»Bei Gott nicht«, entgegnete der Hauptmann, »du bist mein ganz liebwerter Vetter und ein Ehrenmann obendrein; wenn du je einen Feind hast, dem du das Lichtlein ausgeblasen haben möchtest, siehe, ich bin bereit, meinen besten Freund für dich zu töten. Ich will auch nicht mehr dein Vetter heißen, sondern dein Bruder. – Holla, Schätzchen«, rief er der Pasquerette zu, »decke uns von neuem den Tisch und wasche dein Blut ab, es gehört mir, ich will dir's bezahlen und will dir's tausendfach ersetzen. Lass vom Besten zapfen, beruhige die aufgescheuchten Vögel im Haus, zieh ein frisches Hemdchen an und sei lustig. Sei lustig, ich will es so! Sorge für was Gutes in die Schüssel, und fahren wir mit unsern Nachtgebeten fort, da, wo wir aufgehört haben. Morgen früh sollst du reicher sein als die Königin. Jetzt will ich meinen Vetter bewirten. Holla he, Küfergesellen, Küchenjungen, Laufburschen, auf die Beine! Ich habe Lust, das ganze Haus zum Fenster hinauszuwerfen; es wird uns morgen früh doch zehnfach wieder hereinkommen.«
In weniger Zeit, als ein Pfaff braucht, um sein Dominus vobiscum zu sagen, verwandelte sich alles Wehgeheul des Hauses in Lachen, so wie sich vorher alles Lachen in Wehgeheul verwandelt hatte. Das ist so das Eigentümliche dieser Häuser: Mord und Totschlag sind hier nur ein Gewürz der Liebe; je mehr Gefahr, desto mehr Lust. Freilich, unsre Damen mit den hohen Stehfallumkrägen haben davon keine Ahnung.
Der Hauptmann Schweinsleder machte einen Freudenlärm wie eine ganze Klasse Schulbuben, wenn die Schule aus ist. Er war unermüdlich, dem Vetter einzuschenken, und dieser trank wie ein Bauer, wo's nichts kostet. Er spielte glücklich den Besoffenen; er lallte, morgen wolle er Paris kaufen, wolle er dem König hunderttausend Taler leihen, scheißen wolle er in Gold, mit einem Wort, er schwatzte so verrücktes Zeug, dass es der Hauptmann endlich für an der Zeit hielt, die Teller zu lassen und sich nach den Talern umzusehen. Also machte er sich mit ihm auf den Weg in der besten Absicht, nach dem Raub und der Teilung ein wenig die Eingeweide des guten Stoffels zu durchsuchen, ob er nicht einen riesigen Schwamm im Magen hätte; denn anders war's nicht zu denken, wie er fast ein halbes Stückfass des besten Heurigen hatte schlucken können, ohne zu platzen. Auf dem langen Weg sprachen sie über die theologischen Streitfragen des Tags, die sie, man kann sich denken, mehr verwirrten als aufklärten. Und endlich wurden sie stumm, selbst ihre Füße gaben keinen Laut mehr, sacht und sorgfältig schlichen sie sich nach der Gartenmauer, hinter welcher etwas ganz andres auf sie wartete als die Taler des reichen Juden. Der wiederholt genannte Schweinsleder-Hundsaffe erstieg die breiten Schultern Stoffels und schwang sich von hier auf den bekannten Birnbaum als ein Mann, bei dem Mauern zu erstürmen zum Handwerk gehört. Aber der fromme Versoris, der ihm auflauerte, versetzte ihm einen gut gezielten Hieb in den Nacken und wiederholte denselben dreimal so geschickt und mit solcher Wucht, dass nach dem dritten Schlag der Kopf des Schweinsleder auf die Erde rollte, nicht ohne noch vorher die Stimme seines Vetters gehört zu haben, der ihm zurief: »So heb doch deinen Kopf auf, mein Freund!«
Darauf dachte der großmütige Stoffel, in dem die Tugend so eklatant ihre Belohnung erhielt, dass es gescheit wäre, sich jetzt nach dem Hause des guten Chorherrn zu verfügen, wo unterdessen die Erbschaftsfrage sich mit der Gnade Gottes ganz wunderbar vereinfacht hatte. Also machte er sich mit großen Schritten auf den Weg nach Saint-Pierre am Ochsenmarkt, und nicht lange, so schlief er wie ein Neugeborner auf seinem Strohsack, als ob es in Ewigkeit keine Vettern auf der Welt gegeben hätte. Am andern Morgen aber erhob er sich nach Art der Hirten und Bauern mit dem Aufgang der Sonne und begab sich nach dem Zimmer seines Onkels, um sich zu erkundigen, ob er kein Blut spucke, ob er keinen Hustenanfall gehabt, ob er überhaupt gut geschlafen habe. Aber ein alter böser Kauz von Haushälterin sagte ihm, der Chorherr sei zur Mette gegangen, weil man das Fest des heiligen Kriegsmanns Mauritius feierte, des vornehmsten Patrons von Notre-Dame, und weil zu diesem Tag das ganze Kapitel beim Erzbischof von Paris zur Tafel geladen war.
›Der Chorherr muss nicht mehr recht bei Sinnen sein‹, dachte Stoffel, ›um sich in so früher Morgenluft einer Erkältung auszusetzen. Wenn er sich mit Gewalt umbringen will, mir kann's recht sein. Ich will ihm aber unterdessen ein gutes Feuer anzünden, an dem er sich erholen kann bei seiner Heimkehr.
Der gute Stoffel ging also nach dem Saal, wo sein Onkel sich für gewöhnlich aufhielt; aber wie erschrak er! Denn hier saß, leib und leibhaftig, auf seinem gepolsterten Ledersessel niemand anders als der Chorherr.
»Aber was hat denn die alte Catherine gefabelt«, sagte er zu dem Mann im Lehnstuhl; »ich wusste doch, dass Ihr viel zu vernünftig seid, um zu dieser Stunde Euer Vergnügen in einem kalten Chorstuhl zu suchen.«
Der Chorherr blieb stumm. Keinen Piepser gab er von sich. Der ehemalige Viehhirt war aber wie alle diese Art Leute nicht ohne Verständnis für das Wesen heiliger Betrachtung. Er wusste auch, dass hohe Greise sich oft in einem entrückten Zustand befinden, wo sie mit den Dingen, die wir nur durch eine übernatürliche Wissenschaft kennen, geheimen Verkehr pflegen und dann Worte murmeln und Reden halten, die gewiss einen tiefen Sinn haben, die wir aber nicht verstehen. Und in ehrfürchtiger Scheu vor einem so außerordentlichen Zustand setzte er sich etwas entfernt in eine Ecke, um zu sehen, was aus alledem herausschlüpfen möchte. Ohne ein Wort zu sagen, wunderte er sich über die langen Nägel des guten Onkels, die sich kurios durch die Schuhe bohrten. Er sah dann nach den Knien seines lieben Onkels, und da gewahrte er eine noch viel mirakulösere und seltsamere Sache: die Beine des guten Mannes waren rot, so feuerrot, dass sie wie glühende Kohlen durch die Maschen der Strümpfe leuchteten.
›Ist er denn tot?‹ fragte sich der Stoffel.
Aber in demselben Augenblick tat sich die Tür auf, und wer da eintrat, war noch einmal der Chorherr, der mit frostroter Nase geradewegs aus der Messe kam.
»Aber, mein Onkel«, rief Stoffel, »was ist Euch denn unter die Hirnschale gekrochen? Ihr solltet Euch wirklich ein bisschen zusammennehmen und nicht da zur Tür hereinkommen, während Ihr schon dort am Kamin in Eurem Sessel sitzt; Ihr könnt wahrlich wissen, dass es einen Kanonikus wie Euch nicht noch einmal auf der Welt gibt.«
»Oh, Stoffel«, antwortete der Chorherr, »es hat eine Zeit gegeben, wo ich mich oft gern verdoppelt hätte, aber das kann nun einmal der Mensch nicht, er wäre sonst zu glücklich; du aber scheinst das zweite Gesicht zu haben, denn was mich betrifft, ich sehe wahrhaftig nichts von einem zweiten Chorherrn.«
Da wandte Stoffel seine Augen nach dem Sessel, und zu seinem höchsten Erstaunen, wie ihr euch wohl denken könnt, fand er ihn leer; er näherte sich ein wenig und gewahrte auf der Diele ein Häufchen Asche, das noch ein wenig rauchte und gewaltig nach Schwefel stank.
»Zum Kuckuck!« sagte der Stoffel, »aber das muss ich sagen, dass sich der Teufel wie ein Kavalier gegen mich betragen hat. So wahr ich Michael Christoffer heiße, ich will für seine Seele beten.«
Dann erzählte er seinem Onkel in aller Unschuld, wie der Teufel für ihn die Vorsehung gespielt hatte und ihm behilflich gewesen war, sich der Herren Vettern auf eine ehrliche Weise zu entledigen. Der Chorherr zeigte viel Bewunderung und ein lebhaftes Verständnis für die lustige Geschichte; denn seine Augen leuchteten noch immer wie die eines Basilisken, und es waren ihm in seinem langen Leben mehr Fälle vorgekommen, wo fromme Christen vorn gezogen und der Teufel hinten geschoben hatte. Auch gab der alte Priester bei dieser Gelegenheit der hohen Weisheit Ausdruck, dass man im Bösen meist ebensoviel Gutes als im Guten Böses entdecken kann und dass man es darum am besten Gott und dem Teufel überlässt, wie sie in dieser und in der andern Welt miteinander auskommen mögen.
Im Grunde war dies nun freilich eine starke Ketzerei, die schon von manchem Konzil verurteilt worden ist.
So