Die Gräfin beweinte ein wenig den Tod ihrer guten Zofe, dann schickte sie nach der Wäscherin und riet mit ihr hin und her, wie es anzustellen sei, den armen Savoisy zu retten. Die beiden Frauen beschlossen zuerst, ihn von dem Argwohn des Schlossherrn zu benachrichtigen, damit er es sich gesagt sein lasse und fein zu Hause bleibe.
In dieser Absicht belud sich die Wäscherin mit einem ungeheuren Pack schmutziger Wäsche und wollte damit das Schloss verlassen. Aber unter dem Portal stieß sie auf einen Bewaffneten, der sich taub stellte gegen alles, was sie vorbrachte. Da entschloss sie sich zu einem ganz absonderlichen Akt von Selbstverleugnung, sie suchte dem Soldaten von seiner schwachen Seite beizukommen, und das gelang ihr auch mit den ihr geläufigen Mittelchen vollkommen, trotzdem der Mann vom Kopf bis zu den Füßen in Stahl und Eisen verpackt war. Aber hinaus ließ er sie hinterher doch nicht. Sie probierte es dann noch mit einem schönern und jüngern, ob er nicht galanter wäre, aber keiner von allen, weder Hellebardier noch Armbrustschütze, wollte sie durchschlüpfen lassen und wenn es auch durch ein Mauseloch gewesen wäre. »Ihr seid recht garstig und undankbar«, rief sie, »so wenig Gleiches mit Gleichem zu vergelten.« Infolge dieser Scharmützel aber wusste sie nun wenigstens, was die Glocke geschlagen hatte, und kam zurück, um ihrer Herrin Bericht zu erstatten. Aufs neue hielten die beiden Frauen Rat. Sie brauchten aber nicht soviel Zeit, als nötig ist, zwei Halleluja zu singen, um in Anbetracht dieses ganzen Kriegsapparats, dieser Wachen, Besatzungen, Vorposten und all der verdächtigen, unheimlichen, teuflischen Anordnungen und Befehle, besonders mit Hilfe des sechsten Sinnes, der den Frauen verliehen ist, zu erkennen, welch unfehlbare Gefahr den Geliebten bedrohte.
Zugleich erfuhr die Gräfin, dass es ihr persönlich freistand, zu gehen, wohin sie wollte. Sie glaubte also nichts Besseres tun zu können, als von ihrem Recht Gebrauch zu machen. Aber sie kam nicht weit. Schon in Steinwurfslänge vom Portal kehrte sie wieder um; denn sie hatte bemerkt und gleich verstanden, dass ihr Herr vier Pagen befohlen hatte, der Gräfin unweigerlich das Ehrengeleit zu geben, und ebenso zwei bewaffneten Schildwachen, ihr zu folgen wie ihr Schatten. Die arme Frau Konnetable kam in ihr Zimmer zurück und weinte heftiger als alle heiligen Magdalenen zusammen, die man je in Kirchen und Kapellen auf frommen Bildern gesehen hat.
»Ach!« rief sie ein über das andre Mal, »mein armer Freund soll vernichtet werden, ich soll ihn nicht mehr wiedersehen, dessen Worte so süß, dessen Liebkosungen so köstlich waren. Ich soll ihm nicht mehr die zarte Wange streicheln, nicht mehr die süße Stimme hören; das liebe Haupt, das so oft auf meinen Knien geruht, wird blutend in den Staub sinken. Könnte ich doch meinem Mann an seiner Stelle einen unnützen Hohlschädel unterschieben, einen lausigen Grindkopf an Stelle dieses duftigen Lockenhaupts.«
»Wenn es nur das ist!« rief die Wäscherin; »können wir da nicht den Hundejungen, der mir ergebener ist als ein Hund selber, denn er liebt mich und ist mir zum Überdruss – können wir den nicht in ritterliches Gewand stecken und ihn also aufgeputzt an die verhängnisvolle Pforte bringen?«
Um die Lippen der Gräfin legte sich ein böses Lächeln.
»Gebt acht«, nahm die Wäscherin von neuem die Rede auf; »wenn die Soldaten den Tollpatsch hingestreckt haben, werden sie eiliger nach dem Weinfass laufen als Nonnen nach der Mette.«
»Aber wird der Herr den Buben nicht erkennen?«
Und die Gräfin versank in Nachsinnen. Sie griff sich ans Herz: »Ach, nein«, rief sie, »es muss ein Edelmann sein; in dieser Sache muss edles Blut fließen.«
Sie dachte von neuem nach. Plötzlich aber sprang sie freudig auf, und die Wäscherin umhalsend, rief sie: »Durch deinen Rat rette ich meinen Freund, ich werde dir's danken mein Leben lang.« Sie trocknete ihre Tränen, glättete ihr Gesicht, dass sie aussah wie eine kleine Heilige, hakte sich die Almosentasche an den Gürtel, nahm ihr Gebetbuch zur Hand und machte sich unverzüglich auf den Weg nach der Kirche zu Saint-Paul, wo gerade die Glocken zur letzten Messe läuteten.
Als eine Dame, die viel Langeweile hat wie alle Damen der Hofgesellschaft, versäumte sie nie diese Messe, die man die ›parfümierte‹ nannte, denn es roch und duftete dabei nach allen Wohlgerüchen der Welt, nach den feinsten Essenzen und Spezereien all der geputzten Hofdamen und geschniegelten Herren, und man sah dabei keine andern Sporen als goldene und keine andern Kleider als von Brokat und kostbaren Stickereien.
Die Gräfin ließ also die brave Wäscherin, der sie die Sorge um das Haus übertrug, im höchsten Erstaunen zurück und kam, von den Pagen und von zwei Fähnrichen und ihrer bewaffneten Kompanie begleitet, mit großem Pomp in die Kirche.
Um das Folgende zu verstehen, ist hier einzufügen: Unter dem Gewimmel von hübschen jungen Kavalieren, die die Damen hier umschwärmten, war mehr als einer, der es auf die Gräfin abgesehen hatte und ihr heimlich huldigte in seinem Herzen, wie es die Jugend pflegt, die auf gar viele der kostbaren Vögel zielt in der Hoffnung, wenigstens einen davon zu treffen; es waren aber selber lauter lose Vögel, naschige Gelbschnäbel, die über ihr Gebetbuch hinweg mehr nach den Bänken der Damen schielten als nach dem Altar und dem Priester.
Darunter war nun einer, dem die Gräfin von Zeit zu Zeit das Almosen eines freundlichen Blicks gönnte, weil sein ganzes Wesen tiefer und weniger flatterhaft schien als das der andern. Er benahm sich auch gesitteter, lehnte immer still und unbeweglich an derselben Säule und schien schon ganz glücklich beim bloßen Anblick der Dame seines Herzens. Ein sanfter, melancholischer Ausdruck lag auf seinem blassen Gesicht. Diese Züge sprachen von einem starken Herzen, von einem Herzen, das sich von heftiger Leidenschaft nährt und imstande ist, sich mit Wollust in den Abgrund einer verzweiflungsvollen Liebe zu stürzen. Er gehörte einer seltenen Rasse von Menschen an; denn im allgemeinen schwärmt dieses Höflingsvolk mehr für das Ding an sich, für das Ding als solches, als für die geheimen Seligkeiten, die in den Tiefen und Abgründen der Seele blühen.
Dieser Edelmann war einfach, aber sauber und anständig, ja im einzelnen sogar nicht ohne Zierlichkeit und persönlichen Geschmack gekleidet. Die Gräfin hielt ihn für einen armen Glücksritter, der von weither gekommen war und dessen ganze Habe in seinem Mantel und seinem Degen bestehen mochte. Und so, weil sie ihn arm glaubte und weil sie wohl bemerkt hatte, dass er sie liebte, auch ein wenig, weil ihr seine gute Haltung gefiel, ebenso wie seine schönen dunklen Haare, sein schlanker Wuchs zusammen mit seiner bescheidenen und ergebenen Miene, wünschte sie ihm von ganzem Herzen alle Gunst der Frauen, Frau Fortuna mit inbegriffen. Sie selber pflegte als gute Hausfrau keinen Vorteil zu vernachlässigen, auch nicht in den verliebten Angelegenheiten, und also hütete sie sich wohl, die stumme Huldigung des Unbekannten kurzerhand abzuweisen, vielmehr ermutigte sie ihn, wenn sie gerade aufgelegt war, mit manchem aufmunternden Blick, von dem sie wohl wusste, wie er ihm tief in die Seele drang.
In Wahrheit spottete sie seiner, denn sie war gewohnt, mit ganz andern Dingen ihr Spiel zu treiben als mit der Ergebenheit eines armen Ritters; sie war nicht umsonst die Frau des Konnetable, dieses Abenteurers, der um Königreiche spielt wie andre um Silbermünzen.
Erst vor drei Tagen war's, als sie beim Austritt aus der Kirche, indem sie die Königin auf den jungen Ritter aufmerksam machte, leichthin äußerte, das sei sicher ein Mann von Qualitäten.
Diese Redewendung war damals neu. Später wurde es Brauch, von jedem noch so lausigen Höfling und dummen Junker als von einem Homme de qualité zu reden; aber die erste, die sich so ausgedrückt und der unsere Sprache das zierliche Wort verdankt, ist niemand anders als die Frau Gräfin von Armignac. Die Frau Konnetable hatte den Ritter gleich richtig eingeschätzt. Er war der vollkommene Herr von Habenichts. Mit Namen hieß er Julien de Boys-Bourredon, also dass man auf deutsch sagen würde Julian von Sindelwald; aber er hatte von seinem Lehen und Wald nicht so viel Holz geerbt, um sich einen Zahnstocher davon machen zu können, und besaß keine andre Ausstattung, als die ihm seine verstorbene Mutter schon bei der Geburt mitgegeben. Daran fehlte allerdings nichts, und