Der Krimscher. Manfred A. Sahm. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Manfred A. Sahm
Издательство: Readbox publishing GmbH
Серия:
Жанр произведения: Биографии и Мемуары
Год издания: 0
isbn: 9783347119673
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Körper auf dem Boden, sondern auch alle möglichen Leichenteile. Als nach dem dritten »Durchgang« immer noch unterschiedliche Ergebnisse zu verzeichnen waren, kam die Weisung, nur noch Köpfe, einzelne oder noch an den Körpern befindliche, zu zählen. Auf Einzelheiten dieser Tätigkeit will ich hier verzichten. Das Resultat: Es waren 22 Opfer zu beklagen. Um die Erfassung der Verletzten, die in Hamburger Krankenhäuser eingeliefert worden waren, kümmerte sich derweil die Hamburger Polizei. Aber auch das war nicht völlig problemlos. Der Katastrophentourismus mit riesigen Mengen von Fahrzeugen und rücksichtslosem Fahren führte natürlich auch zu Verkehrsunfällen, bei denen Fahrzeuginsassen verletzt und in Krankenhäuser eingeliefert werden mussten. Auch diese wurden zunächst als Opfer des Flugunfalls angesehen und in Obhut genommen (weil sie aus Hasloh kamen) und entsprechend aufgelistet!

      Es war schon dunkel und herbstlicher Nebel legte sich über die inzwischen beleuchtete Szene, als die ersten Leichen abtransportiert und in die Leichenhalle des Friedhofs Hamburg-Öjendorf gebracht wurden. Dort war die sog. Leichensammelstelle eingerichtet worden; es war die seinerzeit größte Einrichtung im Norden, die diese Menge von Verstorbenen aufnehmen konnte. Meine und die Arbeit meiner Kieler Kollegen war für diese Nacht beendet, wir fuhren zurück.

      Noch am Abend und in der Nacht wurde weltweit von Rundfunk- und Fernsehsendern über den Crash berichtet. Beginnend mit dem nächsten Tag überschlugen sich dann auch die Meldungen in den Printmedien. Und wie immer dauerte es gar nicht lange, bis sich insbesondere die auf den sog. investigativen Journalismus spezialisierten Presseorgane in Vermutungen, Verdächtigungen, Beschuldigungen, kurz in Besserwisserei »vom Feinsten«, tummelten. Es war natürlich für jedermann verständlich – und sollte es eigentlich auch für die Presse gewesen sein – dass die Klärung der Ursachen und der kausalen Zusammenhänge nicht binnen weniger Stunden erfolgen konnte. Aber bevor weder die technischen Fragen geklärt noch mögliche menschliche Faktoren betrachtet wurden, fühlten sich »Fachleute« sogar aus der Fliegerei berufen, ein Endergebnis vorwegzunehmen, die tatsächlich objektiv festgestellten Abläufe in Frage zu stellen, und fanden in bestimmten Medien ihre dankbaren Abnehmer. Selbst amtliche Verlautbarungen wurden angezweifelt und Pressesprecher der Lüge bezichtigt, weil ihr Inhalt nicht zu dem gewünschten Resultat passte. Also: Absolut nichts Neues im Zusammenhang mit Großereignissen, die die Öffentlichkeit stark interessierten!

      Die Unfallursache und der gesamte Ablauf, wie es dazu kam, schienen zuerst auf eine Verkettung unglücklicher Umstände zurückzuführen sein, das Verfahren endete dann aber in zwei langwierigen Prozessen vor dem Landgericht Kiel mit Verurteilungen eines Elektrikers und eines Flugzeugmechanikers der PanInternational zu Geldstrafen.

      Bevor ich die Chronologie der Ereignisse schildere, zuerst ein paar Fakten zu dem Flugzeug und dem Betreiber – nicht nur für Flugzeuginteressierte. Die BAC 1-11 mit dem Rufnamen D-ALAR war ein zweistrahliges Passagierflugzeug des britischen Herstellers British Aircraft Corporation. Sie hatte ein T-Leitwerk, eine Druckkabine und ein einziehbares Bugradfahrwerk und war ganz aus Metall gebaut. Die beiden Rolls-Royce-Triebwerke waren seitlich am Heck angebracht. In dem Flugzeug, das im April 1965 in Dienst gestellt worden war, fanden bis zu 119 Passagiere und 6 Besatzungsmitglieder Platz. Beim Unglücksflug befanden sich 115 Urlauber und die 6-köpfige Besatzung an Bord. Die 33 Meter lange und knapp 7,50 Meter hohe Maschine hatte eine Flügelspannweite von 28,50 Meter und erreichte eine Reiseflughöhe von ca. 9.000 Metern. Mit einer Tankfüllung konnte sie ca. 2.800 Kilometer weit fliegen. Die Herstellerfirma bot diese Maschinen als äußerst wirtschaftlich im Vergleich zu Konkurrenzmodellen an, weil sie bis zu 15 % weniger Treibstoff verbrauchten. Allerdings ergaben sich dadurch auch Nachteile: das Flugzeug leistete rd. 20 % weniger Schub und hatte demzufolge auch weniger Kraftreserven. Die verschiedenen Typen dieses Fliegers waren weltweit im Einsatz.

      Betreiber war die 1968 gegründete Gesellschaft, die ihren Namen nach einem Einspruch der amerikanischen Fluggesellschaft PanAm in »PanInternational« ändern musste. Diese Chartergesellschaft beförderte nicht nur für den eigenen Reiseveranstalter »Paneuropa«, sondern auch für andere Urlauber an ihre Urlaubsziele in Spanien, Griechenland und die Türkei. In den Fernreiseverkehr wollte man damals mit dem Kauf zweier gebrauchter Boeing 707 einsteigen. Wegen geschäftlicher Schwierigkeiten konnten diese beiden Flieger jedoch nicht zugelassen werden und blieben am Boden. Als zu den bisher im Einsatz befindlichen BAC 1-11 noch eine dritte zu der Flotte stieß, verschärften sich die Schwierigkeiten. Der schwere Unfall von Hasloh mit den langwierigen Untersuchungen und Ermittlungen führte dann aber letztlich zur Stilllegung der gesamten Flotte. Verträge konnten nicht mehr erfüllt, die Boeing-Flugzeuge mussten zurückgegeben werden und ab Oktober 1971 stellte man sämtliche geschäftlichen Aktivitäten ein. Einige Jahre später folgte dann der Konkurs der Gesellschaft.

      Die Gesellschaft und insbesondere der Unfall standen dann auch im Mittelpunkt innenpolitischer Auseinandersetzungen. Der durch Affären und Skandale bis hin zu seiner Stasi-Tätigkeit bekannt gewordene parlamentarische Geschäftsführer einer der im Bonner Bundestag vertretenen Parteien sollte von der Fluggesellschaft Beraterhonorare im 6- stelligen Bereich erhalten haben. Es wurde vermutet und behauptet, dass er dafür Einfluss auf auf die Wartung – oder besser Nichtwartung – des Flugparks der Gesellschaft genommen hätte. Der mit dieser Sache befasste parlamentarische Untersuchungsausschuss des Bundestages konnte sich damals aber zu keinem gemeinsamen Ergebnis durchringen, Grund dafür: Parteienstreit! Ich lästere jetzt: Das hat sich bis heute nicht geändert!

      Aber selbst, wenn das der Fall gewesen sein sollte, auf das Unglück hatten Wartungsmängel oder darauf zurückzuführende technische Unzulänglichkeiten jedenfalls keinen Einfluss gehabt.

      Es war bekannt, dass Chartergesellschaften sich bemühten, den Auslastungsgrad möglichst hoch zu halten. Dies bedeutete, die Maschinen so viele Flüge absolvieren zu lassen, wie es eben möglich war. Auch die Unglücksmaschine der Gesellschaft »PanInternational« mit der Kennung D-ALAR war in den Tagen vor der Notlandung sehr viele Stunden in der Luft gewesen. Die Aufenthalte auf dem Boden dauerten meist weniger als eine Stunde. Das bedeutete zugleich enorme Belastungen für das fliegende Personal. Aber auch menschliche Überanstrengung spielte bei dem Unfall keine Rolle, denn die Crew hatte erst in Hamburg das Flugzeug, das gerade aus Düsseldorf gekommen war, übernommen.

      Die Untersuchungen ergaben, dass am Flughafen Düsseldorf ein Mitarbeiter der »PanInternational« 100 Liter Kerosin, das als Treibstoff für Triebwerke von Düsenflugzeugen dient, in zwei 60-Liter-Behälter umfüllte, die von einem anderen Mitarbeiter zunächst in das Lager gebracht wurden. Zusammen mit drei weiteren Kanistern demineralisiertem Wasser wurden dann die Kerosin-Behälter am nächsten Tag in den Frachtraum der Unglücksmaschine geladen. Das Wasser wurde benötigt, um leistungsmindernde Wetterbedingungen oder Beladung des Flugzeugs bis an die Obergrenze durch Steigerung der Schubleistung ausgleichen zu können. Die Ermittlungen in Düsseldorf ergaben aber auch, dass sich hier bei dem Wartungspersonal die Schichten überschnitten hatten, ohne dass die Verantwortlichkeiten geregelt waren. So war dann auch die Übersicht über die Kerosin- und die Wasserbehälter nicht mehr vorhanden. Während die Staatsanwaltschaft diese Zustände später als »Kette pflichtwidriger leichtfertiger Handlungen und Unterlassungen« bezeichnete, ist die Bezeichnung »Schlamperei 1. Grades« wohl genauso zutreffend.

      In der Tat war es dann in Hamburg erforderlich, das inzwischen in einen Einbautank umgepumpte »Wasser« zu verwenden. Die Chartermaschine war voll beladen, woraufhin sich der Pilot entschloss, einen sogenannten Nassstart durchzuführen, um die Schubkraft kurzfristig zu steigern. Das Wasser sollte dabei zur Kühlung in die Brennstoffkammern gespritzt werden. Stattdessen wurde aber Kerosin eingespritzt! Zwar waren für beide Triebwerke eigene Aggregate vorhanden, die dafür sorgen sollten, dass allenfalls nur ein Motor ausfällt, aber die Einspritzung erfolgte für beide Turbinen aus nur einer Anlage!

      Der Flug 112 mit Ziel Malaga / Spanien startete um 18.19 Uhr von der Startbahn 33, doch schon nach knapp 60 Sekunden explodierten kurz nacheinander beide Triebwerke, da der Kühleffekt ausblieb! Der Flieger hatte zu diesem Zeitpunkt eine Höhe von etwa 250 – 300 Metern erreicht. Da eine Umkehr zum Flughafen Hamburg nicht mehr möglich war, entschloss sich die Cockpit-Besatzung zu einer Notlandung. Neben anderen Problemen war vor allem auch die noch an Bord befindliche volle Treibstoffladung ein großes Problem. Bei Notlandungen wird deshalb vor der Landung versucht, das Kerosin bis auf einen kleinen Rest nach draußen