Da war es nun an dem Priester, sich hinter dem Ohr zu kratzen, ganz ratlos gegenüber diesen Lamentationen und dieser erstaunlichen Philosophie, Wissenschaft und Beredsamkeit einer armen Jungfernschaft.
»Meine arme Tochter«, sprach er, »Gott hat uns von den Tieren unterschieden und hat uns ewige Wonnen bereitet, die wir uns verdienen sollen; darum hat er uns die Vernunft gegeben als ein Steuer, wenn die Stürme der Sinnlichkeit uns zu verschlingen drohen; da heißt es fasten und arbeiten, wachen und beten, dass die Vernunft nicht schwach werde. Statt wie ein loses Füllen herumzutollen, werft Euch auf die Knie vor dem Bild der Heiligen Jungfrau, schlaft auf hartem Lager, haltet Euer Haus in Ordnung, vor allem seid niemals müßig.«
»Ach, mein Vater, wenn ich in der Kirche in meinem Stuhl sitze, da sehe ich weder Priester noch Altar, ich sehe nur das kleine Jesuskind, und schnell sind meine Gedanken bei andern Sachen als bei dem Gebet. Wenn mir dann der Kopf wirbelt in dem Grade, dass ich den Verstand verliere und nichts weiß von mir selber ...«
»Wenn es so mit Euch stünde«, sagte unvorsichtigerweise der Abt, »da wäret Ihr ja in der Lage der heiligen Lidoria, die eines Tages während der großen Hitze eingeschlafen war in verfänglicher Lage, nur wenig bekleidet, und der sich ein schlimmer junger Mann genaht, leise und schleichenden Tritts, und dergestalt mit ihr tat, dass sie ein Kind bekam, ohne eine Ahnung davon zu haben, und wie ihre Entbindung nahte, fest glaubte, ihre Schwangerschaft sei eine unheimliche böse Krankheit, und danach Buße tat, weswegen ihr Beichtvater ihren Fall für eine lässliche Sünde erklärte, da die Sache für sie ohne Wollust war und der Bösewicht auf dem Schafott, wo er hingerichtet wurde, eingestanden hat, dass sich die Heilige nicht gerührt und geregt habe.«
»Oh, mein Vater«, sagte die Seneschallin, »ich würde mich so wenig wie sie rühren und regen.«
Und gestärkt in ihrem Mut, leise in sich hineinlächelnd, kehrte sie auf das Schloss zurück, in Gedanken einzig damit beschäftigt, wie ihr auch eine solche lässliche Sünde gelingen möchte. Im Schlosshof sah sie den kleinen René, der, drall in den Schenkeln, unter der Aufsicht des alten Stallmeisters ein Pferd zuritt, mit Sprüngen, Wendungen und Kapriolen, sich allen seinen Launen anschmiegend, mit unglaublicher Gewandtheit im Lauf absitzend und wieder aufspringend, mit Volten und Überschlagungen, dass man es gar nicht sagen kann, kurz, sich so keck und tadellos produzierend, dass er sogar die berühmte Königin Lukretia lüstern gemacht hätte, die sich getötet hat, weil sie wider Willen einem Manne unterlegen war.
›Oh‹, sagte Blancheflor bei sich, ›wäre doch der Page bald fünfzehn, wie gern wollte ich einschlafen, wo er mich sehen sollte.‹
Seine große Jugend hinderte sie indessen nicht, bei allen Mahlzeiten unaufhörlich nach ihm hinzuschielen, sich an der Schwärze seiner Locken und der Weiße seiner zarten Haut die Augen aus dem Kopf zu schauen und an seinen feuchten Blicken sich zu berauschen, die sprühten von einer Überfülle von Jugendkraft und Leben.
Nach der Vesper fand der Seneschall sie nachdenklich in ihrem Sessel am Herdfeuer sitzen, und zärtlich besorgt fragte er sie von neuem, was sie für einen Kummer habe.
»Ich habe gerade gedacht«, sagte sie, »Ihr müsstet auf dem Schlachtfelde der Liebe gewiss sehr frühzeitig Lanzen gebrochen haben, dass Ihr nun so ganz und gar kampfunfähig seid.«
Wie alle Greise, die man auf die Erinnerung ihrer Liebestaten bringt, schmunzelte der Seneschall.
»Mit dreizehn Jahren«, sagte er, »habe ich der Kammerzofe meiner Mutter schon ein Kind aufgebunden.«
Und Blancheflor lächelte zufrieden, denn sie dachte an René, der schon bald vierzehn war. Sie wurde darüber ganz heiter und aufgeräumt, sagte dem Alten allerlei ausgelassene Neckereien und ließ sich wohlig von ihrem geheimen Wunsch durchwärmen wie eine Katze von der Frühlingssonne.
Welchergestalt und von wem die lässliche Sünde begangen wurde
Die Seneschallin brauchte nicht allzulang darüber nachzusinnen, wie sie es anfangen wolle, den kleinen René mit Sicherheit für sich zu angeln; sie verfügte über einen Köder, dass einer kein Gimpel zu sein brauchte, um anzubeißen.
Folgendes war der Hergang.
In den heißen Stunden des Tages pflegte der alte Bruyn nach Art der Sarazenen Siesta zu halten, nämlich ein Schläfchen zu tun, wie er es sich im Heidenlande angewöhnt hatte. Während dieser Zeit blieb Blancheflor allein. Sie erging sich entweder auf der Wiese oder beschäftigte sich spielend mit kleinen Arbeiten, mit Weben oder Sticken, wie Frauen zu tun pflegen, oder sie sah in der Halle oder in der Wäschekammer nach dem Rechten, kurz, schlenderte herum, wie es ihr beliebte. Diese Zeit gedachte sie in Zukunft ausschließlich der Erziehung des Pagen zu widmen, und sie begann damit, dass er ihr aus Büchern vorlesen und die üblichen Gebete hersagen musste.
Am andern Tag nun, als auf Schlag Mittag der Seneschall sich seinem süßen Schlaf überließ – denn es war heiß, und die Felsen von Roche-Corbon wurden wie glühend von den Strahlen der Sonne, also dass der Mensch nicht leicht dem Schlummer widerstand, es sei denn, dass die diabolischen Irritationen und Tribulationen einer aufgepeitschten Jungfernschaft ihn daran hinderten –, da rekelte die Seneschallin sich in dem herrschaftlichen Lehnstuhl ihres Gemahls so lange zurecht, bis sie die anmutigste Lage herausgefunden hatte; und wenn der Stuhl auch etwas unbequem hoch war, sie bedauerte es nicht, weil dadurch glückliche perspektivische Zufälligkeiten nur begünstigt werden konnten. Zierlich wie eine Schwalbe in ihrem Nest, machte sie es sich so mollig wie möglich und lächelte listig, indem sie wie ein schlafendes Kind ihr Köpflein über die Lehne hängenließ und genäschig sich einen Vorgeschmack gab von den zu erwartenden Leckerheiten, den verstohlenen Keckheiten und Frechheiten des kleinen Pagen, der zu ihren Füßen liegen werde, kaum um einen Flohsprung von ihr entfernt. Immer näher rückte sie mit ihrer Fußspitze das samtne Kissen. Darauf sollte René niederknien, das arme Kind, das ihr wie die Maus der Katze zum Spielball dienen musste mit Leib und Seele. So nah rückte sie das Kissen, dass er wohl gezwungen war, und wenn er auch ein steinerner Heiliger gewesen wäre, mit seinen Blicken den Falten ihres Kleides nachzugehen und die Linien zu verfolgen, mit denen der Stoff ihr feines Bein modellierte. Nein, es war nicht zu verwundern, dass ein armer kleiner Page sich in einer Falle fing, wo es der stärkste Ritter nicht als Schande erachtet haben würde, als Gefangener zu zappeln. Nachdem sie so alles aufs verfänglichste gedeichselt und ihren Körper so lange zurechtgedrückt und -gerückt hatte, bis sie die Haltung gefunden, die am sichersten dem Knaben gefährlich werden musste, rief sie mit sanfter Stimme den Pagen, und René, von dem sie wusste, dass er sich nebenan in der Halle aufhielt, streckte auch schon seinen schwarzen Lockenkopf durch den Vorhang der Tür.
»Was befiehlt meine Herrin?« fragte er. Er hielt in großer Ehrfurcht sein rotes Samtkäppchen in der Hand; aber röter als das Käppchen waren in diesem Augenblick seine frischen, allerliebsten Grübchenwangen.
»Komm näher«, antwortete sie, die Worte nur so hauchend. Denn sie zitterte innerlich beim Anblick des Kindes.
Es war aber auch kein Edelstein so funkelnd und blitzend wie die Augen des Kleinen, kein Seidentaffet weißer und weicher als seine Haut, kein Mädchen graziler an Formen wie er. Und sie, in gesteigerter Begierde, fand ihn leckerer als je; und ihr könnt euch denken, wie soviel Jugend, warme Sonne, Heimlichkeit der Stunde und alles zusammen das holde Spiel der Liebe begünstigen musste.
»Lies mir die Litanei der Heiligen Jungfrau«, sagte sie zu ihm und wies auf ein offenes Buch auf ihrem Gebetpult, »ich möchte wissen, ob du auch was lernst bei deinen Lehrern ... Sag, findest du die Heilige Jungfrau schön?« fragte sie lächelnd, als er nun das Stundenbuch in der Hand hielt, worin