Arnulf. Kampf um Bayern. Robert Focken. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Robert Focken
Издательство: Readbox publishing GmbH
Серия:
Жанр произведения: Историческая литература
Год издания: 0
isbn: 9783862827176
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stand mit seiner Armee weit weg in Italien. Mit einem gewaltigen Axthammer hatte der Krieger damals die Schildreihen der Sachsen zertrümmert, seine Kameraden mitgerissen und Widukind am Ende fast totgeschlagen. Die Erinnerung an den mörderischen Tag ließ ihn das Stechen im linken Oberarm fühlen, der damals eine tiefe Wunde davongetragen hatte. Bei Frost schmerzte diese Stelle oft. Niemals wieder hatte er jenen Hammer benutzt. Er hätte nicht einmal sagen können, wo das seltsame, mehr für den Steinbruch als den Kampf geeignete Gerät heute lag …

      Ein Fuchs tauchte vor ihm auf, musterte den Menschen und verschwand mit einem Satz im Unterholz. Er dachte an Erika, die längst von der Reichenau zurück sein müsste. Sie würde staunen, dass ihr ältester Sohn schon wie ein Krieger herumstolzierte. Staunen, ohne auch nur im Geringsten erfreut zu sein! Aber kann ein gesunder Bursche etwas anderes tun, als seinem Vater nachzueifern? Er hatte den Satz laut ausgesprochen, als müsste er sich rechtfertigen – dann grinste er in sich hinein. Nein, Erika würde es verstehen …

      Seine Gedanken wanderten wieder zum König und den Besitztümern, die Karl Wochen zuvor einem neuen Vasallen im Sachsenland geschenkt hatte. Arnulf hatte es mit gespieltem Gleichmut beobachtet; unter den Truppenführern Karls galt er längst als einer, der auf ein Grafenamt oder eine andere spektakuläre Erhöhung rechnen konnte. Und spätestens seit Widukinds Kapitulation rechnete Arnulf praktisch täglich damit, dass der König ihn zur Seite nahm, um ihm den Oberbefehl über alle Scarakrieger anzutragen. Doch die Jahreszeiten gingen ins Land und Arnulf blieb der Führer einer Hundertschaft. Dass seine Schwarzen mitunter hundertfünfzig Mann oder mehr zählten, blieb eine kleine Befriedigung: Immer gab es mehr als genug Krieger, die für ihn kämpfen wollten. Sein Name zog sie an, aber auch seine Freigiebigkeit: Wenn Beute anfiel, schanzte er auch dem letzten Trossmann etwas zu. Längst hatte sich das herumgesprochen!

      Ein Schrei ertönte, irgendwo hinter dem Grün vor ihm. Wie von selbst lief er schneller. Stand irgendetwas anderes bevor als ein gefälliger Nachmittag, bei dem die Jagdknechte Tiere für Männer erlegten, die dazu allein nicht fähig waren?

      Da setzte das Jagdhorn ein. Ein Horn vom Auerochsen: tiefe, kurze Stöße, dreimal, viermal, fünfmal, Signale, wie er sie vom Schlachtfeld kannte. Im Geiste sah er plötzlich die Thüringer in voller Kriegsrüstung den König umringen … Er begann zu rennen.

      * * *

      Der Weg kurvte um einen dunklen Tümpel, er sah die Rösser spät, fast zu spät. Im Galopp trommelten sie den Waldboden entlang, trotz der Wurzeln. Auf dem ersten Pferd saßen zwei Krieger. Der hintere klammerte sich am vorderen fest. Arnulf sah dunkle Spritzer in ihren Gesichtern – Blut, Dreck? Die Augen waren weit aufgerissen, mit stampfenden Hufen dröhnte der Gaul auf ihn zu. »Halt!«, hörte er sich brüllen. Er wich nach links aus, in einen Streifen Brennnesseln – wie von selbst sprang das Langschwert in seine Hand. Fast war das vordere Ross auf seiner Höhe, da sah er die Axt mit weit vorstehender Klinge in der Hand des Reiters. Ihre Blicke kreuzten sich. Arnulf sog die Luft ein und holte aus.

      Das Hufgetrommel verschluckte das Zischen der Schwertklinge. Erdklumpen des vorbeistürmenden Rosses flogen ihm um die Ohren, er sah Hand und Axt des Angreifers in den Dreck fliegen. Ein gellender Schrei … Die Lanzenspitze des folgenden Reiters raste ihm entgegen, ohne dass er sich noch wegducken konnte. Wuchtig riss die Querstange der Lanzenspitze Arnulfs Schuppenpanzer über der Hüfte auf. Er hörte das kehlige Triumphkrächzen des Mannes, dann ließ Arnulf sein Schwert fallen und umklammerte mit beiden Händen den Holzschaft der Lanze. Der andere flog aus dem Sattel, landete krachend auf dem Waldboden und überschlug sich. Arnulf sprang vor, sein Fuß traf den Mann im Gesicht, er setzte nach, noch ein Tritt in die Rippen, doch der Panzer des Kriegers hielt das Schlimmste ab. Stimmen drangen von hinten an sein Ohr, aus Richtung der Jagd. Arnulf wirbelte herum. Zwei Kerle stürmten in vollem Lauf auf ihn zu, zu Fuß, Schwerter in den Händen, Blut an Hals und Panzer. Noch mehr Thüringer …

      Arnulfs Hand riss an der Axt, die an der rechten Seite seines Waffengürtels hing. Doch es dauerte zu lange, um sie zu werfen. Er konnte nur noch das Beil heben und den ersten Schwerthieb abwehren. Dann der zweite, schräg von oben. Arnulf blieb mit einem Fuß an einem Stein oder einer Wurzel hängen und fiel hintenüber. Er sah aus den Augenwinkeln die anderen beiden Kerle verletzt davonhinken. Wieder ging die Schwertklinge eines der Thüringer auf ihn nieder, er musste sich blitzartig zur Seite drehen, in die Brennsesseln – und dort fühlte er den Griff des eigenen Schwertes zwischen den Pflanzen! Er rappelte sich wieder auf und ging mit beiden Waffen zum Angriff über. Der andere wehrte die ersten Hiebe ab, aber dann trieb Arnulf ihn mit einem gnadenlosen Hagel aus Schwert- und Axthieben über den Weg hinaus bis zum Unterholz. Ein Schlag traf den Thüringer am Knie, er stolperte ächzend zurück, bis er mit dem Rücken an einen Baum stieß. Arnulfs Schwert schlitzte dem Thüringer den Hals auf. Aus, vorbei … Wo war der andere? Geflohen!

      Schwer atmend starrte Arnulf den Weg entlang in Richtung der Jagd. Niemand, nichts. Nur das immer neue Wuuuh, wuuuh des Jagdhorns, als würde ein Wesen aus der Vorzeit zu laut Luft holen. Ich muss zum König … Seine Finger betasteten das Loch im Panzer, eine Handbreit über dem Hüftknochen. Noch kein Blut, nur scharfes Pochen. Aber hinten, auf der Lichtung, da waren Männer, die nichts Böses erwarteten. Und er sah einen schlaksigen Burschen mit einem Langschwert, der ein Held wie sein Vater sein wollte, und der diesen Kerlen entgegengehen mochte …

      Arnulf begann zu rennen. Nicht in Richtung des Königs. Sondern zurück, zum Lager. Schneller und schneller wurden seine Schritte, und doch kamen sie ihm vor wie das Kriechen einer Echse.

      Kapitel II

      Das Waldlager südlich von Worms, Mai 787

      Bedrohlich wie Brandgeruch verbreitete sich die Nachricht. In Worms läuteten die Glocken. Der Erzengel Gabriel, rief jemand, habe den König vor dem Dolch der Attentäter gerettet! Andere wollten einen grellen Schein über den Pfalzgebäuden gesehen haben. Töpfer ließen halbgeformten Ton stehen, Färber stiegen aus ihren Kesseln, Mägde ließen die gerupften Hühner fallen und liefen ihrer Herrin hinterher. Alles drängte durch das Stadttor hinaus und strömte über eine große Weide zur Königspfalz.

      Der König lebt! Gelobt sei Gott!

      Vor dem mit hellem Lehm verputzten, zweistöckigen Hauptgebäude lagen die Toten aufgereiht: drei Thüringer, zwei Jagdknechte und ein Krieger. Eine doppelte Kette von Scarakriegern hielt das Volk auf Abstand. Herzog Hardrad war entkommen. Gerüchte rasten durch die Menge: Hardrad selbst wollte König werden! Der Thüringer war im Bündnis mit anderen Rebellen, mit den Nordsachsen, vor allem aber mit den Bayern! Heirateten nicht beide Herzogsfamilien untereinander? Warum, Pest und Eiter, ist der Bayernherzog gar nicht erst zum Hoftag erschienen?

      Plötzlich behauptete jeder Wichtigtuer, dabei gewesen zu sein: vorne bei der Jagdgrube selbst. Oder zumindest hinten, im Jagdlager. Und zwar in dem Moment, als die fliehenden Thüringer aus dem Wald brachen und sich mit Schwertern einen Weg durch den Pulk der überraschten Wartenden bahnten. Sie hatten den einen oder anderen niedergehauen, sich Pferde gegriffen und waren nach Norden davongaloppiert, in Richtung der Stadt. Wenig später dann, wie eine Erlösung, tauchte der König auf. Umringt von einem halben Dutzend seiner Getreuen erschien der Herrscher mit Schnittwunden an Hals und Schultern, wie einer, der vom Schlachtfeld kommt. Und wirklich: Karl hatte das Königsschwert durendal in der Hand, und jeder konnte sehen, dass Blut an dieser Klinge haftete! Schwarze Haarsträhnen klebten auf der schweißigen Stirn des Königs, Blutflecken auf dem zerschnittenen Jagdwams kündeten von der überstandenen Gefahr. Alle strömten zusammen und riefen »Heil!« und »Carolus magnus!«, schrien Nützliches und Unnützes durcheinander. »Die Thüringer waren das!«, brüllten einige, was Karl mit lautem »Ja, Hardrads Sippe!« bestätigte. Er sah zwei, drei Schwerverletzte oder Erschlagene herumliegen, erkannte, dass die meisten Übeltäter entkommen waren und fand zur Überraschung aller zu einem Lächeln, worauf die Heilsrufe noch lauter wurden. Dieser König von gewaltigem Wuchs überragte seine Umgebung um eine volle Haupteslänge. Aber die wahre Größe, das spürte jeder, lag in diesem kriegerisch-würdigen Lächeln nach größter Gefahr: Hier stehe ich, Allmächtiger, dank Deiner Gnade! Der Herr ist mit uns, den Franken, und mit seinem König!

      Mit einer hohen, angestrengten Stimme, die nicht recht zur gewaltigen Erscheinung passen wollte, rief Karl den Leuten ein