Hämmerle. Jochen Rinner. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jochen Rinner
Издательство: Readbox publishing GmbH
Серия:
Жанр произведения: Контркультура
Год издания: 0
isbn: 9783347069022
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Herz, vorbei. Das kam ja ab und zu vor, aber diesmal packte es mich plötzlich, fordernd brannte es sich in die Leere des Fahrertrotts. In dem Moment bemerkte ich eine große Lücke, bremste und parkte ein. Es steckte kein starker Drang dahinter, nichts Unerbittliches. Ich meinte, jeden Moment auch wieder losfahren zu können, tat es aber nicht. Es war die perfekte, reale Illusion, Nähe, Wärme, Begierde. Nach wenigen Wochen wartete ich schon auf eine Tour, die wieder dort vorbeiführen würde. Und sie kam auch, mit einem kleinen Umweg.“

      „Ja, und Ihre Frau?“

      „In den letzten Jahren allein hier oben hatte ich viel Zeit, darüber nachzudenken. Wir hatten das Fuhrgeschäft und was sie alles wie aus dem Handgelenk gemacht hat, merkte ich erst, als sie nicht mehr da war. Den Ersatzfahrer musste ich Vollzeit einstellen und ich saß am Schreibtisch. Trotzdem brauchte ich noch jemanden fürs Büro, das hat die Personalkosten fast verdoppelt. Wie meine Frau das gemacht hat, weiß ich nicht, es hat mich nie gekümmert. Ich hab’s einfach nicht gemerkt.“

      „Das war Ihre gemeinsame Arbeit - und sonst? Hab ich das richtig mitbekommen, Sie hatten jeder ein eigenes Zimmer?“

      „Wir hatten uns gegenseitig mit unserem Schnarchen um den Schlaf gebracht. Es ging nicht anders.“

      „Und das Ehebett ist sozusagen auf der Strecke geblieben.“

      Er schüttelt kaum merklich den Kopf.

      Was will er damit sagen? Liege ich daneben?, fragt sich Fritz Hämmerle. Oder will er nicht weiterreden? Ist das alles nicht so schwarz–weiß? Oder er billigt mir keine Berechtigung zu, solche Fragen zu stellen. Damit hat er in gewisser Weise wohl sogar recht.

      „Haben Sie Kinder?“

      „Nein, meine Frau hatte einen dreizehnjährigen Sohn, als wir uns kennenlernten. Sie war siebzehn, als sie Mutter wurde, und er ist größtenteils bei ihren Eltern auf dem Hof aufgewachsen, war kein Typ für die Stadt: Traktoren, Kühe, Felder, das ganze Programm. Wir sind auch nicht richtig warm geworden miteinander. Ist später nach Neuseeland gegangen und züchtet Schafe, hat auch Familie dort. Sie war drei Wochen zur Taufe da. Das Bild mit dem Enkel im Taufkleid und den Eltern stand auf ihrem Schreibtisch. Würde mich nicht wundern, wenn sie jetzt bei ihrem Sohn ist.“

      Es ist klar, diese Ehe ist ein ziemliches Paket und er hat ihm nur den Deckel gelupft, mehr nicht, dessen ist Hämmerle sich sicher. Ach, lassen wir’s, denkt er, aber mit ihm und Rita Kämpf, das kann er sicher nicht auf sich beruhen lassen.

      Herrn Wetterer fröstelt. „Ich zieh mir was drüber. Oder gehen wir rein?“

      „Wir können gern draußen bleiben.“

      „Ja, solch eine Terrasse mit diesem Ausblick gleich neben dem Wohnzimmer gibt es nicht von der Stange. War auch der Grund, warum ich nicht gleich alles verkauft habe.“

      „Verstehe ich.“

      Dann geht er.

      Fritz Hämmerle ist gefangen vom Anblick der Stadt. Sie strotzt in der Dunkelheit vor Kraft, als wäre die Haut von den Adern gezogen, emsig durchfurcht von unzähligen Lichtkegeln, geleitet von den Bernsteinketten der Straßenbeleuchtung. In den Berghängen flackert sie dünn durch die Bäume und hält die hell erleuchteten Villen beieinander. Er hat Herrn Wetterer nicht kommen gehört, der einfach wieder neben ihm steht.

      „Sie haben dann recht schnell aufgehört mit Ihrer Firma.“

      „Da kam viel zusammen. Vor allem hatte ich Mühe mit der Logistik. Ich kannte nur wenige unserer Auftraggeber persönlich und in diesem Geschäft macht man Fehler nur einmal, dann fahren andere. Meine Frau kannte sie alle. Ich erinnere mich im Nachhinein nicht, dass sie auch nur einmal irgendwas falsch gemacht hat. Ich wollte es nicht so weit kommen lassen, bis alle Rücklagen aufgefressen sind, konnte mir nicht vorstellen, dass eine Insolvenz Spaß macht. Jetzt bin ich Rentner. Es ging schnell, Nico und Klaus haben ihre Autos gleich in ihre neuen Firmen mitgenommen. Kann ich sie noch mal sehen?“

      Diese Frage platzt in Fritz Hämmerles Überlegungen, wie er das Gespräch, das ja eigentlich eine Vernehmung sein sollte, wieder auf Frau Kämpf bringen könnte. Wieso hat er sie hierhergeholt? Er will sie sehen. Warum eigentlich nicht, vielleicht ist es besser, das Gespräch nach der Identifizierung, die eigentlich nicht nötig ist, im Präsidium fortzusetzen.

      „Das kann ich nicht allein entscheiden, Sie sollten sich zur Verfügung halten, bleiben Sie in der Stadt. Geben Sie mir Ihre Telefonnummern und Ich rufe sie morgen an. Wir reden im Präsidium weiter.“

      Herr Wetterer schreibt neben seinem Telefon zwei Nummern auf einen Zettel und reicht ihm die Notiz.

      Fritz Hämmerle notiert ihm seine. „Sie können mich jederzeit anrufen.“

      „Okay, wissen Sie“, fragt Herr Wetterer, „wann Kitty zurückkommt?“

      „Nein, aber die Tür ist versiegelt.“

      „Es ist ihre Wohnung, wo soll sie hin? Ich könnte einen Zettel an die Tür kleben.“

      „Sie haben von Kitty keine Telefonnummer?“

      „Leider nicht.“

      „Also machen Sie das und rufen Sie mich an, wenn sie zurück ist.“

      Sie geben sich an der Tür die Hand, die andere steckt er ein und bemerkt in der Jackentasche das Aufnahmegerät. Ach ja, Frau Le sollte ich mir wenigstens heute noch anhören.

      Eine Treppe tiefer läutet er bei Rainer. Er ist wieder zu Hause und seine Freundin steht im Mantel im Flur und will gehen.

      Rainer habe, da sie erst nach Mitternacht von der Arbeit gekommen sei, seine Freundin nicht einmal gehört.

      Sie sei Kellnerin in der Schönen Aussicht und müsse jetzt los, sagt sie. Eigentlich habe sie heute frei, aber die Kollegin, die sonst die Abendschicht mache, könne nicht.

      Er begleitet sie hinunter. Als beide das Haus verlassen, sagt sie: „Ich gehe meistens zu Fuß hinterm Haus die Treppe hoch.“

      „Sind Sie heute Nacht auch diesen Weg gelaufen?“

      „Ja.“

      „So ganz allein diese Treppe herunter mitten in der Nacht, haben Sie keine Angst?“

      „Ist nicht so ’ne Gegend, wo man Angst haben müsste, ist auch gut beleuchtet.“

      Sie gehen den Weg zurück, den Fritz Hämmerle zuvor durchs Gebüsch nach unten gelaufen war. Hinterm Haus an dieser Treppe, die sie durch die Steinmauer eben den Hang hinaufsteigen will, fragt er: „Haben Sie heute Nacht jemanden gesehen?“

      „Gesehen hab ich niemanden, nur ein Auto stand direkt vor dem Eingang.“

      Er lässt sie nicht weiter. „Welche Marke?“

      „Ich kenn mich nicht aus. War ziemlich flach, hatte so ein massiges Hinterteil … An die runden Rücklichter erinnere ich mich, drei auf jeder Seite, und blau war er.“

      „Das Kennzeichen, können Sie sich an das Nummernschild erinnern?“

      „Hab ich nicht drauf geachtet. Herr Kommissar, ich muss jetzt aber wirklich los. Morgen Mittag hab ich dann ausgeschlafen.“

      Und ohne eine Antwort abzuwarten, steigt sie in die Treppe hinauf, die wirklich hell beleuchtet ist.

      Wo steckt bloß der Bierdeckel?, fragt er sich. Er kramt in seinen Taschen, findet ihn und wählt.

      „Hämmerle hier, Hauptkommissar Schäffer meint, Sie würden mich zum Präsidium bringen? --- Sie wissen …? --- Fünf Minuten? --- Danke.“

      „Hat der Schäffer tatsächlich Bescheid gesagt“, murmelt er ins Dunkel, während er das Telefon wieder einsteckt.

      Flach, bulliges Heck, drei runde Rücklichter, blau: Klingt exotisch, ist nicht aussichtslos für jemanden, der sich auskennt. Wer kennt sich aus? Er jedenfalls nicht. Er müsste Scheffer fragen, aber die dürften noch alle in der Bergerstraße festhängen, sonst hätte