Zu dem, was dann folgte, hatte ein von mir später im Tatortwagen, einem fahrbaren Büro, vernommener Major des 15. Fallschirmjäger-Bataillons der britischen Streitkräfte detailliert Angaben machen können. Er selbst befand sich im Flugzeug Nr. 4; schon während des Absprungs hörte er Schreie. Und nicht nur das: Als er gelandet war, ging etwa 10 m neben ihm eine »platform«, eine Last nieder! Was war da oben los? Nicht nur die zeitliche Abfolge, auch die räumliche Zuordnung stimmte nicht! Für ihn galt es nach oben zu schauen, ob noch mehr kommt, um sich dann durch einen Sprung zur Seite in Sicherheit bringen zu können. So ein Durcheinander hatte er während seiner Dienstzeit als Berufssoldat noch nicht erlebt! Als die Sicherungskräfte bemerkten, dass die Lasten nicht das vorgesehene Ziel erreichten und zwischen den Springern landeten, schossen sie rote Lichtsignale. Daraufhin wurde der Lastenabwurf gestoppt. Alle abgesprungenen Soldaten trafen sich an einem Platz außerhalb der Absprung-bzw. Abwurfareale. Dort war schon zu hören, dass wohl einige ihrer Kameraden in den Kanal gesprungen waren. Nach dem Checken der Fluglisten wurde festgestellt, dass 6 Fallschirmjäger verschiedener Dienstgrade fehlten. Insgesamt waren 14 Soldaten in den Kanal »gefallen«, von denen acht lebend und einer nur noch tot geborgen werden konnten. Es fehlten also noch 5 Springer. Bei Tagesanbruch wurde mit allen verfügbaren Kräften der britischen Militäreinheiten und Hubschraubern sowohl auf dem Nordufer als auch dem Südufer nach den fünf Vermissten gesucht. Die Suche verlief ergebnislos, die Personen konnten weder auf freiem Feld noch im Wald sein. Die Fallschirme hätte man auf jeden Fall in den Baumwipfeln gesehen. Also blieb nur eine Möglichkeit: auch sie mussten sich im Kanal befinden. Die Suche wurde dann mit Polizeikräften, Hubschraubern, Kampfschwimmern und Minentauchern fortgesetzt und führte in den nächsten beiden Tagen zum Auffinden von vier Soldaten, der fünfte blieb zunächst noch vermisst. Nach der Anlandung wurden die Leichen und ihre Ausrüstung nur ordnungsgemäß besichtigt — ein Berühren ließen die britischen Dienststellen nicht zu. So war es z.B. nicht möglich, eine Identifizierung anhand der Erkennungsmarken, die jeder Soldat an einer Kette um den Hals trug, vorzunehmen. Es mussten Kameraden hinzugezogen werden, die die Verstorbenen zweifelsfrei identifizieren konnten. Jedem verunglückten Fallschirmspringer wurde ein Soldat zugeordnet, der ihn ab sofort ständig begleitete.
Bei keinem der Fallschirmspringer konnten äußerlich sichtbare Verletzungen festgestellt werden, die evtl. durch Schiffsschrauben verursacht worden waren. Dazu muss gesagt werden, dass der Schiffsverkehr im Nord-Ostsee-Kanal, international als »Kiel-Canal« bekannt, zur Absprungzeit nicht unterbrochen war. Eine Sperrung war zwar vom deutschen Militär angedacht, von den britischen Streitkräften aber nicht gefordert und von der Kanalverwaltung abgelehnt worden und somit unterblieben. Der Zustand der geborgenen Springer sprach gegen derartige Einwirkungen, es musste vielmehr von Tod durch Ertrinken ausgegangen werden, wofür auch der Zustand der Ausrüstung sprach. Es war offensichtlich allen gelungen, Verschlüsse zu öffnen und die Reißleinen ihrer Schwimmwesten zu ziehen. In keinem Fall waren die Schwimmwesten jedoch aufgeblasen! Arme und Beine waren in den Leinen der Fallschirme verwickelt, die Soldaten waren bis zur Unmöglichkeit, sich zu bewegen, praktisch gefesselt und hatten keine Chance, sich zu befreien. Keiner trug ein Messer, das es ihm ermöglicht hätte, die Leinen zu zerschneiden. Ich war immer davon ausgegangen, dass zur Ausrüstung eines Fallschirmspringers selbstverständlich ein Messer gehörte, wie es bei der Bundeswehr Standard war (auch wenn das Fallschirmjägermesser dort als Nahkampfwaffe bezeichnet wurde). Ich habe den Major auf diesen Umstand angesprochen, seine Antwort erstaunte und verblüffte mich: »Messer benötigen wir nicht, wir springen Punkt!« Er sagte dies im Brustton der Überzeugung, und ich dachte nur: »Oh, oh, das hat man ja wohl gesehen!« ohne es jedoch auszusprechen. Der fünfte Vermisste konnte fünf Tage später in etwa 2 km Entfernung geborgen werden; offenbar war er durch Schiffsschrauben-Bewegungen abgetrieben worden. Aber auch er befand sich in demselben Zustand wie seine anderen getöteten Kameraden und wies keine äußerlichen Verletzungen auf.
Die erforderlichen Ermittlungen im Hinblick auf deutsche Beteiligungen an den Vorbereitungen von Fallschirmabsprung und Lastenabwurf ergab, dass es hier zu keinen Versäumnissen gekommen war. Alle Sicherheitsmaßnahmen, die von britischer Seite als notwendig erachtet worden waren, wurden erfüllt und haben auch Wirkung gezeigt: von vierzehn im Kanal »gelandeten« Soldaten konnten acht unversehrt geborgen werden. Die Fehler, die zum zu frühen Absprung und zur Überschneidung von Absprung der Mannschaften mit Lastenabwürfen führten, waren bei britischen Militärinstitutionen zu suchen. Mein Schlussbericht, der mit den Todesermittlungsverfahren nicht nur an die zuständige Staatsanwaltschaft sondern auch auf diplomatischem Weg nach Großbritannien gesandt wurde, schloss mit den Worten: »Die Möglichkeit, die Ursachen des Unglücks im Bereich der britischen Streitkräfte zu ermitteln, war nicht gegeben«.
Ich hätte sehr gerne gewusst, was dort oben in der Luft, in den Hercules- und anderen Maschinen abgelaufen war. Zwei »suboptimale« Luftlandungen, davon eine mit schwerwiegenden Folgen, ließen zwar Schlüsse auf die Leistungsfähigkeit der britischen Armee in diesen Bereichen zu, es soll und kann hier aber nicht darum gehen, Spekulationen anzustellen. Das verbieten Ehre und Achtung vor den mutigen und den verunglückten »parachutists«.
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