Er heftet einen Zettel an die versiegelte Tür und fragt, als Fritz Hämmerle bei ihm angelangt: „Ist das in Ordnung so?“
Fritz Hämmerle liest: „Geschlossen. Bewohner bitte beim Vermieter melden. Sie hat Ihre Nummer?“
„Ja.“
Fritz wendet sich zur offenen Tür. „Ich würd da gern mal reinschauen.“
„Kommen Sie.“ Sie gehen in die Garagen. Drinnen steht ein Wohnmobil am anderen. „Die gehören Leuten mit Eigentumswohnungen in der Innenstadt, alle sechsstellige Summen wert.“
„Sind die bei Ihnen eingemietet?“
„Mit Wartungsvertrag, immer einsatzbereit, stehen halt nur hier und bringen sehr wenig Publikumsverkehr. Das letzte hinten hat dieses Jahr noch keine Sonne gesehen.“
„Und Sie haben einen Zugang vom Haus?“
„Ja, hier hinunter in die Parterrewohnung, die ist meine Hausmeisterwerkstatt.“
Draußen hält ein Auto.
„Ich muss jetzt los, also bis morgen.“
Die Kollegen von der Streife sind nicht sehr gesprächig. Hängt wohl auch mit der Bergerstraße zusammen, wer weiß, wie lange die schon am Stück im Einsatz sind. Er nimmt das Diktiergerät aus der Tasche. Das Headset seines Handys passt. Er bemerkt den Blick des Fahrers im Rückspiegel. Der denkt sicher, er zieht sich jetzt Songs rein.
Frau Le hat nichts zu erzählen, was er nicht schon wusste.
Am Haupteingang bedankt er sich fürs Abholen.
Die K30 ist noch immer wie ausgestorben, aber Frau Micha ist noch da und mustert ihn. „Kaffee?“
Jetzt merkt er, dass er den ganzen Tag noch nichts gegessen hat, und will eigentlich nach Hause. „Vielen Dank, aber ich bräuchte eigentlich meinen Chef.“
„Den werden Sie in der Bergerstraße nicht mal ans Telefon bekommen.“
„Ich sollte dringend einen Fachmann für Autos sprechen.“
„Den finden Sie unten neben der Spurensicherung. Herrn Haberland haben Sie ja schon kennengelernt, oder?“ Frau Micha hat schon das Telefon in der Hand. „Kate, ist dein Chef da? --- Ich schick dir den Neuen runter.“ Sie legt auf. „Den Weg kennen Sie ja.“
Er geht in sein Zimmer, legt das Diktiergerät auf den Bierdeckel, findet schließlich seinen Autoschlüssel in der sonst noch völlig leeren Schreibtischschublade, hängt sich die Tasche über die Schulter und fährt ins Untergeschoß zu Maik Haberland.
„Herr Hämmerle, hier ist die Liste ihrer Gesprächsverbindungen.“
Es liegt ein Handy auf dem Tisch.
„Ist das Rita Kämpfs Handy?“
„Ja, nach dem vierten Klingeln schaltet sich der Anrufbeantworter ein. Es sind mehrere Buchungsanfragen eingegangen. Sie bekommen einen Abzug.“
„Eine Bewohnerin des Hauses hat mir einen PKW beschrieben, der um zwei Uhr nachts vor dem Eingang gesehen wurde.“
„Das macht Richard Gerber, KFZ-Labor. Er ist sicher auch noch da.“ Er wählt eine Kurzwahl. „Dauert oft eine Weile, bis er rangeht. --- Hallo, Richard, bist du noch drüben? --- Ich schick dir Kommissar Hämmerle, ist neu in der K30. --- Ja, seit heute.“
Er zeigt ihm den Weg. „Durch die Garage und dann die nächste Stahltür.“
Hier unten herrscht noch geschäftiges Treiben, auch Haberlands Leute, die er am Tatort kurz gesehen hat, bemerkt er durch eine offene Tür bei der Arbeit. Die Garage ist nicht mehr so leer wie am Morgen, der Leichenwagen steht ebenfalls wieder an seinem Platz.
Der Mann in der schwarzen Kombi begrüßt ihn lächelnd durch seinen kurz gehaltenen schwarzen Vollbart. Das lange Haar ist im Nacken zusammengebunden, zweifelsohne ein Unikat bei der Polizei. Er bietet ihm in seinem engen Büro einen Stuhl an.
Nachdenklich schreibt er die kurze Beschreibung auf und murmelt sie leise in seinen Bart: „Flach, bulliges Heck, drei runde Rücklichter, blau. Fällt mir auf Anhieb nichts ein, aber da geht was. Nur von den Typen, die sich auskennen, habe ich keine Nummern.“
„Es ist die einzige wirkliche Spur.“
„Gut, ich fahre jetzt. Wie kann ich Sie erreichen?“
Fritz Hämmerle ruft seine Nummer auf dem Handy auf.
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Die Bahn hielt an der Endhaltestelle und er blieb sitzen. Wenn sie durch die Wendeschleife kreischte, war es im Wagen weniger laut. Er mochte es nicht, wenn das beißende Geräusch unbändig durch den Wald jagte, stieg nach der Schleife aus und hörte nur das Sirren des Autobahnzubringers.
Eine Viertelstunde hatte er bis nach Hause zu laufen - zu Hause. Die Beine gingen nicht mehr so leicht und heute tat er es mit dem Laub ab, welches nass und schwer vom Regen an den Füßen klebte. Vielleicht ist Lilly ja noch nicht da. Was hat sich da eingeschlichen zwischen uns? Dazwischen? Nein, das trifft es nicht, wieso dazwischen, wenn es innen rumort? Vielleicht fühlt es sich eher an wie Schimmel im Bauch, der sich schleichend nach oben ausbreitet. Wenn sich dort nun der graue Filz festsetzt …
Andererseits gab es da den letzten Sonntagabend, sie waren zusammen gewesen und hatten schließlich erschöpft nebeneinander gelegen. Das ist es doch. Was hast du eigentlich?, sagte er sich und ihm war, als läge sie noch bei ihm.
Er legte einen Schritt zu und jedes Mal nach dem Marsch durch den dunklen Wald musste er blinzeln, wenn die Straßenlaterne vor ihrem Haus ihm ins Gesicht schien. Sie leuchtete auch auf das Auto in der Einfahrt. Wie immer würde der Schlüssel stecken, wie immer würde er es in die Garage fahren und dann ins Haus gehen. Die Hand, die sich zur Haustür hob, war auch schon mal leichter.
Lilly stand an der Garderobe mit Daniels Jacke, die er vielleicht irgendwo hatte fallen lassen. Der Begrüßungskuss war Standard – schon traurig, wenn einem dafür so ein Wort wie Standard in den Sinn kam. Immerhin gab es ihn noch.
„Willst du essen? Ich wollt gerade abräumen.“
„Ja, ich hab heute noch nichts im Bauch.“
„Heut früh hattest du’s aber nicht eilig.“
„Man weiß halt nie, was kommt.“
Daniel kam auch an den Tisch. Was war es heute, Mathe oder Taschengeld? Er freute sich trotzdem, wenn er kam. Die Zeiten, als Dani noch klein war, gerne in seiner Nähe war und sie zusammen viel unternommen hatten, waren halt vorbei. Er hoffte auf Mathe, da ging echt noch was.
Es war Mathe!
„Soll ich zu dir nach oben kommen?“
„Okay.“
Lilly sah schlecht aus, nein, nicht wirklich schlecht, so konnte man das nicht sagen, im Gegenteil. Sie hatte eben Augenringe. Wenn er sie so sah, war es wohl eher ein Fehler gewesen, als sie vor drei Jahren die Praxis übernommen hatte.
„Läuft’s nicht rund?“, fragte er.
„Sandras Junge ist krank, wir haben nicht alle Behandlungstermine abfangen können.“
„Wenn ihr so viel zu tun habt, stell doch noch jemanden ein. Du kannst auf die Dauer nicht massieren für mehr als eine volle Stelle und alles drum herum auch noch regeln.“
„Weiß ich doch und ich suche auch nicht erst seit gestern. Es gibt auch schon jemanden, einen ehemaligen Leistungssportler, umgeschult, die Ärzte haben ihm nach einer Verletzung geraten aufzuhören. Er war im Sommer schon zwei Wochen da, konnte allerdings nicht gleich bleiben. Aber nächste Woche fängt er richtig an. Eine Drohne in unserem Bienenschwarm ist ganz was Neues.“
Als sie nach dem Umzug in dieser physiotherapeutischen Praxis neben der Klinik für Sportmedizin angestellt war, hatte er sich diese durchtrainierten