Er genoss darum im Schatten seiner Soutane den besten Ruf als ein Mann von Tapferkeit in der Erfüllung seiner Pflichten. Und so lebte er wie Gott in Frankreich, absolvierte drauflos mit seiner Reliquie und wirkte Wunder auf Wunder. Er verwandelte jahraus, jahrein Weihwasser in den besten Wein, und selten wurde damals bei den Notaren von Paris ein Testament gemacht, dem nicht zu seinen Gunsten ein Et cetera angehängt war oder Kodizill, das einige auch Cadizill schreiben, um anzudeuten, dass es mit Cauda zusammenhängt und also nichts anderes sagen will als ein Schwänzchen am Testament.
Der heilige Mann hätte zuletzt Erzbischof von Paris werden können. Würde er zum Beispiel einmal gesagt haben, eine Mitra muss doch schön warm geben, schnell hätten sich gewisse Damen den Rang abgelaufen, sie ihm zu verschaffen. Aber er begnügte sich statt aller fetten Pfründen, die man ihm anbot, mit der simplen Stelle eines Chorherrn an der Notre-Dame, weil er in diesem Amt seine hübschen Beichtkinder nicht zu vernachlässigen brauchte. Nur als er mit der Zeit schwach in den Hüften und gebrechlich wurde – er hatte allmählich an die Siebzig auf dem Rücken –, erlahmte er in seiner Tätigkeit des Absolvierens und durfte die Zeit gekommen glauben, um sich auf dem süßen Bewusstsein einer langjährigen apostolischen Pflichterfüllung wie auf einem molligen Bett behaglich auszuruhen, um so mehr, als er, wie das gemeine Volk zu sagen pflegt, sein Schäfchen im trocknen hatte. Er bemühte sich jetzt nur noch für die Damen vom höchsten Rang, so zwar, dass man bei Hofe oft scherzen hörte: trotz dem Eifer so manches jungen Kaplans sei der Beichtstuhl des Alten bei Saint-Pierre am Ochsenmarkt immer noch die wirksamste Seelenbleiche für vornehme Damen.
So wurde der fromme Chorherr mit gutem Glück ein perfekter Neunziger, sein Haupt bedeckte der Winterschnee, seine Hände zitterten, aber im übrigen hielt er sich noch immer aufrecht wie ein Turm und hustete ohne Auswurf, nachdem ihm der Auswurf, ohne zu husten, so lange geläufig gewesen war.
Für gewöhnlich saß er freilich festgebannt in seinem Stuhl, er war ja genug in seinem Leben aufgestanden im Dienst der Menschheit; aber er trank, sooft er Durst hatte, und aß wie ein Drescher. Das Reden hatte er sich fast abgewöhnt, nichtsdestoweniger sah er ganz und gar aus wie ein lebendiger Chorherr zu Notre-Dame.
Weil er aber so die Unbeweglichkeit liebte, tagelang stumm blieb und trotz seines Alters die rosigste Gesundheit auf seinem Gesicht blühte, auch in Erinnerung an gewisse üble Nachreden wegen eines lasterhaften Lebens, die im unwissenden gemeinen Volk früher umgegangen waren, hatten einige schiefe Köpfe, Atheisten und ähnliches Gelichter, denen alle Heiligkeit ein Dorn im Auge ist, das ärgerliche Gerücht ausgesprengt, der wahre Chorherr sei längst tot und seine Seele dahingefahren, statt ihrer aber wohne seit länger als fünfzig Jahren der Teufel in dem dicken Leib des Pfaffen. Ein wenig hatte man ja immer von ihm sagen können, dass er den Teufel im Leibe habe, und so manche Schöne, die seine Absolution erfahren, hat es heimlich bei sich gedacht. Aber da nun offenkundig dieser Teufel, derjenige, den die schönen Beichtkinder im Sinne hatten, allmählich recht kleinlaut geworden war, hinfällig und apoplektisch wie der Chorherr selber, dass er sich auch um eine zwanzigjährige Königin nicht vom Fleck gerührt hätte, so gab es einige feine oder auch nur vernünftige Köpfe, besonders in bürgerlichen Kreisen, wo man bekanntlich das Gras wachsen hört, die nicht recht begreifen wollten, was der arme Teufel für ein Vergnügen dran finden könne, in dem faulen Gedärme des Chorherrn zu wohnen und in dessen Gestalt zur herkömmlichen Stunde nach Notre-Dame zu gehen und sich dort mit dem Rauchfass und dem Weihwasserwedel vor der Nase herumfahren zu lassen.
Auf solche ketzerischen Zweifel erwiderten einige, dass der Teufel sich vielleicht bekehren wolle, und andere, dass er darum die Gestalt des Chorherrn angenommen habe und aus dem verfallenen Haus nicht wich und wankte, um die drei Neffen und Erben des frommen Mannes zu prellen, die keinen Tag vergehen ließen, ohne nachzusehen, ob der Alte seine Augen immer noch nicht geschlossen habe; sie fanden sie aber stets offen und hell und argwöhnisch wie Basiliskenaugen, worüber sie sich natürlich sehr freuten, denn sie liebten, wenn man sie hörte, in der Welt nichts so sehr wie ihren lieben alten Oheim.
Von diesem aber erzählte ein altes Weib, dass er wahr und wahrhaftig der Teufel sein müsse. Ihre Überzeugung gründete sich auf folgenden Vorfall. Zwei dieser Neffen, der Advokat und der Hauptmann, geleiteten einmal nachts ohne Laterne oder Fackel ihren Onkel von einem Abendessen nach Hause, das der Halszuzieher ihm zu Ehren gegeben hatte, und ließen ihn, weil es dunkel war, über einen Haufen Steine hinstürzen, die man am Abend da abgeladen hatte, um dem heiligen Christoph eine Statue zu errichten. Es waren gar harte, scharfkantige Steine, und die beiden Neffen liefen mit großem Lärm und Geschrei fort, um bei der genannten Alten eine Laterne zu holen; als sie aber mit ihrer Leuchte zurückkamen, sahen sie zu ihrer höchsten Verwunderung den Onkel dastehen, fest und aufrecht wie ein Baumstamm. Er war in heiterster Laune und scherzte über den guten Wein des Advokaten und dass er doch noch feste Knochen haben müsse, wenn sie einen solchen Fall überstehen könnten, ohne aus dem Leime zu gehen, wie sie denn in seinem langen Leben Schlimmeres überstanden hätten.
Die guten Neffen hatten nicht anders geglaubt, ab ihn tot wiederzufinden. Ihre Hoffnung, den guten Onkel noch zu ihren Lebzeiten auf dem Schrägen zu sehen, wurde durch diese Erfahrung beträchtlich verringert. Sie nannten ihn also nicht mit Unrecht ihren guten Onkel, denn wahrhaftig, er war nicht von schlechtem Schrot und Korn. Böse Zungen behaupteten, jene Steine hätten dem guten Chorherrn den guten Rat ins Ohr geflüstert, in Zukunft lieber seinen eignen Wein als den seiner Neffen zu trinken.
Von alledem ist so viel sicher und gewiss, dass der alte Chorherr, ob er nun der Teufel war oder nicht, nur noch selten aus dem Hause ging und sich alles eher einfallen ließ, als zu sterben, auch dass er drei Erben hatte, die er liebte wie sein Rheuma, seine Gicht, sein Zipperlein, sein Zahnweh und ähnliche liebenswürdige Gäste an der Tafel des Lebens.
Von diesen drei Erben war der eine der wildeste Landsknecht, der je einen Mutterleib durchbrochen hat – dessen Schoß er nicht übel zugerichtet haben mochte. Denn er war schon mit Haaren auf den Zähnen zur Welt gekommen, er schmauste wie der Heide Goliath, und seine Wohnung war bei allen schlechten Weibsbildern, kurz, er war aus keinem geringeren Teig gemacht als sein Onkel selber, mit dem er nicht nur die Dauerhaftigkeit seiner Kräfte und Säfte, sondern auch ihre Anwendung gemein hatte. In der Schlacht war er stets darauf bedacht, Hiebe und Stöße auszuteilen, aber selber keine zu bekommen, was ja doch das A und O aller Kriegskunst ist.
Er scheute jedoch keine Gefahr, und wenn er auch keine andere Tugend hatte, die Tapferkeit konnte ihm niemand absprechen. Er war der Hauptmann von einem Fähnlein Landsknechte und sehr beliebt bei dem Herzog Johann von Burgund, der sich den Teufel drum kümmerte, was seine Soldaten alias trieben. Dieser Neffe des Teufels hieß mit Namen Cochegrue oder Schweinsleder; aber seine Gläubiger, als da waren Lombarden, Juden, Mastbürger und andre; denen er gelegentlich die Taschen erleichterte, nannten ihn den ›Hundsaffen‹, weil er ebenso schlau als fürchterlich sein konnte. Er war außerdem etwas bucklig, und wehe dem, der dergleichen tat, diese Verunstaltung zu bemerken.
Der zweite Neffe hatte darauf studiert, wie man Unrecht in Recht verdreht und umgekehrt. Er hatte durch die Protektion seines Onkels eine Advokatenstelle am Oberhofgericht erhalten und machte den Rechtsbeistand all der Damen, deren Seelenbeistand ehemals der Chorherr gewesen war. Er hieß allgemein ›der Sauluder‹ in Anspielung auf seinen wahren Namen, denn der lautete Schweinsleder wie bei seinem Bruder, dem Hauptmann. Dieser Sauluder pisste kalt, hatte einen schäbigen, windschiefen Körper, ein eingefallenes fahles Gesicht und eine Physiognomie wie ein Wiesel. Immerhin war er einen halben Groschen mehr wert als der Hauptmann, und ein halbes Quäntchen Liebe für seinen Onkel konnte man ihm nicht absprechen. Nur in den letzten Jahren war sein Herz leck geworden und die Dankbarkeit Tropfen um Tropfen weggesickert. Er besorgte aber zeitweilig die Geschäfte seines Onkels und versäumte dabei nicht, im voraus so viel Saft als möglich aus der Erbschaft herauszupressen.
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