»Die Pfeilbündel«, sagte Arnulf nur, ohne auf das Gerede einzugehen. Einer der Pfalzknechte mit kurzem Haar und einem koboldhaften Gesicht zerrte eine etwa drei Fuß hohe und ebenso lange Kiste herbei, die Pfeiltrommeln enthielt: Bündel von Pfeilen, die jeweils von zwei runden, zehnfach eingekerbten Holzscheiben auseinander gehalten wurden. Das schonte die empfindliche Befiederung der Geschosse. Der Knecht sah Arnulf mit einem Grinsen an, das andere für frech gehalten hätten. Arnulf aber erkannte den Burschen: ein Vetter dieses Mannes diente ihm, Arnulf, seit einem Jahr als Bogenschütze. »Von unten, Herr?«, fragte der Mann und packte auch schon die obersten Bündel beiseite. Arnulf nickte und grinste nun selbst – der Mann denkt mit! Er ahnte, dass der Bogner seinem Verwandten schon häufiger von schlecht verklebten Befiederungen erzählt hatte …
Arnulf klaubte einen Pfeil aus der Trommel, die der Knecht ihm reichte, und ging mit der Daumenkuppe über die weiße, gerade geschnittene Gänsefeder, gegen die Schussrichtung. Er sah den Pfalzgraf an, dann den Knecht und schließlich den Amtmann selbst. Der brachte noch einen Satz zu Ende über den hervorragenden Federschutz, der schon von König Pippin gelobt worden war.
Arnulf warf ihm das ganze Pfeilbündel vor die Füße. »Die sind schlecht geleimt«, stieß der Offizier aus. »Beim fünften, sechsten Schuss löst sich die Feder, der Pfeil flattert und verfehlt sein Ziel. Nehmt das Zeug wieder mit und bringt uns bessere Pfeile!«
Der Amtmann stemmte die Hände in die Hüften und plusterte sich auf: »Wie wollt Ihr das denn so schnell beurteilen, he?« Arnulf starrte ihn an, und was der Kerl in Arnulfs Augen sah, ließ ihn zur Seite schauen. Der Kriegsmann nickte dem Pfalzgrafen zu und machte einem der Pferdeburschen im Hintergrund ein Zeichen. Hier werde ich nicht mehr benötigt …
Mit einer einzigen, kraftvollen Bewegung schwang er sich in den Sattel des Apfelschimmels, während hinter ihm ein heftiger Wortwechsel entbrannte. Als er anritt, wurde der Wortwechsel zum Geschrei. Das Letzte, was er mitbekam, war das Geräusch einer Handfläche auf einer Wange – kein Zweifel, einer der Offiziere hatte dem Amtmann seinen wahren Rang aufgezeigt, Pippin hin oder her!
Er brauchte dem Apfelschimmel nur sanft die Fersen in die Flanken zu drücken. Das Tier ließ die Gebäude der Pfalz hinter sich und schoss vorwärts, schien die helle Sonnenwärme genauso zu genießen wie er selbst. In der Luft lag ein Versprechen des Sommers. Vorwärts, zum Jagdlager! Das lag irgendwo südlich oder südwestlich der Pfalz, am Rand des Königsforstes. Der König hatte ihm zwar nicht direkt befohlen, am Geschehen teilzuhaben, aber natürlich wusste Arnulf, dass es guter Sitte entsprach, den Herrscher bei solchem Treiben zu flankieren. Man zeigte der Welt, dass der Herr der Christenheit allzeit von treuen Vasallen umgeben war! Und andersherum betrachtet, ehrte es einen wie Arnulf, nahe beim König zu stehen und als ein Vertrauter des Herrschers zu gelten.
Er durchpflügte Wiesen, Weiden, Äcker und bald hörte er das Hundegebell. Dann trieb ihm der Wind den Fleischgeruch entgegen. Am Rand eines Forstes waren mehrere Planwagen der Scara aufgefahren, in deren Mitte schuppengepanzerte Krieger eine Hirschkuh über einem Feuer drehten. Die meisten von ihnen trugen ein schwarzes Tuch um den Hals, andere hatten es um den Kopf gebunden. Sie gehörten zur schwarzen Hundertschaft, zu Arnulfs Männern. Um sie herum wimmelte eine vielköpfige Menge: das Gefolge der fremden Herren natürlich, Diener und Leibwächter, Jagdknechte in knielanger Tunika mit ledernem Unterarmschutz und eine ganze Zahl von Halbgaren – so nannte man die zwölf-, dreizehn- und vierzehnjährigen Kinder der Hofleute, die noch Freiheit zum Herumschweifen hatten. An diesem Tag hatte der Pfalzgraf sie eingeteilt, mit Wein- und Wasserkrügen unter den Wartenden zu kreisen. Arnulf wich einem Eselskarren mit Brotlaiben aus und sprang aus dem Sattel.
»Das Ross könnt Ihr bei mir lassen, Vater!« Mit breitem Grinsen griff ein halbwüchsiger Bursche nach den Zügeln des Pferdes. Der Lederpanzer ließ ihn breiter wirken als er war, höchstens zwei Zoll fehlten ihm noch bis zu Arnulfs Körpergröße. Das offene Gesicht mit den graugrünen Augen und dem breiten Mund hatte die feine, fast spitze Nase der Mutter – unmöglich, Arthur anzuschauen, ohne an Erika zu denken.
»Nimm die Hand vom Schwertgriff«, knurrte Arnulf gutmütig. »Sonst sieht jeder, wie verdammt stolz du darauf bist!« Arthur verzog den Mund und nahm die Linke vom Griff des Langschwerts, das seit wenigen Tagen an seiner Seite baumelte. Eine Waffe aus mehrfach geschmiedetem, damasziertem Stahl, die für das Töten auf dem Schlachtfeld gemacht war – als wäre er schon sechzehn und waffenfähig, statt vierzehneinhalb. In diesem Augenblick hörte er von hinten das Klirren und Knarren, das bewaffnete Reiter erzeugen. Die Thüringer Hardrads zogen an ihnen vorbei, ohne einen Blick nach links oder rechts zu werfen. Eine seltsame Ruhe lag über der Gruppe, fand Arnulf, kein Wort fiel zwischen den Männern. Sie trugen die gleichen buschigen Schnurrbärte wie die fränkischen Krieger, ebenso die gleichen kurzgeschnittenen Kinnbärte. Kampfschilde mit rotschwarzen Mustern hingen an den Flanken der Pferde, klapperten mit jedem Schritt der Tiere.
»Reiten die nach vorn?«, fragte Arthur arglos. »Selbst der König hat sein Ross hiergelassen!« Seine Hand wies in Richtung eines aus jungen Birken geschnittenen Querholzes, wo Dutzende von Pferden unter den Bäumen spärliches Gras fraßen.
»Hochmut«, sagte Arnulf nur und strich sich über die sprießenden Kinnstoppeln. Ich werde mich rasieren, bevor Erika zurückkommt.
»Vater? Ein Kaufmann aus Worms hat erzählt, dass der Thüringer Herzog Groll auf den König hat. Der Herrscher hat seine Tochter entführt, um sie einem Vasallen zu geben. Stimmt das?«
Arnulf verzog das Gesicht. »Entführt nicht, aber …« Ein lautes Dröhnen unterbrach seinen Gedanken. Es kam aus einer Gruppe Halbgarer, die mit allerlei Fremden um ein breites, hellbraunes Ding herumstanden. »Unsere Trommeln?«, entfuhr es Arnulf. »Was soll das? Wer hat die hergeholt?« Arthur hob wie zur Entschuldigung die Hände. »Da waren ein paar Langobarden, glaube ich, die wollten was über den Spanienzug wissen …«
»Sigfrid!«, rief Arnulf. Ein Krieger mit blonder Mähne drehte den Kopf, erkannte den Offizier und kam mit federnden Schritten herbei. »Wollen die Hosenscheißer da zum Krieg rüsten?«, feixte Arnulf. Der andere lachte und wischte den Sachsenzopf aus der Stirn, einen einzelnen dünnen Zopf, der hinter dem Ohr landete. »Einer der Hundertschaftsführer hat sie geholt. Ich meine, Heden war’s. Wollte den Olivenfressern zeigen, wie eine Sarazenenpauke aussieht … Na und?«
»Trommeln heißt Alarm geben, oder?«, sagte Arnulf mit mildem Vorwurf in der Stimme. »Nehmt ihnen das Ding weg, bevor sie was anstellen … Kommt Ihr mit nach vorn?«
»Beides gleichzeitig?«, grinste der Sachse. Arnulf brummte und boxte ihn freundschaftlich gegen die Schulter, was bedeutete, dass der Sachse hier für Ordnung sorgen würde. Arnulf rief seinem Sohn noch zu, den Apfelschimmel abzureiben, dann machte er sich auf in das Halbdunkel aus Buchen und Eichen.
Seine Füße zertraten die Abdrücke der Hufeisen vor ihm. Der Weg würde ihn zum königlichen Jagdvergnügen bringen. Frisches Laubgrün wölbte sich wie ein magischer Tunnel über ihm. Ein Specht hämmerte los, hart und schnell wie ein Schmied der Bäume, dann verstummte er wieder. Das Lager hinter Arnulf war nicht mehr zu hören, die Jagd vor ihm noch nicht. Er sog die frische, duftende Luft ein und musste an einen ähnlich engen Weg denken, den er mit dem König und einigen Edlen vor genau zwei Jahren zurückgelegt hatte: Zur Pfalz von Attigny waren sie geritten, zusammen mit dem geschlagenen Sachsenherzog Widukind und seinen engsten Gefolgsleuten. Der große Widukind hatte die Taufe genommen, dem alten Glauben abgeschworen und dem König den Vasalleneid geleistet – dreizehn Jahre nach dem ersten Feldzug Karls gegen die Heiden im Norden. Blutige Jahre, die den Franken Siege auf dem Schlachtfeld brachten, aber keinen Frieden. Die sächsischen Teilstämme – Westfalen, Engern, Ostfalen – unterwarfen sich, um später ihr Wort zu brechen und erneut gegen die Frankenmacht loszuschlagen. Die Feldzüge verwüsteten ganze Landstriche – aber sie ließen auch Unbekannte wie Arnulf zu Ruhm aufsteigen: Im