Absender Ost-Berlin. Thomas Pohl. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Thomas Pohl
Издательство: Readbox publishing GmbH
Серия:
Жанр произведения: Контркультура
Год издания: 0
isbn: 9783347069398
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und sagte damit Dinge wie: „Es ist wunderschön mit dir.“ „Lass uns ewig zusammen sein.“ „Ich gehöre dir.“

      Michael fühlte sich durchdrungen von ihrem Blick. Zugleich schämte er sich für seine Unoffenheit.

      „Übrigens, es hat jemand was für dich abgegeben.“

      Michael horchte auf.

      „Wie?“

      Anna kaute noch und sprach trotzdem:

      „Keine Ahnung. So´n Umschlag. Hab` ich auf deinen Schreibtisch gelegt.“

      „Wer hat ihn abgegeben?“

      „Weiß ich nicht. Lag auf der Türschwelle. Du hattest ja die Tür hinter dir sperrangelweit offengelassen.“

      „Ich …“ Michael versuchte sich zu erinnern. „Ich hab` die Haustür hinter mir offen gelassen?“

      „Ja. Mann, hab` ich einen Hunger.“

      Anna biss erneut in ihr Brötchen. Michael reckte seinen Kopf in Richtung seines Arbeitszimmers. Sein Pulsschlag wurde schneller. Durch die offene Tür konnte er den Umschlag auf dem Schreibtisch sehen. Der Einband verriet Michael sofort, um was es sich handelte. Hatte er — hatten sie das Schema geändert? Warum nicht mehr in den Briefkasten? Hoffentlich würden sie — würde er — Anna da nicht mit reinziehen.

      „Hast du … ich meine … weißt du, was drinnen ist?“

      „Nein! Was denkst du von mir. Schau doch selbst nach.“

      Michael griff ebenfalls nach einem Brötchen.

      „Das ist bestimmt von einem Kommilitonen von der Uni. Ich schau später rein.“

      Anna setzte die Kaffeetasse zum Trinken an. Ihr Augenaufschlag verströmte etwas Versöhnliches. Sie legte ihre Hand auf sein Knie. Michael beruhigte sich. Die Wärme ihrer Hand durchströmte ihn bis in seine Lenden. Als wäre sich Anna der Wirkung ihrer Körperwärme bewusst, ließ sie ihre Hand weiter nach oben wandern.

      „Keine Unterhose?

      Michaels Entspannung zauberte ein Lächeln auf seine Lippen.

      „Wozu?“

      Das einladende Vorbeugen ihres Oberkörpers führte ihn dicht an ihren Mund. Annas Hand griff fester zu. Die andere knöpfte seine Hose auf, während Michael ihr langsam das T-Shirt hochzog. Für den kurzen Moment des Ausziehens unterbrachen sie ihren Kuss. Bis sich beide wieder mit ihren Mündern verschmolzen. Ihren blanken Hintern umfassend hob Michael Anna hoch und trug sie eng umschlungen in Richtung des Bettes.

       11. Transitautobahn

      Die westdeutschen Grenzbeamten standen gelangweilt vor ihrem hell erleuchteten Grenzhäuschen. Sie versprühten einen Hauch von Unbekümmertheit, Vertrauen, vielleicht sogar etwas Familiäres. Michael liebte dieses Zeitfenster kurz nach Sonnenuntergang, die blaue Stunde. Der Zeitpunkt für ihre Abreise war von ihm nicht zufällig gewählt. Er hatte den Wagen rund um die Siegessäule gesteuert, die bereits golden glänzte. Michael beobachtete Annas leuchtende Augen entlang der Straße des 17. Juni, dem Geburtstagsdatum seines Vaters. Unter der S-Bahn-Brücke hindurch, vorbei an ihrer beider Universität, die nunmehr nicht mehr die seine war. Michael steuerte den alten VW-Käfer auf die Stadtautobahn in Richtung Funkturm. Er schien ihnen den Weg zu leuchten, in Richtung des Grenzüberganges, der dem jungen Liebespaar den Weg in den Westen freigab.

      „Er grüßt uns!“ Anna deutete auf den winkenden westdeutschen Beamten. Ihr Ausruf klang so überrascht wie ungläubig.

      „Warum nicht?“ Michael konnte sich ein Lachen nicht verkneifen.

      „Oder sollten sie Angst haben, dass wir nicht zurückkehren? Republikflucht in den Osten?“

      Anna schwieg und begann Michael den Nacken zu kraulen. Die kleine bronzene Statur des Berliner Bären zwischen den Fahrbahnen huschte an ihnen vorbei.

      „Gleich beginnt das Rumpeln. Achtung! Drei, Zwei, Eins.“ Exakt auf seine Ankündigung hin, änderte sich der Fahrbahnbelag von der glatten Asphaltdecke zu den aneinander gesetzten fünf Meter langen Platten der ostdeutschen Transitautobahn. Die groben Fugen des Betons erzeugten während der Fahrt den galoppierenden Rhythmus, der den gesamten Innenraum des Autos durchflutete.

      „Ich liebe diesen Sound. Er erinnert mich an früher, an unsere Besuche in der DDR.“

      „Wart ihr oft im Osten?“

      „Bestimmt drei bis viermal im Jahr. Einmal bin ich sogar alleine gefahren.“

      Anna schaute ungläubig zu Michael hinüber. „Wie? Als Kind?“

      „Ja als Kind. Ich war fünf.“

      Und dann begann er zu erzählen:

      Ich wusste nicht, ob das Kopfschütteln der Frau gegenüber mir immer noch von ihrem Unverständnis oder dem Rütteln des Zuges herrührte. Sie hatte mich so eigenartig ins Visier genommen. Schien so gar nicht zu verstehen, was hier gerade vor sich ging:

      „Wie alt bist du?“

      „Fünf“, sagte ich. Ich spürte trotz meines zarten Alters, dass hier gerade zwei Welten aufeinanderprallten. Und doch war ich von dieser Frau gegenüber eigenartig unbeeindruckt.

      „Und dein Vater holt dich dann am Bahnsteig in Frankfurt ab?“ fragte sie. Ungläubig.

      „Ja. Hab` ich doch schon gesagt. Es sind doch nur fünf Stationen.“ Abermals schüttelte sie ihren Kopf so eigenartig. Nur diesmal lag die Ursache eindeutig nicht am Rütteln des Zuges. Den Blick von ihr abwendend schaute ich interessiert aus dem Fenster. Ich kannte die vorbeiziehenden Häuser. Die Umgebung schien mir so viel vertrauter als diese merkwürdige Frau.

      „Außerdem übe ich nur.“

      Mir war in diesem Moment klar, dass ich diesen Satz besser nicht gesagt hätte. Denn das würde die kopfschüttelnde Frau wirklich nie verstehen.

      „Wie? Was übst du?“

      Ich hatte schon geahnt, dass sie das fragen würde. Eigentlich war ich dieser fremden Person keine Rechenschaft schuldig. Warum stellte sie mir überhaupt so viele Fragen? Konnte sie mich nicht einfach alleine Zug fahren lassen? Und doch spürte ich bereits trotz meiner wenigen Jahre die Brisanz dessen, was ich gerade tat und bald tun würde. Ich haderte kurz, blickte der Frau tief in die Augen und sagte es dann doch: „Ich übe das Zugfahren, damit ich in zwei Monaten alleine in die DDR fahren kann. Aber dann bin ich ja fast schon sechs.“

      Es wirkte, als würden der Frau die Augen aus dem Kopf fallen. Sie zupfte nervös an ihren Jackenärmeln. Irgendetwas schien ihr die Sprache verschlagen zu haben. Zumindest stellte sie jetzt erst einmal keine weiteren doofen Fragen. Ihr Weltbild schien bis in die tiefsten Grundfesten erschüttert. Wahrscheinlich war sie selbst noch nie in der DDR gewesen. In diesem anderen Teil des Landes, wo die Menschen nichts zu essen hatten. Und froren. Wo man nicht laut reden durfte. Die Ostzone. Aber ich wusste es besser. Für mich war es einfach nur das andere Deutschland.

      Inzwischen hatte sich die Dame gegenüber mit einem weiteren Fahrgast solidarisiert und tuschelte, unverblümt auf mich schauend, mit ihm über die Situation. Ich schaute aus dem Fenster und beobachtete so unauffällig wie möglich den Dialog der beiden. Es war mir unangenehm, dass man über mich sprach. Ich wollte einfach nur Zugfahren. Aber diese Erwachsenen schienen irgendetwas dagegen zu haben. Inzwischen waren sie schon zu dritt und redeten untereinander ohne die Blicke von mir zu wenden. Der dritte war ein Mann, der zwar etwas ruhiger schien, aber mich offensichtlich auch nicht in Ruhe lassen wollte: „Sag` mal — die Frau hat mir gerade erzählt, dass du hier das Zugfahren übst, damit du bald alleine in die DDR reist? Stimmt das?“

      „Ja, nach Eisenach.“

      Meine präzise Antwort machte den Mann wenigstens für kurze Zeit mundtot. Zumindest redete er nicht mehr auf mich ein, sondern flüsterte mit den beiden anderen Damen. Nach einiger Zeit und unverständlichem Getuschel wandte sich die erste Frau wieder an mich: „Hör zu.