Hämmerle. Jochen Rinner. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jochen Rinner
Издательство: Readbox publishing GmbH
Серия:
Жанр произведения: Контркультура
Год издания: 0
isbn: 9783347069022
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aus dem Augenwinkel im Spiegel sah. Durchtrainiert war diese Gestalt im Spiegel bestimmt nicht. Hämmerle, und warum fällt dir das ein, wenn deine Frau gerade sagt, dass sie demnächst einen Leistungssportler im Team haben?

      „Es gibt Lachsscheiben, isst du doch so gern.“

      „Die können bis morgen warten.“

      Auf dem Weg in die Küche vibrierte sein Telefon. Es war Maik. Er fragte, ob er ihn morgen früh zu Hause abholen solle, sie müssten sowieso fast bei ihm vorbei und sie wären ja nur zu zweit. An sein Postfach käme er auch von zu Hause aus ran, falls der Doc etwas schicken sollte, und für ihn sei das natürlich in Ordnung.

      „Mike holt mich morgen früh ab. Wir fahren hier auf die Autobahn.“

      „Wann kommt er?“

      „Hat er nicht gesagt, kann schon sein, dass er uns vom Frühstück aufscheucht, kennst ihn ja.“

      „Er kriegt einen Kaffee.“

      „So wird’s nicht laufen.“

      „Ihr steckt wohl wieder mal mitten im Geschäft?“

      „Dani wartet, ich muss jetzt hoch.“

      „Geh nur, ich wasch noch schnell ab.“

      Später hörte er sie nebenan in ihr Büro gehen, das vorher das Gästezimmer gewesen war.

      Als sie fertig waren, stand er auf und sagte zu Daniel: „Geh nicht so spät schlafen“, sah aber beim Türschließen aus dem Augenwinkel, wie er sich die Kopfhörer über die Ohren zog.

      Er ging gleich durch die Nebentür. „Warum überlässt du das nicht deinem Steuerbüro?“

      „Weil ich sonst die Übersicht verliere, und die machen das auch nicht nur aus purer Freundlichkeit. Vielleicht wenn die Kredite für die neuen Geräte abbezahlt sind.“

      Er hatte schon so eine Art schlechtes Gewissen, ihr meistens bloß mit Ratschlägen zu kommen, statt ihr zu helfen. Beim einzigen Versuch war er allerdings mit der Diagnose: Nicht geeignet, weggeschickt worden.

      Und dieses sogenannte schlechte Gewissen, das er da hatte, war verdächtig nicht der reine Ausbund von Selbstlosigkeit. Er war ein wenig gekränkt oder fast ein bisschen beleidigt, weil sie nach so einem langen Tag eher völlig erschöpft ins Bett sank. Oder flüchtete sie sich in die Arbeit?

      „Wie lange hast du noch zu tun?“

      „Weiß nicht.“

      Er ging hinunter und zappte durch die Sender, war aber in Gedanken mit Maik und Wachtmeister Süß, der wohl mitkommen würde, oberhalb der Wand und kraxelte herum, bis er sich kurzerhand ins Schlafzimmer an den PC verzog. Nein, der Doc hatte nichts geschrieben. Er würde morgen früh noch einmal nachsehen. Wer weiß, wie lange der heute noch in seinem Verlies zubringt …

      Der Handywecker holte ihn ungehalten lautstark aus dem Schlaf, es dauerte viel zu lange, bis er missmutig die Taste traf und endlich Ruhe war. Er hatte fest geschlafen und war von den anschwellenden Tönen nicht gleich aufgewacht.

      Lilly ging schon Daniel wecken, dem man die Bettdecke wegziehen muss, weil er sonst nicht aufwachte. Der PC dümpelte im Ruhezustand dahin und zeigte eine Nachricht von ein Uhr dreißig vom Doc: Fünfundsechzig Jahre ist er alt geworden.

      Er ging in die Küche, schaltete die Kaffeemaschine ein und deckte den Tisch. Lilly sah er um den Türpfosten schleichen, sie hatte wohl zu lange in ihrem Büro zugebracht oder schlecht geschlafen oder beides. Sie ging geradewegs zur Kaffeemaschine und drehte die Kaffeestärke hoch.

      Die Türglocke schrillte barbarisch aggressiv und fuhr ihnen bis in die Glieder. Jetzt waren sie wirklich munter.

      Lilly fuhr erschrocken herum. „Der soll’s mal nicht übertreiben! Jetzt kommt er um den Kaffee nicht herum.“ Sie ging zur Tür.

      Bei ihr traute sich Maik nicht zu widersprechen. Er langte dann sogar in den Brötchenkorb und schwieg eher. Das wunderte Fritz Hämmerle und er tat es damit ab, dass er sich auch nicht vorstellen konnte, was sie dort oben nun wirklich wollten. Wie sollten sie dort noch mehr finden nach vier Wochen und Unmengen von Laub alles begruben, ist doch skurril, und wenn er an die Wand dachte, wurde ihm sowieso schon mulmig.

      „Hätte ich fast vergessen, Grüße von meiner Frau“, das war für Lilly.

      „Wie geht‘s ihrem Fuß?“

      „Ist wieder okay.“

      „Sie hat noch zwei Behandlungen offen, kann ich mich erinnern.“

      „Ja, hat sie gesagt.“

      „Sie hat bei uns in der Praxis angerufen. Eins eurer Kinder wäre krank geworden?“

      „Ja, unsere Kleine. Ein Darminfekt, sie war fast vierzehn Tage nicht in der Schule.“

      „Sag ihr ebenfalls Grüße. Sie kann trotzdem noch kommen, das Rezept ist noch gültig. Oder ich ruf sie einfach an.“

      Sie wollte ihr ab und zu etwas Gutes tun mit ihren vier Kindern und einem Mann, mit dem man bei diesem Job nicht wirklich rechnen konnte. Auch wenn sie sich dann den verspannten Rücken vornahm und nicht den Fuß.

      „Wo bleibt eigentlich Dani? Ist er wieder …?“

      Die Holzstufen knarrten und er kam. „Morgen“, knurrte er in seinen flaumigen Bartansatz und ließ sich auf den Stuhl fallen, wohl hoffend, am nahenden Wochenende wieder richtig ausschlafen zu können, mindestens bis Mittag. „Hallo, Maik, hat Oli erzählt, wir wollen heute nach der Schule auf die Mountainbike-Strecke? Wieso sitzt du hier eigentlich mitten in der Nacht?“

      Die Sorgen von Fritz und Lilly wegen Daniel waren groß, als er noch in die Grundschule ging und sich lieber in sein Zimmer verkrochen hatte. Nach dem Schulwechsel zur fünften Klasse war das anders geworden. Er musste dadurch zwar weit fahren, aber er fand Anschluss: Oliver, Maik Haberlands Ältester, wurde sein bester Freund, der aus der entgegengesetzten Richtung ebenso lange aus dem eingemeindeten Dorf zur Schule unterwegs war und die Parallelklasse besuchte. Aber dass er sich mit Olivers Vater duzte, hatten sie noch nicht mitbekommen. Na ja, er war ja auch oft dort.

      „Oli hat gestern Abend noch an seinem Rad rumgeschraubt und hat’s erzählt. Vergesst die Helme nicht. Fritz, hast du denen in Eschenweiler gesagt, wann wir kommen?“

      „Nein, wir rufen von unterwegs an.“

      Sie standen beide auf, einfach so. Daniel erschrak fast ein wenig. Sie entschuldigten sich wegen der Küchenarbeit, die sie den beiden überließen, und waren schon zur Tür raus.

      Die Luft war lau, so gar nicht typisch für die Jahreszeit. Fritz Hämmerle nahm seine Mütze ab und lies sich den Wind durchs Haar streifen. Zu gern wäre er nicht ins Auto gestiegen.

      Maik saß am Steuer und startete den Motor. Er schob sich auf den Beifahrersitz, die Tür fiel ins Schloss und er wusste, das war das letzte laute Geräusch die nächste Zeit. Maik fuhr nicht schnell und wechselte auf der Autobahn höchstens wegen eines LKWs die Spur. Er fuhr wie auf Autopilot, wohl in Gedanken schon über der Wand in den Seilen hängend, die Hämmerle beim Einsteigen auf den Rücksitzen liegen gesehen hatte.

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      Richard Gerber schießt mit seiner Flunder, die sicher nicht sein Dienstwagen ist, aus der Tiefgarage. Wer weiß, wo er hinwill. Der Anruf wird nicht allzu lange auf sich warten lassen.

      Fritz selbst fühlt sich wie ausgehöhlt. Nicht zu glauben, es ist sein erster Tag und er hat nicht mal mit seinem Chef geredet. Er geht zurück zu Maik Haberland, der die Handschellen untersucht und nicht aufsieht, aber ihn bemerkt hat und, ohne den Blick von seiner Arbeit zu heben, sagt: „Wir sind noch nicht durch. Die Pathologie ist auf der anderen Seite, einfach gerade aus.“

      „Jetzt noch nicht, der Chef wird morgen hoffentlich wieder da sein.“

      „Vielleicht, die Bergerstraße ist ein dickes Ding“, entgegnet Maik Haberland und nimmt sich die nächste Tüte aus