Der Krimscher. Manfred A. Sahm. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Manfred A. Sahm
Издательство: Readbox publishing GmbH
Серия:
Жанр произведения: Биографии и Мемуары
Год издания: 0
isbn: 9783347119673
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an sich angenehme Situation änderte sich schlagartig, als am 5. September 1972 Mitglieder der palästinensischen Terrororganisation »Schwarzer September« in das olympische Dorf in München eindrangen und ein folgenschweres Attentat verübten. Sie erschossen zwei israelische Sportler und nahmen mehrere als Geiseln. Ihre Forderung: Freilassung von Palästinensern, die in Haftanstalten in Israel einsaßen, und die Freilassung von Mitgliedern der sog. RAF (Rote Armee Fraktion / »Baader-Meinhof-Bande«), die sich in Deutschland in Haft befanden. Von diesem Zeitpunkt an war unsere Aufgabe, für die Sicherheit von Personen zu sorgen, erheblich erschwert! Die aktuelle Sicherheitslage war nicht nur durch die Tatsache, dass die zu schützenden Personen ihre eigene Situation kritischer einschätzten (ob sie tatsächlich Angst hatten?) und unsere intensiveren Maßnahmen gekennzeichnet. Die »schöne« Zeit war vorbei! Was folgte, war harte und verantwortungsvolle Arbeit. Der Ausgang des Dramas in Fürstenfeldbruck ist auch heute noch bekannt und wird leider als geschichtsträchtig in die Annalen der Olympischen Spiele eingehen. Mit der Schlussfeier der Olympischen Segelwettbewerbe im Olympiazentrum in Kiel-Schilksee endete auch mein Einsatz. Ich war dankbar für die Gelegenheit, an diesem Ereignis und dem Einsatz teilgenommen zu haben. Dann hieß es: Zurück zu den Heimatdienststellen.

      Ich war wieder in meinem Kommissariat, dem es in der Zwischenzeit allerdings nicht gelungen war, in der Mordserie zu erfolgreichen, zielführenden Ergebnissen zu gelangen. Dasselbe galt auch für die Kriminalpolizei in Hamburg, auch die dortigen Kriminalisten mussten einen ungeklärten Fall verwalten.

      Dafür lag dann der nächste Fall schon im Oktober 1972 (!) wieder in unserem Zuständigkeitsbereich! Und wieder hatten wir die Hoffnung, dass wir in diesem neuen Fall neue Erkenntnisse gewinnen konnten – denn aus den vorherigen Fällen ergaben sich absolut keine Ermittlungsansätze mehr. Und wieder waren wir »nicht aus den Klamotten heraus gekommen« wie wir es nannten, wenn man sein Zuhause und die Familie nur gelegentlich und allenfalls stundenweise zu Gesicht bekommt!

      In diesem Oktober war es eine 15-jährige Auszubildende, die nach Verlassen ihrer Lehrstelle mit dem Fahrrad zu ihrem Elternhaus fahren wollte. Dort kam sie allerdings nie an! Aufgrund der Vorgänge in den vergangenen Monaten lag der Schluss nahe, dass auch sie einem Verbrechen zum Opfer gefallen sein könnte. Dass diese Vermutung traurige Gewissheit war stand fest, als bei einer groß angelegten Suche ihr Fahrrad und eine Einkaufstasche gefunden wurden. Das Mädchen selbst blieb verschwunden und wurde erst nach etwa 7 Monaten von Spaziergängern in einem Graben in einer anderen Gemeinde gefunden. Wie in dem ersten Fall 1969 war auch hier der Unterkörper entblößt. Der Täter hatte ihre Jacke um den Hals geschlungen und mit den Ärmeln verknotet – auch diese Art der Erdrosselung war uns bekannt! Es war eine traurige Wahrheit: auch in diesem Fall konnte trotz »übermenschlicher« Anstrengungen kein Tatverdächtiger namhaft gemacht werden. Alle Vergleiche mit Taten in ähnlicher Ausführung in anderen Regionen, Landkreisen und Bundesländern verliefen erfolglos. Auch die Überprüfung von durch Sexualdelikte bereits auffällig gewordenen Straftätern, ob es sich dabei um Vergewaltiger oder auch »nur« Exhibitionisten handelte, brachte keine Ergebnisse. Im Kreis der in den umliegenden Justizvollzugsanstalten »wohnhaften« Freigänger mit einer entsprechenden Vorgeschichte suchten wir ebenfalls vergebens.

      Diese Ereignisse der letzten Jahre hatten nicht nur verschiedene Polizei- und Kriminaldienststellen an den Rand ihrer Leistungsfähigkeit gebracht, sondern auch das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung bis hinein nach Hamburg stark negativ beeinträchtigt.

      Was hatten wir? Wir mussten von einem Serientäter, der sehr mobil war, ausgehen. Alle Opfer waren junge Frauen, alle lebten im nördlichen Großraum Hamburg. Alle wurden missbraucht und mit ihren eigenen Kleidungsstücken erdrosselt. Und alle wurden nach ihrem Tod an abgelegene Stellen, oftmals auch in anderen Gemeinden, verbracht. Diese deutlichen Übereinstimmungen wurden 1973 mit der Mordkommission der Hamburger Kriminalpolizei erörtert. Gemeinsam kamen wir zu dem Schluss, dass auch der Täter in dem Großraum seiner Taten zu finden sein müsste. Die kriminalistische operative Fallanalyse, bei der aus dem Erscheinungsbild der Straftaten, der Spuren und sonstiger Indizien Schlüsse gezogen wurden, war relativ präzise. Auch das Erstellen eines psychologischen Täterprofils, heute auch als Profiling bekannt, brachte ein eindeutiges Ergebnis. Beides führte dennoch leider nicht zur Ermittlung eines Tatverdächtigen. Aber: Wenn wir ihn denn hätten, könnten wir hervorragend unsere Ergebnisse mit seiner Persönlichkeit abgleichen! Ja, wenn, wenn! Es war – ich muss sagen: frustrierend – nach so vielen Jahren, Monaten und Tagen unermüdlicher Arbeit, die ich als Kriminalanwärter und später als Sachbearbeiter geleistet hatte, keinen Erfolg verzeichnen zu können. Der Großraum nördlich der Hansestadt Hamburg war uns fast schon zur zweiten Heimat geworden.

      In den folgenden acht Jahren waren wir nicht beschäftigungslos, Tötungsdelikte gab es doch so einige, daneben mussten andere unnatürliche Todesfälle, Raub-, Sexual- und Brandstiftungsdelikte bearbeitet werden. Die Suche nach Vermissten, besonders intensiv nach vermissten Kindern, ergänzte unseren Aufgabenkatalog. Erstaunlicherweise aber war »unser« Sexualmörder nicht wieder aktiv geworden.Natürlich stellten wir alle uns die Frage nach dem Warum. Die Fragen, die wir trotz andauernder sporadischer Ermittlungen allerdings nicht beantworten konnten, gingen von einem Umzug in eine andere Region, ein anderes Bundesland oder gar ins Ausland oder einem längeren Aufenthalt wegen anderer Delikte in einer Justizvollzugsanstalt aus. Daran, dass der Täter inzwischen seinen Trieb unter Kontrolle gebracht haben könnte, wäre mit medizinischer Hilfe evtl. möglich gewesen; mochte aber so recht niemand glauben.

      Die weitere Entwicklung musste dann ohne meine Beteiligung zu Ende gebracht werden.

      Nach weiteren Aus- und Fortbildungen wurde ich in eine andere Behörde versetzt (wie es sich für einen »anständigen« Beamten von Zeit zu Zeit gehörte). Ich hatte weder die örtliche Zuständigkeit für den betroffenen Großraum noch die sachliche Zuständigkeit für die Mordserie. Mein Interesse daran aber blieb und ständig habe ich die in den kriminalpolizeilichen Informationssystemen verbreiteten Fälle zur Kenntnis genommen.

      Und dann fanden zwei Schüler 1984, also 12 Jahre (!) nach dem letzten Mord , in einem Waldstück im Norden Hamburgs die Leiche einer 18-jährigen jungen Frau. Sie hatte wenige Tage zuvor versucht als Anhalterin zu einer Diskothek in einem Nachbarort mitgenommen zu werden.(Diskothek und Trampen! Werden die Menschen denn nie schlau? Offenbar nicht!) Die Frau wurde vergewaltigt und mit ihrem Schal erdrosselt! Auch diese Ermittlungen schienen aber aussichtslos zu sein, die taktischen Spuren endeten erfolglos. Die schreibende Presse, sprich: Tageszeitung, beendete einen Artikel ihrer äußerst umfangreichen Presseberichterstattung mit den Worten: »Wer für die Mordserie verantwortlich ist, bleibt vermutlich für immer ungeklärt«. Es schien die Fortsetzung einer unendlichen Geschichte zu sein! Alles, was dann weiter geschah, kenne ich nicht aus eigenem Erleben oder Mitwirken, sondern aus Gesprächen mit der zuständigen Mordkommission und natürlich aus den Medien.

      Es konnten im letzten Fall kriminaltechnische Spuren vom Opfer gesichert und aufbewahrt werden. Von der Auswertung von DNA-Spuren war seinerzeit noch nicht die Rede. Dies änderte sich (zum Glück!) und ca. 40 Jahre Jahre nach der ersten Tat im Juni 1969 (ich war schon pensioniert!) wurde festgestellt, dass sich das damals gesicherte und aufbewahrte Spurenmaterial für eine DNA-Analyse eignete. Dieses neuartige Verfahren führte endlich zum Durchbruch, weil die Ermittler die Fälle immer wieder aufgerollt hatten und u.a. Speichelproben von den seinerzeit befragten und vernommenen Personen erhielten.

      Der wissenschaftliche Abgleich bestätigte (über Umwege) eindeutig die Täterschaft eines 64-jährigen Mannes aus der unmittelbaren Nachbarschaft der Taten. Er wurde mit dem Vorwurf der Täterschaft und den vorliegenden Beweisen konfrontiert, hatte daraufhin nicht nur den Mord von 1984 gestanden sondern »machte reinen Tisch« und gestand auch die vier vorherigen Morde.

      Mit der Verurteilung durch das Landgericht Lübeck endete zugleich eine Zeit quälender Ungewissheit für die Angehörigen der Opfer und für das Sicherheitsgefühl in der Region.

      Psychiater, Rechts- und Sexualmediziner, die als Sachverständige Gutachten erstellt hatten, bezeichneten ihn als »sadistischen Sexisten« der zwar Mängel in der Persönlichkeit aufwies , aber doch überwiegend schuldfähig war. Die Ergebnisse entsprachen unseren damaligen Feststellungen, die wir über unser Profiling und in den Fallanalysen erarbeitet