Arnulf. Kampf um Bayern. Robert Focken. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Robert Focken
Издательство: Readbox publishing GmbH
Серия:
Жанр произведения: Историческая литература
Год издания: 0
isbn: 9783862827176
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in der Menge und hielt inne. »Arnulf! Himmel, wo wart Ihr?« Alle starrten den Hundertschaftsführer an, zu dessen Füßen ein zusammengekrümmter Körper im Gras lag.

      »Sie kamen mir entgegen, Herr«, stieß der Offizier mit rauer Stimme aus, in der etwas Schlimmes mitschwang. »Ich war auf dem Weg nach vorn …«

      »An meiner Seite hätte ich Euch gebraucht!«, rief Karl hitzig. »Aber der Herr hat über mich gewacht, der Herr selbst!« Es hätte ein Vorwurf oder einfach nur Gotteslob sein können. Arnulfs Gesicht versteinerte, und obwohl der König ihn mit heißen, von starken Brauen überwölbten Augen anstarrte, glitt Arnulfs Blick hinab zu dem Körper im Gras. Karl sah nur ein Bein und einen Teil des Oberkörpers, ahnte aber, dass es einer war, der Arnulf nahestand. Doch es war nicht der Augenblick für Sentimentalitäten.

      »Holt ihn Euch, hamar !«, rief Karl endlich, wobei der Zorn seine Miene verzerrte. »Bringt mir den Thüringerherzog, tot oder lebendig !«

      Karl sah, wie sich die Züge des Offiziers strafften. Im selben Augenblick tauchte ein Junge von schmalem Wuchs neben dem wuchtigen Kriegsmann auf. Karl erkannte in ihm Arnulfs jüngsten Sohn Grimbald. Arnulf packte den Knaben an der Schulter und stieß fast beschwörend ein paar kurze Sätze aus. Dann ging sein Blick zurück zum König, und Karl sah etwas wie Mordlust in den Augen des Kriegers aufblitzen. Wie das Brüllen eines Stieres drang Arnulfs Stimme über den Lärm der Lichtung – lauter, viel lauter als das Organ des Königs. Und wütender. »Auf die Pferde, Männer! Holen wir uns die Schweine, bei Gott!«

      Damit schlang Arnulf rasch das schwarze Tuch um den Hals, das eben noch feucht von Blut in seiner Hand gehangen hatte und rannte zu seinem Pferd.

      * * *

      Königshalle nannte man den großen Raum des Hauptgebäudes der Pfalz. Eine lehmverputzte Wand wies lebensgroße Heiligenbilder auf, mittendrin der Heilige Martin in Rüstung beim Zerteilen seines Militärmantels; auf einer anderen Wand waren bunte Webbilder mit Löwen und Bären und Jägern auf Pferden. Durch zwei kleine gläserne Fenster in der Rückwand des Raums strömte das Licht des Spätnachmittags ein, hell genug für die Ärzte, um die Wunden des Königs zu versorgen. Schlimmer als Karl hatte es den Grafen Worad erwischt, den Oberbefehlshaber der Panzerreiter. Seine rechte Hand war ein blutiger Stumpf, zwei Finger hingen nur noch an Hautfetzen. Der in eisenbeschlagenes Leder gehüllte Kriegsmann saß zusammengekauert auf einem Stuhl, flankiert von zwei Ärzten oder Leuten, die sich dafür hielten. Mit weißgrauem Gesicht murmelte er religiöse Formeln sowie Verwünschungen vor sich hin. Fiebrig klang das, und jeder im Raum hatte denselben Gedanken: Wie lange konnte einer noch der oberste Leibwächter Karls sein, wenn seine Schwerthand zuschanden war?

      Karl selbst hingegen stand aufrecht da, trutzige Stärke ausstrahlend. Eine bunte Zuschauerschar aus Edelherren in Jagdkluft, schmalschultrigen Kanzleischreibern und Leibdienern mit kurzem Haupthaar verfolgte die Wundversorgung des Königs aus wenigen Schritten Abstand. An zwei Stellen hatten die Schwertklingen oder Dolche der Attentäter das Jagdwams durchdrungen und blutige Risse in der Haut hinterlassen. Karls Leibarzt musste für die Versorgung ein Stück des dichten Haargekräusels wegschneiden, das fellartig die Brust und den leicht vorgewölbten Bauch des Königs überzog.

      Manchen Auserwählten rief Karl etwas zu, mal mit ernstem Gesicht, mal mit hartem Lachen. Die einzige Frau im Raum – ein auffallend schönes Weib mit gleichmäßig geschwungenen Augenbrauen – saß auf einer kissenbestückten Wandbank unterhalb der Fenster. Sonnenlicht funkelte auf dem goldenen Diadem, das ihr blondes Haar band. Mit gerunzelter Stirn verfolgte sie die Verarztung ihres Mannes, während zwei halbwüchsige Jungen und ein kleines Mädchen unruhig neben ihr hin und her rutschten. Schließlich wurden ihre Lippen zu einem Strich. Ihre Stimme war hell und fest.

      »Hofkapellan! Euer Gnaden?!«

      Der Angesprochene wendete den Kopf. Bischof Fulrad von Metz war ein ältlicher, schwergewichtiger Mann in weinroter Robe, auf der ein silbernes Kruzifix befestigt war. Es waren nur ein paar Schritte bis zum Platz der Königin, die er mit gemächlichen Watschelschritten zurücklegte – nicht ohne sich anmerken zu lassen, dass dies für den Hofkapellan und ersten Berater des Königs eine kleine Zumutung war.

      »Was soll das ganze Volk hier, Euer Gnaden?« Sie senkte die Stimme. »Warum lasst Ihr den König unter aller Augen behandeln wie ein krankes Pferd?«

      Er sah sie mit trüben Augen an, die der Königin noch unheimlicher waren als sein aufgequollenes Gesicht mit der riesigen, fischartigen Unterlippe.

      »Jeder muss sehen können, dass der König lebt, Herrin«, sagte Fulrad mit sanfter Stimme, und sie bemerkte die Schweißtropfen auf seiner Stirn. »Und dass die Wunden, dem Herrn sei Dank, harmlos sind. Denn wisst Ihr«, er neigte den Kopf ein wenig, und seine Stimme klang nun freundlich, »Gerüchte werden durch das Reich fliegen, schneller als Brieftauben: dass der Thüringer einen Anschlag auf des Königs Leben unternommen hat. Und Wichtigtuer werden sagen, dass Hardrads Schergen den Herrscher tatsächlich …«

      »Wichtigtuer sind hier mehr als genug«, entfuhr es Fastrada. »Werft sie raus, oder muss ich das selbst tun?« Das Lächeln des Hofkapellans gefror. Er wandte sich Karl zu, dem ein Leibdiener eine saubere Tunika und ein frisches Wams übergestreift hatte. Der König bestätigte Fulrads Murmeln mit einem Nicken und fügte hinzu, laut genug für alle: »Der Kronrat soll zusammentreten, in einer Stunde.«

      Fulrad wies die Anwesenden mit dürren Worten zur Tür und legte ihnen noch nahe, für die baldige Ergreifung Hardrads zu beten. Unter lautem Murmeln leerte sich die Halle, auch der verwundete Graf Worad wurde unter sanftem Druck Fulrads von Ärzten und zwei Schuppengepanzerten hinausgeleitet. Zurück blieben neben dem Hofkapellan, der Königsfamilie und ein paar Leibdienern noch ein gedrungen wirkender Edelmann mit schulterlangem Haar und wildem Bart, dessen braune Tunika über dem Schlüsselbein aufgeschlitzt war, ohne dass er offenbar eine Verletzung davongetragen hatte oder diese zur Schau stellen wollte. Und etwas abseits, mit dem Rücken zur Wand, stand der Kanzler, ein grauhaariger Mann mit tiefen Linien im Gesicht. Wie einen Schutz drückte er eine lederne Schreibmappe an seine Brust, als wäre er unsicher, ob es schon Zeit für politische Worte war, während das Blut noch trocknete.

      Fastrada trat auf Karl zu und ergriff seine Hände. Sie musste zum Herrscher aufsehen, der sie um fast zwei Kopf überragte. »Das alles wegen einer Grafentochter aus dem hintersten Wald«, murmelte sie. »Der Teufel soll Hardrads Sippe holen!«

      »Eine Herzogstochter, meine Liebe!«, lächelte Karl grimmig und nahm einen Weinbecher vom Tisch, auf dem eben noch die Werkzeuge des Wundarztes gelegen hatten. »Lassen wir ihr den Rang.« Er reichte seiner Frau den Becher, ein Zeichen der Hingabe, denn das war eigentlich unter der Würde eines Königs. Sie trank einen kleinen Schluck. »Es war heikel, diese Heirat gegen den Vaterwillen zu beschließen«, fuhr sie fort, nun deutlich lauter und mit einem bösen Blick auf den langhaarigen Mann in der braunen Tunika, der sich von der anderen Seite Karl genähert hatte. »Ihr hättet anderswo freien können, Sachsengraf! Wegen Euch wäre der König fast umgebracht worden!«

      Kaum jemand außer der Königin hätte solche Worte an den Grafen Udalrich richten können. Der Fürst der Wesersachsen, die man auch Engern nannte, berührte mit zwei Fingern die von einer Flechte zerfressene Haut über der rechten Wange, dann die kleinen Goldkugeln, in denen ein halbes Dutzend der Bartsträhnen zusammenliefen. Sein Blick durchbohrte die Königin und war mindestens so respektlos wie ihre Worte. Die tief liegenden Augenhöhlen, an die die Flechte heranzuwachsen schien, gaben diesem Blick etwas, das den meisten Menschen Angst gemacht hätte. Er zischte den Leibdienern etwas zu und nun wanderten seine Finger, als hätte er sich auf etwas besonnen, zum goldenen Kreuzanhänger, der zusammen mit einem Bernsteinklumpen an seinem Hals hing. »Erstens, regina«, knurrte er, während ihm Wein eingeschenkt wurde, »dieser Brautplan war Eurer so viel wie meiner – die Thüringer Edlen mit den besten Geschlechtern Sachsens zu verschmelzen, so hattet Ihr selbst gesprochen! Zweitens …«

      »Ich?«, rief sie schrill. »Die Treulosen mit den Unzuverlässigen zu verbinden, das war nicht meine Idee!«

      »Das reicht«, sagte Karl. »Jammern wir nicht über zerschlagene Töpfe! Sagt mir lieber, welchen Nutzen wir aus der Sache ziehen können. Hat Hardrad diese