Hämmerle. Jochen Rinner. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jochen Rinner
Издательство: Readbox publishing GmbH
Серия:
Жанр произведения: Контркультура
Год издания: 0
isbn: 9783347069022
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direkt hatten sie das nicht erwartet. Jeder hört das Vibrieren von Gerbers Handy, und während er abseits das Gespräch annimmt, sagt Fritz Hämmerle: „Sie verstehen, wir haben einige Fragen. Vielleicht verschieben Sie Ihre Fahrt und fahren Ihr Auto wieder in die Garage, unseres sollte weg von der Straße.“

      „Ja, ich fahr wieder rein. Ist es wirklich Rita?“

      Richard Gerber telefoniert im Auto, Herr Kessler fährt vor und Fritz Hämmerle winkt seinem Kollegen, der das Handy eben wieder einsteckt und den Wagen ein Stück in die Einfahrt lenkt.

      „Ich glaub, ich hab den schon mal gesehen“, flüstert Richard Gerber seinem Partner zu, der sich jetzt klar wird, dass das allein nicht zu schaffen ist. Er hätte doch, bevor sie hierherfuhren, schon mal die Personalien checken können. Frau Micha hätte das bestimmt für ihn gemacht. Er wusste doch – das muss er sich eingestehen –, dass er keineswegs nur auf einer vagen Spur war. Das muss er jetzt nachholen, setzt sich ins Auto und telefoniert.

      „Frau Micha, bitte. --- Kessler, Am Kreuz 10 – haben wir da was? --- Ja, auf mein Handy.“ Das hätte ihm wirklich eher einfallen müssen.

      Jetzt können sie Kessler nicht länger warten lassen, der dasteht wie aus dem Ei gepellt, obwohl Hämmerle nicht klar ist, welche Spezies Federvieh dieses Ei wohl gelegt haben könnte. Was sind das für Schuhe, die unter der eng geschnittenen elfenbeinfarbenen Hose hervorblitzen? Schlangenleder? Vielleicht auch noch echt. Dünnes, längeres, etwas rötliches Haar umrahmt ein aalglattes Gesicht, die Farbe scheint aber nicht echt zu sein, dazu ein khakifarbenes Jackett auf weißem Shirt.

      „Herr Kommissar …?“

      „Hämmerle.“

      „Entschuldigen Sie, die Stunde im Büro kann ich streichen, aber danach sollte ich da sein.“

      „Wo sollten Sie sein?“

      „Mir gehört das Casino am Innenring.“ Jetzt weiß Gerber, woher er ihn kennt. „Wir können in den Wintergarten.“

      Herr Kessler geht voraus. Die Jalousien verschwinden ohne Geräusch. Mit einer Geste bedeutet er ihnen, auf einer üppigen Sitzgarnitur aus weißem Leder Platz zu nehmen, in die sie sich ein wenig scheu einsinken zu lassen.

      Hämmerle bleibt auf der Kante sitzen, die keine Kante ist, mit den Ellbogen auf den Knien, und beginnt: „Herr Kessler, wenn ich Sie richtig verstanden habe, stand Ihr Auto vorgestern in der Hangstraße 22.“

      „Die Hausnummer weiß ich nicht, ist mir nie aufgefallen.“

      „Sind sie öfter bei den beiden Damen gewesen?“

      „Gelegentlich, ich kann mich nicht erinnern.“

      „Sie waren also vorgestern Nacht dort. Und wann das letzte Mal davor?“

      „Vor drei Wochen etwa, so genau kann ich das nicht sagen.“

      „Wie spät war es, als Sie ankamen?“

      „Um Mitternacht bin ich am Casino los, eine knappe halbe Stunde Fahrt, also kurz vor halb eins. Bin bis zum Morgen geblieben. Es wurde schon knapp, ich wollte Frau Le, oder wie die heißt, nicht über den Weg laufen, die macht da sauber.“

      „Frau Le hat sie dann auch gefunden, sie war bereits tot.“

      „Wieso tot?“

      „Sie ist durch den Riemen, der um ihren Hals lag, erstickt. Sie konnte ihn nicht lösen, weil sie noch angekettet war.“

      „Aber das haben wir nicht das erste Mal so gemacht. Frau Le war immer pünktlich und wenn es knapp war, hat diese Frau das gemacht.“

      Nicht zu fassen, der hat sie hängen lassen! Fritz Hämmerle fragt:

      „Haben Sie den Riemen bei Frau Kämpf festgezogen?“

      „Ja, sie mochte diese Würgespiele. Das war für sie der Bio-Kiff, das Ohnmächterli. Ich hab vorgestern, wie auch das Mal davor, den Riemen wieder gelockert.“

      Sie nehmen Kessler nicht fest. Er bleibe in der Stadt und sei durchgängig auf seinem Handy erreichbar, versichert er.

      Richard Gerber ist das schnelle Fahren vergangen. Wortlos schleicht er durch die Straßen und hält an einem Imbiss. Sie sitzen vor ihrer Wurst und dann sagt er schließlich: „Herr Kommissar, wenn sie mich fragen, der Fisch ist so schlüpfrig und schleimig, der muss nicht mal zappeln, um uns zu entgleiten und gemütlich davonzuschwimmen.“

      „Sieht so aus. Sind Würgespiele eine Straftat oder sind sie es nicht?“

      Sein Nebenmann schweigt und fährt schneller, es zieht ihn wieder zu seinen Autos.

      Fritz Hämmerle ist unsicher. Was war im Sumpf dieser Nacht in der Hangstraße gelaufen, was nur? Er fühlt sich wie auf schwankendem Grund, wie das erste Mal als Junge auf dem Trampolin, über das er auf allen vieren gekrochen war. Sie haben Kessler laufen gelassen, weil er beteuert hat, den Riemen wieder gelockert zu haben. Hat er denn überhaupt nichts gelernt? War das jetzt alles falsch? Hätten sie ihn festnehmen sollen? Er muss endlich zu seinem Chef, Bergerstraße hin oder her.

      Was treibt einen Menschen wie Kessler dazu, so was zu brauchen? Es widert ihn an. Rita war ein Profi, sie wusste, wann es gefährlich wird, richtig gefährlich. Würgespiele? Nein, keine Würgespiele! Sich auf diese Weise und in einem solchen Szenario einen Kick zu verschaffen, das konnte sie wirklich nicht gewollt haben, auch für viel Geld nicht. War es nur das Geld und sie hatte die Kontrolle verloren? Oder war es doch anders?

      Wie will man diesem Kessler das Gegenteil beweisen? Er muss mehr über Rita Kämpf erfahren. Herr Wetterer war es nicht, bestimmt nicht. Auch wenn es noch ein kleines Zeitfenster gab, bevor Frau Le kam, in dem er es hätte tun können. Wann Kessler genau gefahren ist, hat er nicht gesagt. Wenn er Frau Le besucht, sind einige Fragen zu stellen - zum Beispiel: Hat sie diese Utensilien auch alle gereinigt? Weiß sie, was alles in den Schränken war? Wie gut kennt sie die Frauen?

      Und Kitty: Niemand weiß, wo sie in Ungarn zu Hause ist, die beiden haben lange Zeit im Spitzdach über den Garagen zusammengewohnt und -gearbeitet. Gibt es irgendeine Möglichkeit, sie zu erreichen?

      Richard Gerber neben ihm am Steuer hat mit der Sache abgeschlossen. Er musste für diesen einen Einsatz aushelfen und kann sowieso nichts mehr machen. Sie passieren die Schranke und biegen in die Abfahrt zu den Garagen. Fritz Hämmerle hat es eilig, bedankt sich bei ihm und verschwindet in die Spurensicherung.

      „Kommen Sie“, begrüßte ihn Maik Haberland. „Frau Kämpfs Handy liegt eingeschaltet beim Elektroniker, Kitty hat sich gemeldet, hören Sie sich das an.“

      „Rita, bist du da? Geh ran! Rita? Warum gehst du nie ran? Meine Mutter ist schlimm krank, ich kann nicht weg. Ich kann sie nicht allein lassen. Warum gehst du nicht ran?“

      „Fünfmal hat sie es versucht, ehe sie auf die Mailbox gesprochen hat. Es ist eine Festnetznummer in Ungarn, die Adresse kennen wir auch.“

      „Wir haben ihren letzten Kunden. Richard Gerber hat das Auto gefunden. Dieser Freier, Kessler heißt er, ist ein elend schlüpfriger Bursche. Wie weit sind Sie?“

      „Wir haben noch andere Fingerabdrücke, vor allem die von Kitty, nehmen wir an, weil es die gleichen sind wie in ihrem Zimmer. Sie sind viel in der Küche, auch auf zwei von den Handschellen.“

      „Und der Riemen?“

      „Kaum was zu machen. Wir brauchen die Fingerabdrücke von der Reinigungskraft und von diesem … wie heißt er, Kessler?“

      Fritz Hämmerle stammelt irgendetwas, während er überlegt, wie er die Panne ausbügeln kann.

      Maik Haberland schmunzelt. „Ihr habt Scanner bei euch oder Sie nehmen die Folien.“ Er schiebt ein paar davon gleich über den Tisch.

      Peinlich, peinlich. Er verlässt die Pathologie und versucht es bei Frau Micha.

      Die bisher so freundlich engagierte Frau ist genervt. „Ach ja, Ihr Anruf, Herr Hämmerle … ich konnte so schnell nichts