Die Sprache der Blumen. Sven Haupt. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Sven Haupt
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783947721450
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Affe zuckte mit den Schultern.

      „Was weiß ich. Ich bin ihm niemals gefolgt, um das herauszufinden.“

      „Aber ich bin doch gar nicht tot!“, rief Lilian.

      „Du bist schwer verletzt. Der Schwarm wartet nicht immer, bis etwas seine Funktion aufgegeben hat. Manchmal reicht es, hilflos oder einfach im Weg zu sein.“

      „Heißt das, der Schwarm hätte mich getötet?“

      George schüttelte den Kopf, ohne seinen forschenden Blick von der Tiefe abzuwenden.

      „Natürlich nicht, das wäre absurd. Nein, du wärst erstickt. Wie du dir sicher vorstellen kannst, ist es ungesund, unter Millionen von schwarzen Grasbällen begraben zu sein. Danach hätten sie Grund genug, dich einzusammeln.“

      Lilian starrte den Affen mit aufgerissenen Augen an.

      George sah kurz auf und bemerkte ihren Blick.

      „Es ist wirklich keine Bösartigkeit“, erklärte er hastig. „Er ist nur …“ Er rang nach Worten. „Nicht sehr weise implementiert.“

      „Korrupter Code?“, fragte Lilian tonlos.

      „Genau“, bestätigte er nickend.

      Beide schwiegen eine Weile, bis George schließlich begann, nervös hin und her zu rutschen.

      „Ich schaue mal, ob ich etwas zu essen finden kann, während wir warten, dass der Schwarm uns passiert. Der Aufstieg war doch ein wenig anstrengender als gedacht.“

      „Wie lange kann das noch dauern?“, fragte Lilian leise.

      „Schwer zu sagen, aber vor Sonnenuntergang sollten wir schon wieder an der Höhle sein.“

      Lilian hörte, wie der Affe sich leise raschelnd an den Ästen hinabließ und dann zügig entfernte. Sie hatte keine Zweifel, dass er finden würde, was er suchte. Er schien ein ausgesprochenes Talent dafür zu haben, überall etwas Essbares aufzutreiben.

      Sie wollte sich umsehen, doch der Rand des Nestes war zu hoch, um etwas von ihrer Umgebung erkennen zu können. Mit zusammengebissenen Zähnen drehte Lilian sich vorsichtig seitwärts auf ihr gesundes Bein. Von dort zog sie sich langsam an der Nestkante empor, bis sie gerade eben über den Rand spähen konnte.

      Ein Blick reichte, um zu verstehen, warum die Erbauer des Nestes diesen Ort gewählt hatten. Die große Astgabel ragte ein gutes Stück über das umliegende Blätterdach hinaus und erlaubte einen ungehinderten Blick zum Zentrum des Waldes. Von hier oben präsentierte sich die Welt als weitgespannte Kuppel aus endlosem Grün, welche soweit reichte, wie ihr Auge sehen konnte. In ihrer Mitte, den Wald deutlich überragend, erhob sich eine große, geschlossene weiße Blüte, hoch über die Krone des Baumes. Die höchste Spitze des gewaltigen Stammes im Zentrum des Waldes.

      Lilian beobachtete, wie ein Schwarm aus gelben Ballonwesen aus dem Blätterdach emporschwebte und in langer Formation langsam in einer ansteigenden Spirale die geschlossene Blüte umkreiste. Sie folgte den Wesen noch lange fasziniert mit den Augen, bis sie schließlich in der Ferne mit den dünnen, weißen Wolkenbändern verschmolzen, die den Horizont entlangliefen. Sie fühlte Entspannung in sich aufsteigen. Eine ferne, wehmütige Erinnerung aus der Tiefe ihres vernebelten Bewusstseins, die ihr erzählte, wie befreiend der Anblick des Horizontes sein konnte.

      Lange kniete sie so, unbeweglich an den Rand des Nestes geklammert, bis sie die Geräusche des sich leise nähernden Affen im Blattwerk bemerkte und kurz darauf seine Stimme hinter sich hörte.

      „Hunger?“, fragte er kauend.

      Lilian ließ sich vorsichtig zurück in die Kissen rutschen, schob ächzend ein dickes Kissen unter ihr geschwollenes Bein und nahm die Banane entgegen, die George ihr wortlos reichte.

      „Danke“, erwiderte sie und sah die Frucht nachdenklich an. Sie blickte zu dem Affen auf, der bereits wieder auf dem Rand des Nestes hockte und eine weitere Frucht schälte.

      „Es ist“, begann sie, „nicht ganz einfach, etwas über diesen bizarren Ort zu lernen, weißt du? Es hat den Anschein, als würden die Wesen hier ihr Möglichstes tun, um keine Sprache zu sprechen, die irgendjemand verstehen kann.“ George schwieg. „Ich hatte heute“, fuhr Lilian fort, „eine etwas merkwürdige Begegnung mit einem sprechenden Bäumchen unter einem Astpfad. Er wurzelt dort kopfüber und ist äußerst gesprächig. Es ist kein unfreundlicher Baum, was ihm auch schwerfallen würde, da nichts von dem, was er sagte, irgendeinen Sinn ergab.“

      George hielt beim Kauen inne und sah aus, als würde er nachdenken.

      „Schmaler, kahler Nadelbaum? Quatscht hohl durch ein Loch im Stamm. Hektisch wedelnde Arme?“

      Lilian nickte.

      George schnaufte.

      „Ich nenne ihn Quasselfichte. Hab’ nie etwas Sinnvolles aus dem herausbekommen.“

      „Lass mich raten“, warf Lilian ein. „Korrupter Code?“

      „Oh, ja“, bestätigte George. „Korrupter geht es kaum. Keine Ahnung, welchen Sinn die Dinger mal erfüllen sollten, aber jetzt meidet man sie besser, wenn man nicht stundenlang vollgesabbelt werden will. Sind sehr anhänglich.“

      Lilian sah den Affen weiter an.

      „Er erwähnte das Böse, welches in diesem Wald umgeht. Was meinte er damit?“

      George inspizierte seine Banane.

      „Solange ich hier lebe, bin ich niemals etwas Bösem begegnet, soviel ist sicher.“

      „Er erwähnte“, fuhr Lilian fort, „dass das Böse sich versteckt hält, wo wir es nicht sehen können, dass es aber weiterhin unter uns ist.“

      „Wie gesagt“, erklärte George, „schwachsinniges Gefasel von korruptem Code. Geschöpfe des Weltenbaumes neigen zu paranoiden Halluzinationen, wenn sie zu lange leben. Ist nicht gut für die Logikkreise.“

      Lilian legte den Kopf zurück.

      „Man kann von hier aus sogar die Blüte sehen und dahinter den Horizont. George, wie weit muss man laufen, um den Wald zu verlassen?“

      George ließ die Banane sinken.

      „Solange ich hier lebe“, erklärte er ruhig, „habe ich den Wald noch nie verlassen.“

      „Hat dich nie interessiert, wie die Welt jenseits davon aussieht?“

      Der Affe schnaubte.

      „Wenn man die Natur einer Sache verstanden hat, dann werden die Dinge berechenbar - und langweilig. Heute wird sein wie gestern und übermorgen und weiter hinaus ist alles wie eben. Egal wo man lebt. Am Ende ist alles immer das Gleiche. Es gibt nur den Wald. Außerdem kannst du den Baum von den oberen Astebenen aus sowieso nicht verlassen.“

      „Was ist, wenn ich zum Boden hinabsteige?“

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