinnerte Arnulf an den Vormittag, den Marsch zur Jagdstellung. Rasch verdrängte er die Gedanken wieder. Dann tauchte zwischen dem Grün vor ihnen das Rotbraun einiger Pferde auf – die Thüringergäule?! Angebunden an jungen Bäumen. Wo bleibt Gallo?
Sie warteten mit klopfendem Herzen … Endlich: Hufgetrappel! Lärmend kam Gallos Truppe die Höhe hinauf. Arnulf sprang auf. Die Lichtung auf der Kuppe hatte eine birnenartige Form, der breitere Teil lag in Gallos Richtung. Der Welsche mit seinen Männern ritt geradezu in einen Pfeil- und Speerhagel hinein! »Unter den Buchen!«, brüllte Arnulf, denn die ersten Bogner der Thüringer lösten sich jetzt aus dem Schutz der Bäume. Arnulfs Axt fegte einen von ihnen mit blutigem Schädel zur Seite, dann stand da einer mit Speer, der sofort reagierte. Die Spitze krachte in Arnulfs Schild. Der Offizier sah die schreckgeweiteten Augen und trat dem Mann in die Körpermitte, sodass der Mann zusammenklappte. Ein Schildstoß gegen den Kopf schickte ihn ins Reich der Träume. Irgendwen muss man noch befragen können!
Ein Schlag aus dem Nichts: Im letzten Moment konnte Arnulf die Waffe heben, ein Schwert kreischte über die Axtklinge. Ein heftiger Schildstoß ließ Arnulf nach hinten stolpern. Er fing sich, schlug mit einem wilden Hieb ein paar Späne aus dem Schild des anderen. Der Kerl brüllte etwas, entblößte eine riesige Zahnlücke und schlug wieder zu. Arnulf wehrte ihn mit dem Schild ab, fasste die Axt am untersten Schaftende, fiel auf ein Knie und zertrümmerte dem anderen mit einem sichelartigen Schlag das Schienbein. Arnulf spürte den Knochen nachgeben, doch der Kerl fiel nicht um. Er schrie einen Schmerzenslaut hinaus wie ein Ochse und stach irgendwie mit der Schwertspitze nach unten. Glühend heiß glitt der Stahl über die Knochen und Knorpel seines Nackens.
»Verzeihung!« Ein dumpfes Aufschlaggeräusch, dann fiel der Kerl mit Würgen und Krächzen nach hinten über. Senkrecht ragte der Schaft einer Stoßlanze aus seiner Brust. Arnulf richtete sich zitternd auf und sah in die Ich-kann-auch-anders-Fratze Gallos. Auf der Lichtung, am Waldsaum erklang noch das Geräusch von Waffen, doch kein Kampfgetöse mehr. »Habt Ihr Hardrad?«
»Pfeile im Arsch haben wir, sonst nichts«, knurrte der Westfranke und wischte die Lanzenspitze am Hosenbein des Toten ab.
Die Enttäuschung überdeckte für einen Moment den Schmerz in Arnulfs Nacken. Zwei ihrer eigenen Männer lagen blutüberströmt und reglos auf dem Waldboden. Ein paar hielten sich zerschmetterte Gelenke, ein halbes Dutzend Mann war damit beschäftigt, Pfeile aus den Pferden und Kriegern zu zerren. Die rasch angefertigte Panzerung der Tiere aus zusammengeknüpften Satteldecken hatte die meisten Geschosse aufgefangen.
Im Laufschritt und mit klappernden Waffengürteln kamen Sigfrid und seine Leute herbei. Arnulf wrang schwarzroten Saft aus seinem Halstuch. »Wen habt Ihr gefangen?« Der Schweiger stieß zwei junge, picklige Kerle mit leeren Schwertscheiden nach vorn: Die Pferdewachen?!
»Verdammt!«, zischte Arnulf. Nichts war gewonnen, Hardrad womöglich über alle Berge! Da blieb sein Blick an dem Speerkämpfer hängen, den er niedergeschlagen hatte. Eine kleine Hoffnung … »Der Kerl lebt!«, rief einer. Man klatschte dem Verwundeten Wasser ins Gesicht und schrie ihn an, wohin Hardrad sich wenden wollte. Blinzeln, Röcheln und schließlich flehte der Mann: »Zur Würzburg. Schont mein Leben, Herr!«
Am Main?! Wo genau? Alle sahen Arnulf an. »Eine Festung mit Holz-Erde-Wall, hoch über dem Fluss«, sagte er langsam und drückte das feuchte Halstuch wieder in den Nacken. »Leicht zu verteidigen.«
»Schwerer zu nehmen als eine Sachsenbraut!«, rief einer der Krieger.
»Abwarten, Mann«, stieß Arnulf aus und brachte ein schiefes Grinsen zustande. »Ich bin mit einer Sachsenbraut verheiratet – sehe ich aus, als hätte ich Angst?«
1 Neustrien: Der Westen des Frankenreichs, also der Rumpf des späteren Frankreichs
Kapitel IV
Tassilos Pfalz in Regensburg, Mai 787
Der Innenhof des herzoglichen Palas in Regensburg war ein belebter Platz an jenem Sonntag. Zwei Äbte waren geweiht und ein Vasall mit Grenzgauen in Tirol belehnt worden. Weit mehr als hundert Menschen füllten den Hof der Regensburger Pfalz: Vasallen und herzogliche Bedienstete, Legaten anderer Mächte, Handelsfürsten aus Regensburg selbst und die üblichen Krümelpicker, die sich bei solchen Anlässen dazu schlichen.
Das Herzogspaar saß mit den Edlen an einer breiten Tafel unter einem Baldachin vor dem Portal des Palas. Das Segeltuch dämpfte nicht nur das Sonnenlicht, sondern hielt den Dreck vieler Hundertschaften von Staren ab, die über dem Hof kreisten. Die Edlen blickten von ihren Sitzen auf den mit Marmor eingefassten Brunnen im Pfalzhof, aus dem ein Wasserspiel aufragte: ein bronzener Wolf und eine Tierfigur mit Mähne und großen Pranken, die man den Löwen nannte, spuckten Wasser in das Becken. Auf dem kleinen Feld zwischen Baldachin und Brunnen ließ ein Gaukler einen Zwergesel im Kreis reiten, zwei Äffchen vollführten Sprünge auf dem Esel. Fröhliches Gelächter erscholl von der Tafel her, als die Affen mit Stöcken auf den Esel einschlugen und sich dann gegenseitig traktierten.
Die Edlen klatschten in fettige Hände und tauchten sie wieder in die Donaukarpfen, die mit Krebsen und Störeiern gefüllt waren. Jenseits des Brunnens füllten in der Mitte des Hofes junge Pfalzknechte Wein in die Becher der niederen Vasallen. Sie saßen auf schlichten Bänken und schauten teils den Gauklern zu, teils verfolgten sie die Schaukämpfe im oberen Bereich des Hofes am Fuß des großen Turms. Niemand schien die beiden Gestalten im Schatten eines schmalen Durchgangs zu beachten: eine Frau im hellblauen Kleid mit weiten Ärmeln, die Haare zu straffen Zopfketten hinter dem Kopf gesteckt, und ein hochgewachsener, schlanker Mann ohne Waffen, dessen Gesicht von einer Kapuze halb verdeckt war.
»Neben dem Herzogspaar sitzen die alten Geschlechter«, raunte sie. »Die Huosi, Fagana und Hahilinga2 …«
Ihr Zuhörer machte ein kehliges Geräusch. »Ich kenne die Namen. Wie viele gepanzerte Reiter bringen sie zusammen?«
Überrascht sah sie ihn an – sein Gesicht war völlig glattrasiert, ein Jünglings-Antlitz mit ernsten Augen, die irgendwie alt wirkten. »Viele«, sagte sie verlegen, denn sie hatte von Militärischem nur eine vage Ahnung.
Er verzog das Gesicht. »Sprecht mich mit ›Herr‹ an, Gertrud.«
»Natürlich,