»Geh, mein Sohn«, antwortete schelmisch der Chorherr, »aber gib acht, dass du nicht ins Wasser fällst oder deinen Kopf verlierst; denn mir ist, als hörte ich den Fluss rauschen, und das Straßengesindel, scheint mir, ist nicht immer das gefährlichste Gesindel.«
Stoffel verwunderte sich sehr über diese Worte. Er betrachtete sich den Kanonikus. Der Alte schien ihm seltsam aufgeräumt mit seinen gichtkrummen Beinen und seinem flammenden Blick. Aber da er jetzt dem Tod, der ihn bedrohte, den Rang ablaufen musste, dachte er, dass er ein andermal Zeit habe, den Oheim zu bewundern oder ihm die Nägel zu stutzen. Machte sich also auf nach der Stadt mit einer Eile wie ein Weibsbild, das dem Vergnügen nachläuft.
Die beiden Vettern, die nicht an die göttliche Erleuchtung glaubten, wie sie manchmal über einfältige Hirten zu kommen pflegt, hatten oft im Beisein des Stoffels, wie wenn er Luft wäre, ihre geheimsten Heimlichkeiten gegeneinander ausgekramt.
Unter anderem hatte eines Abends der Sauluder dem Kanonikus, um ihn aufzuheitern, von seiner Liebschaft mit der Frau eines Goldschmieds erzählt und wie er es anstellte, um dem Gevatter unvermerkt das bekannte Paar Hörner beizubringen, ein Paar goldige, ein Paar feinziselierte und feinskulptierte, ein Paar Hörner mit so reichem figürlichem Schmuck als nur je ein Gefäß auf der Tafel eines Königs. Diese Goldschmiedin war, wenn man ihn hörte, ein tolles Ding, kühn und verwegen wie nicht leicht eine, die, wenn sie ihren Mann schon die Stiege heraufkommen hörte, die Sache erst recht noch einmal machte, wie wenn es nichts weiter gälte, als eine Erdbeere zu schlucken, dabei das Köpfchen voll närrischer Launen, immer auf neue Streiche denkend und zu allem heiter wie das gute Gewissen selber, zur Freude ihres Mannes, dem ihr Wohlsein naheging wie sein Hemd. Und so durchtrieben war sie, dass weder ihre Liebschaft ihrer Wirtschaft noch ihre Wirtschaft ihrer Liebschaft schadete, also dass sie nicht nur allgemein den Ruf einer tugendsamen Frau, sondern auch das volle Vertrauen ihres Eheherrn genoss, der ihr die Schlüssel, die Kasse und alles überließ.
»Und zu welcher Stunde empfängt Euch Eure Dulcinea?« fragte der Chorherr.
»Jeden Abend. Und oft schlafe ich bei ihr.«
»Aber wie kann das geschehen?« fragte von neuem der Oheim.
»Das machen wir so. In einem Verschlag steht ein mächtiger Schrank. In den verstecke ich mich. Nun müsst Ihr wissen, dass der Goldschmied fast jeden Abend bei seinem Gevatter, dem Tuchhändler, speist, mit dessen Frau er so steht wie ich mit seiner eigenen. Wenn er nun nach Haus kommt, tut die Frau so, als ob es ihr irgendwo nicht recht wäre, lässt ihn allein zu Bett gehen und schleicht sich, um ihrem Übel Linderung zu verschaffen, in den Verschlag mit dem Schrank. Am Morgen dann, wenn der Mann vor seiner Goldwaage sitzt, mache ich mich davon. Das Haus hat zwei Ausgänge, einen nach der Straße und einen nach dem Fluss; begegne ich dem Hausherrn, bin ich eben durch das andere Loch, wo er nicht war, hereingekommen, natürlich um mit ihm wegen seines Prozesses zu verhandeln, den ich als sein Advokat so lange wie möglich am Leben und in guter Gesundheit zu erhalten suche. Und so ist das eine rentable Liebschaft, für die der Herr Gemahl soviel an Sporteln und sonstigen Advokatenrechnungen bezahlen muss, dass er sich im Stall gut ein paar Pferde halten könnte. Der Mann unternimmt nichts ohne mich; er liebt mich, wie so einer den zu lieben verpflichtet ist, der ihm so fleißig hilft, sein Gärtlein umzustechen, zu gießen und in jeder Weise zu kultivieren.«
An diese Worte dachte jetzt der Stoffel; er machte sich aber unverzüglich auf den Weg, denn er hatte dem Tod den Rang abzulaufen.
Stoffel erinnerte sich aller Einzelheiten dieser Erzählung, und der Instinkt der Selbsterhaltung, der das dümmste Tier richtig leitet, zeigte ihm mit Blitzeshelle den Ausweg aus der drohenden Lebensgefahr. Er eilte also unverzüglich nach der Rue de la Calandre, wo der Goldschmied um diese Zeit bei seinem Gevatter, dem Tuchhändler Cornelius, und seiner Frau zu Abend zu essen pflegte. Nachdem er an die Tür geklopft und denen hinter dem Gitter geantwortet hatte, dass er dem Goldschmied eine wichtige und eilige Botschaft auszurichten habe, wurde ihm aufgetan. Er winkte den lustigen Goldschmied von den Freuden der Tafel hinweg in eine Ecke des Saals.
»Guter Freund«, sagte er zu ihm, »wenn Ihr wüsstet, dass ein lieber Nachbar Euch die bekannten Zinken auf die Stirn pflanzte – Ihr werdet wohl wissen, dass ich nicht von den Zacken einer Königskrone rede! –, und wenn man Euch den übereifrigen Freund gefesselt überlieferte, Ihr würdet Euch gewiss nicht besinnen, ihn in den Fluss zu werfen.«
»Ganz richtig«, antwortete der Goldschmied; »aber wenn Ihr etwa Schindluder mit mir treiben wollt, so kann es Euch teuer zu stehen kommen.«
»Ich meine es gut mit Euch«, erwiderte der Stoffel, »und Ihr dürft mir's glauben: ebensooft als Ihr mit der Gevatterin hier hat drüben der Advokat Sauluder mit Eurer Ehefrau seinen Zeitvertreib. Kommt mit hinüber in Euer Haus, und wenn Ihr den Sauluder nicht bei Eurer Frau findet, so könnt Ihr daraufrechnen, dass in der Kammer, in dem großen Schrank, wo Ihr die alten Kleider aufzuhängen pflegt, derjenige steckt, der Euch, indes Ihr bei andern kehrt, Euer eigenes Stüblein wischt und scheuert. Wenn Ihr mir den Schrank verkaufen wollt, so will ich mich mit einem Karren bei der Brücke halten und Eurer Befehle gewärtig sein.«
Der Meister Goldschmied nahm Mantel und Barett, schied und lief nach seinem Haus wie eine vergiftete Ratte nach ihrem Loch. Er kommt an, er klopft; man öffnet, er tritt ein, er rast die Stiege hinauf, er findet zwei Gedecke auf dem Esstisch, er hört im Nebenzimmer den Schrank verschließen, und er sieht seine Frau ihm entgegenkommen mit einem Gesicht, wie wenn sie kein Wässerlein trüben könnte.
»Lieber Schatz«, sagte er, »da sind zwei Gedecke!«
»Natürlich«, antwortete sie unschuldig, »sind wir nicht zwei?«
»Nein, wir sind drei«, antwortete er.
»So kommt der Herr Gevatter zum Nachtessen?« versetzte sie lächelnd und mit einer Miene der vollkommensten Unschuld.
»Nein«, erwiderte er, »ich meine den Gevatter da drin im Schrank.«
»In was für einem Schrank«, fragte sie, »Ihr seid wohl nicht recht bei Trost? Wo ist denn ein Schrank? Seit wann packt man denn seine Gevattersleute in Schränke? Bin ich etwa die Frau danach, die die Gevattersleute schränkevoll im Haus hat? Ihr müsst verrückt geworden sein, dass Ihr einen Schrank für einen Gevattersmann haltet. Ich kenne keinen andern Gevatter als den Meister Cornelius, den Tuchmacher, und keinen andern Schrank als den in unsrer Schlafstube, wo wir unsre Kleider aufbewahren.«
»Liebe Frau«, erwiderte darauf der Goldschmied, »es gibt gar böse Leute in dieser Welt, und denke dir, da ist mir vorhin ein Kerl in den Weg gelaufen und hat mir gesagt, ich solle doch einmal in dem Schrank draußen im Verschlag nachsehen, ich werde da unsern Freund, den Advokaten, darin finden.«
»So ein Lump!« rief die Frau; »sollte man meinen, dass es Menschen gibt, die eine Freude dran haben, andrer Leute Häuslichkeit in Wirrwarr zu bringen.«
»Zum Glück kenne ich dich, mein Liebchen«, entgegnete der Meister, »und du bist mir lieber als zehn alte Schränke. Da soll kein Hader zwischen uns kommen; der Mann, der mich aufgehetzt hat, ist ein Milchhändler; ich will ihm den Schrank verkaufen, dass er mir aus den Augen kommt, das dumme Möbel könnte mir gelegentlich böse Gedanken machen. Ich würde immer versucht sein, nachzusehen, ob kein Gevatter darin steckt. Da will ich mir lieber zwei kleinere dafür kaufen, worin man allerhöchstens ein siebenjähriges Kind unterbringen kann. Auf diese Weise werden wir am besten die bösen Mäuler stopfen, die deine Tugend verleumden möchten.«
»Tut, wie Ihr sagt«, antwortete die Frau, »mir liegt gar nichts an dem alten Schrank, er ist auch zufällig ganz leer. Unsre Sachen sind beim Schneider zum Ausbessern, Ihr könnt ihn morgen in aller Frühe wegschaffen lassen. Und jetzt, denke ich, wollen wir zu Abend essen.«
»Nicht so schnell«, war seine Antwort; »es wird mir besser schmecken, wenn der verfluchte Schrank erst aus dem Hause ist.«
Die Frau lachte:
»Es scheint allerdings, dass das verdammte Möbel leichter aus dem Haus als aus Eurem Kopf